In Wil sollte ein innovatives Marketingtool die Innenstadt beleben. Übriggeblieben ist nichts als Irritation und ein teurer Scherbenhaufen.
Die einen sehen darin ein Wahlkampfmanöver, andere eine Mücke, die zu einem Elefanten auf stilisiert wurde. Viel eher hat sich ein Bär ins politische und juristische Dickicht verlaufen.
Plattform im Cyberspace
Die ebenso wunderliche wie irritierende Geschichte nimmt in der Adventszeit 2021 ihren Anfang: «Wir beschreiten neue Wege zur Belebung unserer wunderschönen Innenstadt», liess sich damals Stadtpräsident Hans Mäder (die Mitte) in einer Medienmitteilung zitieren.
Mit dem Slogan «Wil die bärestarch Erlebnis City» sollte die Äbtestadt mittels einer App aufgewertet werden; der Bär gilt als Wiler Wappentier. Das Ziel war, Kunden, Vereinsmitglieder, Gastronomen sowie Geschäftsinhaber zu vernetzen, eine Art Social Media für Wil.
Überraschung im Stadtparlament
«Der Gedanke der Plattform ist der eines Einkaufszentrums unter freiem Himmel», heisst es dazu schwärmend in der Medienmitteilung. Die App sollte sich positiv von Marketingapps anderer Städte abheben. Auf den Wiler Weihnachtsmarkt im Dezember 2021 ging sie an den Start.
Mitte Juni 2022 platzte im Wiler Stadtparlament plötzliche eine Bombe: FDP-Fraktionschef Adrian Bachmann fragte in einer Interpellation, ob bei der Finanzierung der App alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Für sie wurden dem Stadtfonds 75 000 Franken entnommen, dieser dient der Belebung der Innenstadt.
Im Weiteren wollte Bachmann wissen, ob an der App eine Firma im Privatbesitz des Stadtpräsidenten involviert sei. Die bisher nicht bekannten Umstände löste in der Bevölkerung Irritation aus; die e-City-App büsste erheblich an Glanz ein.
Geschäftsprüfungskommission wurde aktiv
«Bei so einem Vorgang mussten wir mit unseren Abklärungen beginnen», erzählt Luc Kauf (Grüne Prowil), Präsident der Geschäftsprüfungskommission des Stadtparlaments, gegenüber «Die Ostschweiz».
In der Folge zeigte sich, dass tatsächlich eine Firma im privaten Besitz des Stadtpräsidenten involviert ist. Dieser betonte, seine Firma «e-city Bärestarch GmbH» habe er lediglich aus praktischen Gründen eingesetzt, weil die Gründung eines neuen Unternehmens zu langwierig gewesen wäre. Er habe sich keinesfalls persönlich bereichern wollen. Firmensitz ist Eschlikon, wo Hans Mäder zuvor als Gemeindepräsident geamtet hatte.
Wie sich in den Recherchen weiter zeigte, hatte Mäder bei der Vergabe der Gelder aus dem Stadtfonds eine zweifelhafte Doppelrolle eingenommen: Er entschied über die Vergabe von Geldern an sich selber. «Er hatte seine Finanzbefugnisse missachtet», sagt Kauf dazu. «Und er hat die Entscheidungsbefugnis des Stadtparlaments ausgehebelt.»
Gegensätzliche Sichtweisen
Es werde hier etwas aufgebauscht, sagte Mäder damals zu den kritischen Feststellungen im Bericht der GPK und vermutete in einem Zeitungsinterview ein Wahlkampfmanöver.
Allerdings: Prof. Dr. Felix Uhlmann sah nicht politische Taktik hinter den Kritikpunkten der GPK, sondern klare Verstösse gegen gesetzliche Bestimmungen. Die Geschäftsprüfungskommission hatte bei dem Advokaten und Professor der Uni Zürich ein Gutachten in Auftrag gegeben. Darin sollte überprüft werden, ob die Vorhaltungen der Geschäftsprüfungskommission gerechtfertigt sind.
Für den juristischen Fachmann ist die Situation unzweifelhaft: «Die vorstehenden Abklärungen zeigen eindeutige Rechtsverletzungen durch den Stadtpräsidenten und den Stadtrat», resümiert er in seinem Gutachten.
Es seien Ausgaben ohne hinreichende Kredite getätigt und Beiträge an eine Unternehmung des Stadtpräsidenten worden, womit finanzrechtliche und verwaltungsrechtliche Vorgaben ignoriert wurden. «Rechtsfragen scheinen für das Vorgehen des Stadtpräsidenten und des Stadtrates eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben», hält Uhlmann schriftlich fest. Die Kritikpunkte der GPK seien vollumfänglich berechtigt.
Entschuldigung des Stadtrates
Der Stadtrat nahm im September 2023 zum Expertengutachten ausführlich schriftlich Stellung, gestand Fehler ein und gelobte, dass es keine derartigen Vorkommnisse mehr geben werde. «Die aufgeworfene Problem- und Fragestellungen werden heute und inskünftig bei Entscheiden verstärkt thematisiert werden.» Darüber hinaus entschuldigte sich Stadtpräsident Mäder in einer Parlamentssitzung für begangene Fehler.
Die SVP-Fraktion forderte eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK). Die Mehrheit des Stadtparlaments folgte diesem Antrag nicht, weil trotz erheblichem Aufwand kein grosser zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten sei. Zudem seien für den städtischen Haushalt hohe Anwaltskosten durch juristische Auseinandersetzungen zu befürchten.
Erneute Kandidatur
Schliesslich gab der Stadtrat bekannt, dass die e-City App auf Ende 2023 eingestellt werde. Auf die geplanten weiteren Investitionen werde verzichtet.
Hans Mäder seinerseits gab im Herbst 2023, vor der Publikation des GPK-Berichts und des Rechtsgutachtens, öffentlich bekannt, dass er im Herbst 2024 erneut für das Stadtpräsidium kandidieren werde.
Die Affäre gilt als juristisch und politisch abgeschlossen. Ob dies tatsächlich für die Stadtratswahlen im kommenden Herbst so bleibt, wird sich weisen.
(Bilder: PD; Adrian Zeller)
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.