logo

Gastkommentar

Olma-Gastkanton: Familie Zürcher Goes East

Die Zürcher haben es nicht leicht, wenn sie an der Olma als Gastkanton zeigen wollen, dass sie tolle Kühe, süsse Früchte und schöne Gärten haben.

Gottlieb F. Höpli am 11. Oktober 2023

Zugegeben, es ist nicht ganz einfach: Wenn Kleine sich von der besten Seite zeigen, spendet man gerührt Beifall. Auch wenn das Vorgeführte sogar eher dilettantisch aussieht.

Wenn hingegen Grosse sich von der besten Seite zeigen, ist man unangenehm berührt von der Grossmannssucht, mit der sich der Klassenbeste schon wieder aufspielt. So haben es auch die Zürcher nicht leicht, wenn sie an der Olma als Gastkanton zeigen wollen, dass sie tolle Kühe, süsse Früchte und schöne Gärten haben. Und auch sonst in Forschung, Technik und Bildung Weltklasse sind. Dafür müssen sie auch etwas freundeidgenössischen Spott aushalten. Was ihnen nicht schwerfallen wird. Sie sind ja eh die Grössten, Besten und Schönsten.

Gärten in den Garten oder: Eulen nach Athen

Dabei will der Kanton Zürich, der diesjährige Olma-Gastkanton, ja für einmal gerade nicht protzen: «Familie Zürchers Garten» nennt sich die Sonderschau bescheiden. Was ja fast nach dem «bluemete Trögli» von einst tönte – wenn man nicht wüsste, dass eines der trendigsten Lokale im trendigen Kreis 5, am Fusse des Prime Tower, «Frau Gerolds Garten» heisst. Tatsächlich haben die Zürcher ihren eigenen Garten mitgenommen, der eine «Oase mitten im Messerummel» werden soll. Zürcher, die in St.Gallen für Ruhe und Kontemplation sorgen wollen? Na ja. Eulen nach Athen tragen, nannte man das einst.

Denn man denkt beim Stichwort «Garten» ja nicht unbedingt an die Agglomeration Zürich, auch «Millionen-Zürich» genannt. Sondern doch eher an die Ostschweiz, an den lieblichen Thurgau zumal, den Schillers Tell mit dem schönen Zitat «Und wie ein Garten ist das Land zu schauen» gemeint haben könnte. Aber auch der vielfältige Kanton St.Gallen bietet ja viele Garten-Aspekte, besonders den Grünen Ring um die Hauptstadt, in dem die reichen Textilkaufleute einst ihre Schlösschen bewohnten. Von den pittoresken Högern, Bergen und Tälern des Alpsteins gar nicht zu reden. Übrigens, bitte, liebe Zürcher: Es heisst nicht «im Appenzell»! Wenn ihr schon nicht wisst, von welchem der beiden Appenzeller Halbkantone Ihr gerade redet, dann eben «Appenzellerland»!

Familie Zürcher wohnt meist in der Agglomeration

Nein, als Hochburg der Gartenbaukunst ist die Agglomeration Zürich mit ihren dichtbesiedelten Ausläufern bis weit in den Aargau hinein nicht bekannt. Ich sage nur: Spreitenbach. Nach Zürich fährt man, um sich im Kreis 4 – einst eher im Niederdorf – mit ausgehwütigen Aargauern zu treffen. Das waren die mit den weissen Socken, die sie heute nicht mehr anziehen, während sie – gerne in Sandalen – als letzter Schrei wieder vom städtischen In-People getragen werden. Oder aber sie fahren zur Arbeit, denn inzwischen sind Ostschweizer Kleinstädte wie Frauenfeld, Wil oder gar Rapperswil längst zu Schlafsiedlungen für Tausende von Pendlern geworden. Was sich nicht zuletzt an der Höhe der Mieten und Immobilienpreise ablesen lässt, die für Zurückgebliebene, pardon: Einheimische zum veritablen Problem geworden sind.

Grossstädter, das kann man auf der ganzen Welt beobachten, reisen ungern in ihr Umland. Wo es von allem weniger gibt: Menschen, Trendlokale, schicke Läden mit den richtigen Labels, angesagte Clubs, wo einen die Türsteher erkennen. Wenn das Premium-Handgepäck gepackt wird, endet der Schweizer Teil der Reise am Flughafen. Von wo man nach Destinationen in aller Welt abfliegt. Und wo man stets sehr viel mehr Gleichaltrige aus der Generation Z antrifft als an jeder Klima-Demo.

Klosterplatz oder Paradeplatz? Na also!

So verpassen Zürcher, die noch nie zu Fuss in der umliegenden Provinz unterwegs waren, Stadtansichten, die ihnen in ihrer Heimattown verwehrt sind. Etwa die grosszügige Weite von Plätzen wie jener im St.Galler Klosterviertel. Derweil ein Zürcher Platz, der sich stolz «Parade»platz nennt, eigentlich nur aus einem mittelgrossen Tramhäuschen besteht, das auf allen Seiten von Gleisen umgeben ist. Mehr ist da nicht. Oder das Museumsquartier gleich neben dem Olma-Areal mit dem neu herausgeputzten Paillard-Bau des Theaters, der das Zeug dazu hat, zur Architekturikone zu werden. Im Kulturmuseum unweit vom Theater liegt das Kulturmuseum, das gerade eine Sonderausstellung zum Toggenburger Mathematiker, Uhrmacher und Astronomen Jost Bürgi mit dem Titel «Schlüssel zum Kosmos» beherbergt. Richtig: Das ist der geniale Instrumentenbauer, dessen berühmter Himmelsglobus immer noch im Zürcher Landesmuseum zu bewundern ist. Raubkunst also! Vielleicht wäre es angebracht, die bisher abgeschmetterten St.Galler Restitutionsforderungen zu erneuern…

Aber natürlich gibt es an der Olma ausser den zürcherischen Mitbringseln auch so genug zu sehen. Fern der Grossstadt, wo in Kitas und Altersheimen kein Fleisch mehr aufgetischt werden soll, kann man sich noch den kräftigen Biss in eine Olma-Bratwurst erlauben, kann ohne schlechtes Gewissen Säulirennen und Kuhwettreiten bewundern. Dinge, die in der Stadt an der Limmat wohl sogleich zu Protesten von Tier- und Umweltschützern führen würden. Genau so wie der Umritt verkleideter Banker und Manager hoch zu Pferd um den Böögg. Und zwar nicht wegen der zum Teil fragwürdigen Reitkünste der «Zöifter», sondern aus Prinzip. Denn Prinzipien, vor allem moralische, sind in Zürich zurzeit hoch im Schwange. Was man nicht mehr sagen, was man schreiben, wie man sich kleiden soll, wird von der rot-grünen Sittenpolizei inzwischen mindestens so streng vorgeschrieben wie zur Zeit der alten Sittenmandate.

Wie auch immer: Willkommen!

Gottseidank besteht der Kanton Zürich aber nicht nur aus der Hauptstadt an der Limmat und deren Bewohnern. Sondern auch aus sympathischen ländlichen Gebieten wie dem Oberland, dem Weinland oder sogar dem ennetrheinischen Rafzerfeld. Es ist fast anzunehmen, dass an der Olma aus den bisher erwähnten Gründen mehr Zürcher aus Sternenberg, Andelfingen oder vielleicht noch Winterthur zu sehen sind als solche aus der Hauptstadt. Weil letztere vermutlich draussen vor Gerolds Garten in die Sonne blinzeln und ihren Caffè latte schlürfen – natürlich vegan.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Gottlieb F. Höpli

Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.

1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.