Kulturveranstalter und Kunstschaffende stehen im Ruf, vor allem von staatlichen Zuwendungen zu profitieren. Doch Kulturförderung kann auch volkswirtschaftliche Vorteile für eine Region bringen. Dies veranschaulichen Beispiele in der Ostschweiz.
Die Frage, wie viele Steuerfranken als Fördermittel an das Kulturleben angemessen sind, führt immer wieder zu politischen Kontroversen. So zum Beispiel im Februar 2024 im Wiler Stadtparlament: Thema war die anstehende Sanierung des Kulturlokals «Gare de Lion». Die Fraktion der SVP zog bei der Debatte die beantragte Summe von 4,3 Millionen Franken in Zweifel. Es würden hier mit Steuergeldern Partikularinteressen bedient, argumentierte sie. Ein von der SVP angestrebtes Ratsreferendum für eine Volksabstimmung über den Sanierungskredit scheiterte an der Ratsmehrheit.
Kaum neue Argumente
Ob in Parlamenten oder am Stammtisch, die Argumente klingen seit Jahren ähnlich: Die einen beschweren sich über die Knausrigkeit der politisch Verantwortlichen bei der Kulturunterstützung durch die öffentliche Hand. Die Gegner ihrerseits finden, es würden staatliche Gelder für individuelle Liebhabereien ohne angemessene Gegenleistung gefordert.
Steuergelder ohne gesellschaftlichen Nutzen? Die volkswirtschaftlichen Vorteile von Kultur sind schwierig zu messen und zu beziffern. Dies hängt auch damit zusammen, dass «Kultur» ein schwammiger Begriff ist. Er umfasst die Appenzeller Zäuerligruppe, das Frauenfelder Out in the Green-Festival und die Publikation eines Lyrikbandes, um nur einige Beispiele zu nennen.
Während diesen Sommer über 100 000 Eintritte für das St. Galler Openair-Festival Festival im Sittertobel verkauft wurden, besucht lediglich ein handverlesenes Publikum eine Ausstellung für zeitgenössische Kunst. Wer wollte dabei eine gerechte Grenzlinie ziehen, welche Art von Kultur staatlich gefördert gehört, und wo die entsprechenden Auslagen vollumfänglich zu eigenen Lasten gehen sollen?
Attraktivitätssteigerung
Kulturelle Aktivitäten müssten differenziert betrachtet werden, sagte der HSG-Regionalökonom Roland Scherer in einem Interview. Die Wirkung einer Kulturinstitution sei sehr vielfältig und lasse sich nicht auf die rein monetären Effekte reduzieren. René Walther, Stadtpräsident von Arbon (FDP), liess sich seinerseits mit der Aussage zitieren: «Die Kultur ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, wenn es darum geht, eine Stadt als attraktiven Lebens- und Arbeitsort zu positionieren.» In Arbon geht etwa das Sommerdays Festival mit 20 000 bis 40 000 Besuchern über die Bühne
Walther ist überzeugt, dass ein kulturelles Angebot in Kombination mit attraktivem Wohnraum den Entscheid von Arbeitskräften und Arbeitgebern, sich in Arbon niederzulassen beeinflussen kann. Anzumerken bleibt, dass die entsprechenden Zuziehenden ihrerseits mit ihren Steuern zur Kulturförderung beitragen.
Arbon ist ein Beispiel dafür, dass Wirtschaft und Kultur nicht zwei Welten ohne Berührungspunkte sein müssen. Vom Gewerbe oder der Industrie nicht mehr beanspruchte Liegenschaften, können zu Kulturlokalen umfunktioniert werden und dabei ein Quartier aufwerten; das Arboner Presswerk wird mittlerweile für Gastronomie und für Events genutzt. Schon länger hat das Eisenwerk in Frauenfeld einen entsprechenden Verwendungszweck gefunden. Durch derartige Institutionen kann dem Braindrain entgegengewirkt werden. Das Lichtensteiger Rathaus für Kultur lockt seinerseits kreative und engagierte Köpfe ins Toggenburg.
Förderung des Zusammenhalts
Für den Braunauer Gemeindevorsteher und Präsidenten von ThurKultur, David Zimmermann (SVP), sind Beiträge an die Kultur gut investiertes Geld, das musische Leben in den Gemeinden bedeutet für ihn Vernetzung, Integration und Kontaktpflege in der Bevölkerung.
Kulturevents können die Atmosphäre in einer Gemeinde positiv beeinflussen, Leben ins Quartier bringen und so der Anonymisierung entgegen wirken. Kultur gilt allgemein als gesellschaftlicher Kitt, sei es bei einem Austausch bei Vernissagen, bei regelmässigen Chorproben oder bei Malkursen. Ein erfolgreiches Beispiel ist das Bücherfest in Frauenfeld.
