Stefan Kölliker (SVP), Regierungsrat und Vorsteher Bildungsdepartement des Kantons St.Gallen.
In St.Gallen soll man schon bald seinen Master in Medizin ablegen können. Grundlage dafür ist ein Ja der Stimmbevölkerung am 10. Juni. Vorarbeiten laufen aber bereits - bevor sich das Stimmvolk geäussert hat. Warum? Und: Gibt es einen Plan B bei einer Ablehnung?
Es ist ohne Frage alles gut gemeint, sauber aufgegleist und bisher weitgehend oppositionslos. Unter dem Begriff «Joint Medical Master» soll es künftig möglich sein, eine Masterausbildung in Humanmedizin in St.Gallen zu absolvieren. Dafür spannen die Universitäten St.Gallen und Zürich zusammen, mit dabei sind auch das Kantonsspital St.Gallen und das Universitätsspital Zürich. Die St.Galler Regierung hatte im Herbst 2016 den Auftrag für die Ausarbeitung eines entsprechenden Projekts gegeben. Im Kantonsrat gab es keinerlei Widerstand. Von links bis rechts fand die Idee Anklang.
Jährlich 2,1 Millionen Franken
Die einzige Hürde, die jetzt noch im Weg stehen könnte, ist das Volk. Denn um in St.Gallen einen «Joint Medical Master» anbieten zu können, muss das Universitätsgesetz angepasst werden. Darüber werden die Stimmberechtigten im Kanton am 10. Juni befinden. Dass es darüber bisher kaum zu Debatten kam, hat wohl den einfachen Grund, dass es keine (offensichtlichen) Gegner der Vorlage gibt. Über die Parteigrenzen hinaus ist es vor allem der akute Ärztemangel, der zu Einigkeit führt. Die Kosten - 17 Millionen Franken für den Aufbau, danach jährlich 2,1 Millionen Franken - tun der Begeisterung keinen Abbruch. Denn das ist zwar nicht gratis, aber schon heute kostet auch jeder St.Galler Medizinstudent, der auswärts studiert, den Kanton Geld.
So viel Einigkeit: Das gibt natürlich Anlass zu Optimismus. Und den legen die Verantwortlichen auch an den Tag. An der Uni St.Gallen hat bereits ein «Projektleiter JMM-SG» die Arbeit aufgenommen, eine umfangreiche Webseite informiert über das Masterstudium, und Anmeldungen sind via swissuniversities bereits möglich - und das wird genutzt. Rund 90 Personen haben bereits bekundet, einen der jährlich 40 Studienplätze haben zu wollen. Bereits sind auch fünf Informationstage in St.Gallen ab November eingeplant.
«Stärkung des Standorts»
Neuland würde mit dem Joint Medical Master auch die Universität St.Gallen betreten. Denn immerhin kennt man diese international vor allem als eine der besten Adressen rund um ein Wirtschaftsstudium. Nun sollen also auch Ärzte am Rosenberg ausgebildet werden. Droht eine Verwässerung des bisher so erfolgreichen Profils? Marius Hasenböhler-Backes, Leiter Kommunikation an der Universität St.Gallen, sieht keine solche Gefahr. «Die Universität St.Gallen ist bereits heute mit Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Recht, Sozialwissenschaften und Internationalen Beziehungen gut und breit aufgestellt und eben mehr als eine reine Business School», sagt er dazu. Mit ihren über 8500 Studierenden und mehr als 3100 Mitarbeitern sowie mit den internationalen Netzwerken leiste man «einen Beitrag an die Entwicklung der Region.» Das Engagement für den Joint Medical Master sehe man auch als Beitrag zur Stärkung des Ostschweizer Wirtschafts- und Bildungsstandortes. Hasenböhler-Backes weiter: «Wir erhoffen uns einen verstärkten Anschluss zum wissenschaftlichen Wachstumssegment der Medizin, Gesundheitsforschung und der Life Sciences, was wir als grosse Chance erachten.». Es ergeben sich laut ihm «gesellschaftlich relevante Fragestellungen im Schnittbereich zu den Kerngebieten der HSG, mit ihren Stärken in den Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften.»
Stefan Kölliker (SVP), Regierungsrat und Vorsteher Bildungsdepartement des Kantons St.Gallen.
