Wattwils Gemeindepräsident Alois Gunzenreiner wehrt sich gegen Begehrlichkeiten aus dem Linthgebiet, die Kantonsschule auf zwei Standorte zu verteilen.
Die Kantonsschule Wattwil soll einem Neubau weichen. Politiker aus dem Linthgebiet geben aber nicht auf: Sie wollen keine «grosse» Kanti in Wattwil, sondern eine zweite Kantonsschule im Raum Rapperswil-Jona. Die Chancen stehen nicht besonders gut - aber das Thema ist nicht gegessen.
Als die Regierung bekanntgab, in Wattwil einen Neubau der Kantonsschule zu realisieren, reagierte das Linthgebiet mit einer alten Forderung nach einer eigenen Kantonsschule. Für die Regierung ist die Diskussion abgeschlossen. Die Schule bleibt in Wattwil. Von einer Kompromisslösung mit zwei Standorten will sie nichts wissen. Das stösst im Linthgebiet nicht nur auf Verständnis.
Vor gut zehn Jahren wurde ein Projektwettbewerb lanciert, der die prekäre Raumsituation der Kantonsschule Wattwil beheben sollte. Die Schule wurde in den 1970er Jahren für 450 Schüler aus dem Toggenburg und See-Gaster konzipiert und gebaut, heute wird sie von durchschnittlich 650 Schülern frequentiert.
Eine Dekade später ist das Problem immer noch nicht behoben. So viel steht fest: Man wird darauf verzichten, das bestehende Gebäude zu erweitern, geplant ist ein Neubau. Das weckt Begehrlichkeiten aus dem Linthgebiet, das die Mehrzahl der Kanti-Schüler stellt und sich in der Kanti-Standortfrage übergangen fühlt.
Kantonsrat Peter Göldi (CVP) sagt: «Als die Regierung bekannt gab, dass sie die bestehende Kanti in Wattwil nicht sanieren, sondern dass sie einen Neubau planen will, hätte sie diese Optionen und damit die Standortfrage transparent und auf sachlicher Ebene klären müssen. Dies hat sie unterlassen, was zu heftigen Querelen führte. Erst durch Indiskretionen und sogenannte Amtsgeheimnisverletzungen gelangten die Studien der Regierung an die Öffentlichkeit, die belegen, dass Wattwil nicht wirklich der richtige Standort für die Schule ist.»
Wattwils Gemeindepräsident Alois Gunzenreiner kontert, dass der Standort der Kanti gar nie zur Debatte gestanden hätte:«Es ist ja keineswegs so, dass es eine zusätzliche Kantonsschule braucht.» Der erwähnte Bericht lässt bei Gunzenreiner Fragen aufkommen: «Die durchschnittliche Fahrzeitdifferenz für einen Kanti-Schüler wurde mit zwei Minuten zu Ungunsten von Wattwil ausgewiesen und in die Standortbewertung wurde auch der Steuerfuss einbezogen.»
Das seien doch keine wirklich durchschlagenden Gründe, meint er und fügt an: «Bereits in den 1970er Jahren kamen die Schüler zu je einem Drittel aus Rapperswil-Jona, dem übrigen Linthgebiet und dem Toggenburg. Diese Frequenzen haben sich nicht gross verschoben.» Beim Projektwettbewerb ging es alleine um das Gebäude und nicht darum, den Standort Wattwil zu hinterfragen.
Wattwils Gemeindepräsident Alois Gunzenreiner wehrt sich gegen Begehrlichkeiten aus dem Linthgebiet, die Kantonsschule auf zwei Standorte zu verteilen.
Kompromiss: eine Schule, zwei Standorte
Göldi will die Kanti denn auch nicht ganz aus dem Toggenburg wegwissen. Vielmehr schwebt ihm eine Lösung mit zwei Standorten vor: „Die bisherige Kanti in Wattwil soll auch bei einem Neubau am Standort Rapperswil bleiben. Sie muss ja ohnehin unterhalten werden (Anmerkung der Redaktion: das Gebäude gilt als schützenswert). Dort können nebst einem Grundangebot die Abteilungen geführt werden, die sich in Wattwil sehr gut etabliert haben, die musischen Fächer beispielsweise.»
Göldi fährt fort: «Im Neubau in Rapperswil kann sich nebst dem Grundangebot der Bereich der MINT Fächer etablieren oder auch ein Angebot im Sinne eines Sportgymnasiums. Denn die technisch orientierte Abteilung liegt mit der Nähe zur HSR in Rapperswil auf der Hand und Sport passt sehr gut zu den bereits bestehenden sehr vielfältigen Angeboten in der Stadt am Obersee.»
