Die Zürcher haben es nicht leicht, wenn sie an der Olma als Gastkanton zeigen wollen, dass sie tolle Kühe, süsse Früchte und schöne Gärten haben.
Zugegeben, es ist nicht ganz einfach: Wenn Kleine sich von der besten Seite zeigen, spendet man gerührt Beifall. Auch wenn das Vorgeführte sogar eher dilettantisch aussieht.
Wenn hingegen Grosse sich von der besten Seite zeigen, ist man unangenehm berührt von der Grossmannssucht, mit der sich der Klassenbeste schon wieder aufspielt. So haben es auch die Zürcher nicht leicht, wenn sie an der Olma als Gastkanton zeigen wollen, dass sie tolle Kühe, süsse Früchte und schöne Gärten haben. Und auch sonst in Forschung, Technik und Bildung Weltklasse sind. Dafür müssen sie auch etwas freundeidgenössischen Spott aushalten. Was ihnen nicht schwerfallen wird. Sie sind ja eh die Grössten, Besten und Schönsten.
Gärten in den Garten oder: Eulen nach Athen
Dabei will der Kanton Zürich, der diesjährige Olma-Gastkanton, ja für einmal gerade nicht protzen: «Familie Zürchers Garten» nennt sich die Sonderschau bescheiden. Was ja fast nach dem «bluemete Trögli» von einst tönte – wenn man nicht wüsste, dass eines der trendigsten Lokale im trendigen Kreis 5, am Fusse des Prime Tower, «Frau Gerolds Garten» heisst. Tatsächlich haben die Zürcher ihren eigenen Garten mitgenommen, der eine «Oase mitten im Messerummel» werden soll. Zürcher, die in St.Gallen für Ruhe und Kontemplation sorgen wollen? Na ja. Eulen nach Athen tragen, nannte man das einst.
Denn man denkt beim Stichwort «Garten» ja nicht unbedingt an die Agglomeration Zürich, auch «Millionen-Zürich» genannt. Sondern doch eher an die Ostschweiz, an den lieblichen Thurgau zumal, den Schillers Tell mit dem schönen Zitat «Und wie ein Garten ist das Land zu schauen» gemeint haben könnte. Aber auch der vielfältige Kanton St.Gallen bietet ja viele Garten-Aspekte, besonders den Grünen Ring um die Hauptstadt, in dem die reichen Textilkaufleute einst ihre Schlösschen bewohnten. Von den pittoresken Högern, Bergen und Tälern des Alpsteins gar nicht zu reden. Übrigens, bitte, liebe Zürcher: Es heisst nicht «im Appenzell»! Wenn ihr schon nicht wisst, von welchem der beiden Appenzeller Halbkantone Ihr gerade redet, dann eben «Appenzellerland»!
Familie Zürcher wohnt meist in der Agglomeration
Nein, als Hochburg der Gartenbaukunst ist die Agglomeration Zürich mit ihren dichtbesiedelten Ausläufern bis weit in den Aargau hinein nicht bekannt. Ich sage nur: Spreitenbach. Nach Zürich fährt man, um sich im Kreis 4 – einst eher im Niederdorf – mit ausgehwütigen Aargauern zu treffen. Das waren die mit den weissen Socken, die sie heute nicht mehr anziehen, während sie – gerne in Sandalen – als letzter Schrei wieder vom städtischen In-People getragen werden. Oder aber sie fahren zur Arbeit, denn inzwischen sind Ostschweizer Kleinstädte wie Frauenfeld, Wil oder gar Rapperswil längst zu Schlafsiedlungen für Tausende von Pendlern geworden. Was sich nicht zuletzt an der Höhe der Mieten und Immobilienpreise ablesen lässt, die für Zurückgebliebene, pardon: Einheimische zum veritablen Problem geworden sind.
Grossstädter, das kann man auf der ganzen Welt beobachten, reisen ungern in ihr Umland. Wo es von allem weniger gibt: Menschen, Trendlokale, schicke Läden mit den richtigen Labels, angesagte Clubs, wo einen die Türsteher erkennen. Wenn das Premium-Handgepäck gepackt wird, endet der Schweizer Teil der Reise am Flughafen. Von wo man nach Destinationen in aller Welt abfliegt. Und wo man stets sehr viel mehr Gleichaltrige aus der Generation Z antrifft als an jeder Klima-Demo.
Klosterplatz oder Paradeplatz? Na also!
So verpassen Zürcher, die noch nie zu Fuss in der umliegenden Provinz unterwegs waren, Stadtansichten, die ihnen in ihrer Heimattown verwehrt sind. Etwa die grosszügige Weite von Plätzen wie jener im St.Galler Klosterviertel. Derweil ein Zürcher Platz, der sich stolz «Parade»platz nennt, eigentlich nur aus einem mittelgrossen Tramhäuschen besteht, das auf allen Seiten von Gleisen umgeben ist. Mehr ist da nicht. Oder das Museumsquartier gleich neben dem Olma-Areal mit dem neu herausgeputzten Paillard-Bau des Theaters, der das Zeug dazu hat, zur Architekturikone zu werden. Im Kulturmuseum unweit vom Theater liegt das Kulturmuseum, das gerade eine Sonderausstellung zum Toggenburger Mathematiker, Uhrmacher und Astronomen Jost Bürgi mit dem Titel «Schlüssel zum Kosmos» beherbergt. Richtig: Das ist der geniale Instrumentenbauer, dessen berühmter Himmelsglobus immer noch im Zürcher Landesmuseum zu bewundern ist. Raubkunst also! Vielleicht wäre es angebracht, die bisher abgeschmetterten St.Galler Restitutionsforderungen zu erneuern…
Aber natürlich gibt es an der Olma ausser den zürcherischen Mitbringseln auch so genug zu sehen. Fern der Grossstadt, wo in Kitas und Altersheimen kein Fleisch mehr aufgetischt werden soll, kann man sich noch den kräftigen Biss in eine Olma-Bratwurst erlauben, kann ohne schlechtes Gewissen Säulirennen und Kuhwettreiten bewundern. Dinge, die in der Stadt an der Limmat wohl sogleich zu Protesten von Tier- und Umweltschützern führen würden. Genau so wie der Umritt verkleideter Banker und Manager hoch zu Pferd um den Böögg. Und zwar nicht wegen der zum Teil fragwürdigen Reitkünste der «Zöifter», sondern aus Prinzip. Denn Prinzipien, vor allem moralische, sind in Zürich zurzeit hoch im Schwange. Was man nicht mehr sagen, was man schreiben, wie man sich kleiden soll, wird von der rot-grünen Sittenpolizei inzwischen mindestens so streng vorgeschrieben wie zur Zeit der alten Sittenmandate.
Wie auch immer: Willkommen!
Gottseidank besteht der Kanton Zürich aber nicht nur aus der Hauptstadt an der Limmat und deren Bewohnern. Sondern auch aus sympathischen ländlichen Gebieten wie dem Oberland, dem Weinland oder sogar dem ennetrheinischen Rafzerfeld. Es ist fast anzunehmen, dass an der Olma aus den bisher erwähnten Gründen mehr Zürcher aus Sternenberg, Andelfingen oder vielleicht noch Winterthur zu sehen sind als solche aus der Hauptstadt. Weil letztere vermutlich draussen vor Gerolds Garten in die Sonne blinzeln und ihren Caffè latte schlürfen – natürlich vegan.
Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.
1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.
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