Der Kanton und die Universität sind also voller Feuer, was die grossen Pläne angeht und investieren in die Vorbereitung. Was hoffnungsfroh klingt, könnte auch als voreilig bezeichnet werden. Denn immerhin hat es das Stimmvolk in der Hand, die grossen Pläne zu durchkreuzen, selbst wenn das als wenig wahrscheinlich gilt. Was sagt der St.Galler Bildungsdirektor Stefan Kölliker zum Vorwurf, das Fell des Bären zu teilen, bevor er erlegt wird? Im Gespräch mit «Die Ostschweiz» verteidigt er das Vorgehen - und er sagt, was bei einem Nein passieren würde.
Stefan Kölliker, am 10. Juni stimmen die St.Gallerinnen und St.Galler über eine Anpassung des Universitätsgesetzes ab. Bereits jetzt wird offensiv für den Studiengang geworben, es sind auch Anmeldungen möglich. War dieses Vorgehen immer so vorgesehen?
Ja. Da in St.Gallen ein Masterstudiengang angeboten werden soll, müssen die Studierenden ihr dreijähriges Bachelorstudium vorgängig absolvieren. Gemäss dem Anmeldeprozess von swissuniversities entscheiden sich die angehenden Studierenden bereits bei der Anmeldung für einen Studienstandort - und somit auch für eine Region der Schweiz. Die ersten 40 Studierenden des sogenannten St.Galler Tracks haben ihr Grundstudium - das Bachelor-Studium - im Herbst 2017 an der Universität Zürich begonnen. Es ist vorgesehen, dass sie im Herbst 2020 für das Masterstudium nach St.Gallen wechseln. Während des Grundstudiums an der Universität Zürich finden bereits erste Lehrveranstaltungen in St.Gallen statt.
Aber ist es nicht stossend, wenn ein Entscheid an der Urne so gewissermassen vorweggenommen wird?
Im Gegenteil. Der Bundesrat, das Eidgenössische Parlament und der Hochschulrat der Schweizerischen Hochschulkonferenz haben schon im Jahr 2016 einem Sonderprogramm «Erhöhung der Anzahl Abschlüsse in Humanmedizin» zugestimmt und dafür 100 Millionen Franken Anschubfinanzierung freigegeben. Es ist also das erklärte Ziel des Bundes, die Anzahl der Abschlüsse in Humanmedizin zu erhöhen, um dem bestehenden Ärztemangel in der Schweiz entgegen zu wirken. Der Kanton St.Gallen hat zusammen mit der Universität St.Gallen diesen Ball aufgenommen und in Kooperation mit der Universität Zürich eine Möglichkeit gefunden, hier vor Ort aktiv mitzuhelfen, den Ärztemangel zu beheben. Besonders in der Ostschweiz ist dieser gravierend. So besassen im Jahr 2016 rund 44 Prozent aller in der Region tätigen Medizinerinnen und Mediziner ein ausländisches Diplom. Ohne eigenes Studienangebot ist es schwierig, das Potenzial an Medizinstudierenden aus der Region zugunsten der Region auszuschöpfen. Falls das neue Ausbildungsangebot an der Urne scheitern sollte, sind die relativ geringen Initialinvestitionen zu verschmerzen.
Bei einem Nein am 10. Juni, so unwahrscheinlich es sein mag: Was würde danach mit dem geplanten Joint Medical Master geschehen?
Bei einer Ablehnung des Joint Medical Master St.Gallen würde es den Bachelorstudierenden des St.Galler Tracks der Universität Zürich verunmöglicht, ihr Masterstudium in St.Gallen zu absolvieren. Sie würden dann andernorts in der Schweiz weiter studieren. Der Anteil der Bundesgelder aus dem Sonderprogramm Humanmedizin, der bereits an den Kanton St.Gallen ausbezahlt wurde, müsste zurückbezahlt werden.
Sind die Vorarbeiten wie Webseite, Ausschreibung des Studiengangs, Anmeldevorgang und so weiter rein über die Universität St.Gallen beziehungsweise Swissuniversities gelaufen oder hat sich der Kanton hier auch engagiert – mit Arbeit oder Geld?
Der Anmeldevorgang zum Studium in Humanmedizin wird schweizweit zentral über swissuniversities organisiert. Weder die Universität St.Gallen noch der Kanton haben sich diesbezüglich engagiert. Die Webseite des Joint Medical Masters wird von der Universität St.Gallen betrieben und läuft als Unterseite des Auftritts der Universität, vergleichbar mit den Auftritten der verschiedenen Institute. Um dem Stimmvolk bei der Abstimmung eine ausgewogene und durchdachte Vorlage mit Angabe von präzisen Kostenfolgen präsentieren zu können, mussten selbstverständlich seitens der Universität, des Kantonsspitals, des Bildungs- und Gesundheitsdepartements einige Projektarbeiten an die Hand genommen werden.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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