Die Schüler aus dem Linthgebiet könnten so Abteilung und Standort wählen, so wie heute Toggenburger bereits wählen können, ob sie lieber in Wil oder Wattwil zur Schule gehen möchten. Göldi weiter: «Wünscht jemand die musische Abteilung, reist er weiterhin nach Wattwil, genauso wie es heute die Schüler aus Wil tun. Anstelle einer Riesenkanti im Toggenburg würden zwei Schulen mit 350 bis 450 Kantonsschülern geführt. Ihr Angebot würde sich optimal ergänzen. Sowohl inhaltlich wie auch geografisch.»
Peter Göldi, Kantonsrat CVP, möchte, dass ein Teil der Kantonsschule künftig in Rapperswil-Jona steht.
Die Dezentralisierung ist abgeschlossen
Die Frage, ob denn Göldis Idee einer Kanti mit je einem Standort in den beiden Regionen kein gut schweizerischer Kompromiss sei, verneint Gunzenreiner vehement: «Aktuell würde der Schülerbestand bei je 300 bis 330 liegen, was betrieblich, wirtschaftlich und pädagogisch keine Vorteile bringt. Gleichzeitig lassen sich die Ausrichtungen nicht einfach auf die Hälfte des Bestandes festlegen, die Naturwissenschaften überwiegen.»
Und der gut schweizerische Kompromiss geschah denn auch bereits in den 1970er Jahren. Damals erhielt Rapperswil den Zuschlag für die Fachhochschule und Wattwil für die Kanti. Mit dieser Verteilung schloss der Kanton dannzumal die Dezentralisierung des Schulwesens ab.
Rückendeckung erhält Gunzenreiner aus dem kantonalen Baudepartement. «Die Zersplitterung in zwei Regionen wurde in den Vorarbeiten geklärt und als qualitativ und ökonomisch in keiner Weise verantwortbar bewertet. An dieser Beurteilung hat sich nichts geändert. Ein Campus in Wattwil ist das Beste für die Schulqualität und ergibt auch betrieblich und finanziell Synergien», sagt die Kommunikationsbeauftragte Claudia Eugster auf eine entsprechende Anfrage. Die Regierung sehe darum keinen Anlass am Entscheid, die Kanti in Wattwil zu belassen, etwas zu ändern.
Göldi will sich damit aber nicht abfinden. «Es ist nicht nachvollziehbar, warum St. Gallen unbedingt Riesenschulen will. Grösser ist nicht immer besser – und auch nicht immer billiger», sagt er. Ein Argument, das den Wattwiler Gemeindepräsidenten angesichts der aktuellen Spitalstandortdebatte geradezu befremdet.
Noch nicht das letzte Wort gesprochen
Göldis Meinung nach ist es für die Zwei-Standorten-Lösung noch nicht zu spät, auch wenn das zu weiteren Verzögerungen führen werde: «Dies muss sich die Regierung selber zuschreiben, weil sie die Standortfrage am Anfang nicht sauber geklärt hat», meint er.
Derweil meint Gunzenreiner, er könne nicht verstehen, warum man etwas, das grundsätzlich gut funktioniere, in zwei Teile aufbrechen wolle. «Wo auch immer eine Kantonsschule steht», sagt er, «der Grossteil der Schüler muss immer reisen.» Der Standort Wattwil liege sehr zentral im gesamten Einzugsgebiet und weise zumutbare Wegdistanzen und Reisezeiten für alle auf. Gleichzeitig biete er dem Kanton die Möglichkeit, die Klasseneinteilung zu optimieren, indem er einzelne Schüler zum Beispiel nach Wil in die Schule schicken könne.
Zurzeit liegt der Ball bei der Regierung. Diese entscheide, bestätigt Eugster, voraussichtlich bis zu den Sommerferien über die Projektdefinition: «Die Botschaft soll in der zweiten Jahreshälfte 2018 zuhanden des Kantonsrates verabschiedet und in der ersten Jahreshälfte 2019 dort behandelt werden.»
Wenn man bedenkt, dass dann auch noch eine Volksabstimmung durchgeführt werden muss, kann es gut und gerne nochmals zehn Jahre dauern, bis die Schüler an der neuen Kantonschule – wo auch immer – ihrer Matura entgegen lernen. Und das bei keinen zusätzlichen Verzögerungen, wie Göldi sie vorhersieht.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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