Gemeinsame musische Aktivitäten können zudem interkulturelle Schwellen senken, wie das Bespiel des Wiler Chors Inside Africa Switzerland belegt. Migranten aus unterschiedlichen Nationen treffen sich regelmässig zu Gesangsproben. Vorgängig tauscht man sich in Gesprächen aus. Dabei lernt man sich gegenseitig besser kennen, zugleich werden die Deutschkenntnisse trainiert. Das Ostschweizer Jazz Kollektiv (OJK) vernetzt seinerseits rund 500 Jazzmusikerinnen und –musiker und sorgt regelmässig für Jam Sessions für die Lebendigkeit dieser Stilrichtung.
Überregionale Aufmerksamkeit
Investitionen in musische Aktivitäten können in Gemeinden wirtschaftsfördernd wirken, etwa durch einen temporär erhöhten Bedarf an Getränken, Verpflegung, Übernachtungsmöglichkeiten, Transportaufträgen sowie Apothekenprodukten. Die entsprechenden Einnahmen kommen dem regionalen Gewerbe zugute und damit etwa via Mehrwertsteuer auch der öffentlichen Hand.
Manche Events, wie etwa die Rosen- und Kulturwoche in Bischofszell, ziehen 40 000 Besuchende aus dem In- und Ausland an. Ähnliches gilt für die Skulpturenausstellung Bad Ragartz.
Die örtliche Gastronomie kann sich über zahlreiche Kunden freuen. Das selbe gilt auch für die Aufführungen der St. Galler Festspiele. Überregionale Medienberichte und Social Media Beiträge mit beeindruckendem Bildmaterial sind allerbeste Imagepflege für die Ostschweizer Metropole.
Auch ein Blick über die Grenze zeigt, was Kultur bewirken kann, der Name Bregenz ist mit seinen Festspielen am See untrennbar verbunden. In diesem Jahr haben bisher 128 700 Besuchende dem Kulturspektakel auf der Seebühne beigewohnt.
Wertvolle Kleinveranstaltungen
Das Ausmass des Publikumsinteresses ist nicht einzig massgebende Richtschnur für die Höhe der Förderbeiträge. In einer dünn besiedelten Talschaft kann ein Zustupf der öffentlichen Hand an das Honorar der Chordirigentin ein wesentlicher Beitrag an den gesellschaftlichen Zusammenhalt bewirken. Beiträge an die Kultur können auch in Regionen mit wenigen Treffpunkten zu wertvollen Begegnungsorten für die Bevölkerung der Region werden. So ein Beispiel ist das umgenutzte Schulhaus im Weiler Au bei Fischingen. In ihm finden regelmässig Kleinkunst-Veranstaltungen statt.
Kultur fördert Fähigkeiten
Wie Studien zeigen, steigert regelmässiges Üben in einer Theatergruppe, in einem Chor oder einem Orchester die Fähigkeiten zur Lebensbewältigung: Das genaue Zuhören wird trainiert, das Konzentrationsvermögen wird gesteigert und die Selbstdisziplin nimmt zu. Untersuchungen bei Jugendlichen mit intensivem Musikunterricht konnten verbesserte schulische Leistungen, reduziertes aggressives Verhalten sowie ein stärkeres Selbstbewusstsein nachweisen. Welch beeindruckenden musikalischen Fähigkeiten Jugendliche unter fachkundiger Anleitung entwickeln, veranschaulichen die Swing Kids in Romanshorn sowie die Bläserkids in Wil.
Staatliche Möglichkeiten zur Belebung der Kultur sind sehr vielfältig: Förderbeiträge, Leistungsvereinbarungen, Reduktion oder Erlass von Gebühren sowie von Raummieten in Gemeindeliegenschaften, zur Verfügung stellen von Plakatwänden und digitalen Veranstaltungskalendern, zinslose Darlehen, Anschubfinanzierungen, Preisgelder, Defizitgarantieren und subventionierte Tickets, um auch weniger begüterten Bevölkerungsgruppen den Zugang zu Kultur zu ermöglichen.
Dem bayrischen Kabarettisten Karl Valentin wird folgende Aussage zugeschrieben: «Kultur ist nicht alles, aber ohne Kultur ist alles nichts.» Welche wichtige gesellschaftliche Bedeutung Kulturevents in Städten und Gemeinden haben, zeigte der Lockdown während Covid-Pandemie: Theater, Konzertlokale und Kinos blieben für Wochen geschlossen.
(Bilder: pd; Adrian Zeller)
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
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