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Eine Entgegnung

«Pride»-Flagge: SVP-Politiker Hermann Lei im Trump-Fahrwasser

Der Thurgauer Skandalpolitiker Hermann Lei (SVP) beschäftigt sich offenbar lieber mit einer «Pride»-Flagge, die für die Gleichstellung von sexuellen Minderheiten wirbt, als mit den echten Problemen der Thurgauer Politik. Dieser Ansicht ist Gastautor Daniel P. Wiedmer.

Gastbeitrag «Die Ostschweiz» am 30. Juli 2024

Vor der PHTG, einer Thurgauer Mini-Universität zur Lehrerausbildung, wehte pünktlich zu Beginn des Pride-Months die Pride-Flagge auf dem Vorplatz. Eine Aktion, die SVP-Politiker Hermann Lei in einem Gastkommentar kritisierte.

Es stellt sich die Frage, warum eine Regenbogenflagge ein so rotes Tuch für den Mann ist, dass es gleich vier Kantonsräte braucht zur Verteidigung gegen den schwul-lesbischem Einfluss auf angehende Lehrerinnen und Lehrer an der Pädagogischen Hochschule des Kantons Thurgau. Zudem hing eine Regenbogenflagge zwei Jahre zuvor während dem ganzen «Pride»-Monat vor dieser Hochschule, ohne dass Lei sich darüber echauffiert hätte wie aktuell.

Die Antwort ist nicht im Thurgau zu finden, sondern im nationalen Kontext zu suchen. Die ultrakonservative, am äusserst rechten Rand der Schweizer Politik stehende Zeitschrift «Schweizerzeit» veröffentlichte allein in den letzten 30 Tagen auf ihrer Homepage vier Beiträge, die sich gegen die LGBTQ+-Community richten. Darunter war ein Artikel, in dem die Leserinnen und Leser aufgefordert werden, als Ablehnung der «Pride»-Flagge eine Schweizerfahne in ihrer Signatur zu platzieren. Und raten Sie mal, von wem einer dieser Texte stammt … in der «Schweizerzeit» erschien Ende Juni der genau gleiche Text von Lei, den auch die «Ostschweiz» am 2. Juli publizierte.

Diese Kampagne gegen schwul-lesbische Themen schwimmt im Fahrwasser der Trump’schen MAGA-Bewegung («Make America Great Again»), in der auch rechtsextreme Elemente und Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit zu finden sind, sowie Tendenzen in Europa, wie etwa in Polen, das LGBT-frei Zonen ausgerufen hat, oder in Ungarn, wo Viktor Orbán eine homosexuellen- und transgenderfeindliche Politik verfolgt. In Russland sind die Bedingungen noch härter – positive Äusserungen über Homosexualität in Anwesenheit Minderjähriger sind verboten (Aufklärung damit unmöglich), und Homosexuelle werden im Strafrecht mit härteren Strafen belegt als Heterosexuelle. Natürlich ist auch eine anerkannte Partnerschaft oder Ehe für Schwule und Lesben nicht möglich. Die «Pride»-Flagge soll auf diese Diskriminierung und Verfolgung von Schwulen und Lesben hinweisen – sie ist also in erster Linie ein soziales Anliegen, kein politisches.

Die Kampagne der «Schweizerzeit» zielt letztlich darauf ab, schwule und lesbische Themen zurückzudrängen, ihre Sichtbarkeit zu minimieren und das Rad der Zeit zurückzudrehen. Es ist unerträglich, wenn weder die Thurgauer Politik noch die «Ostschweiz» merkt, in wessen Kielwasser sie schwimmt. Es ist unerträglich, wenn die «Schweizerzeit» die Schweizer Fahne für ihr rechtes Gedankengut usurpiert. Und es ist unerträglich, dass ein Lei in der «Ostschweiz» gegen eine farbige und pluralistische Schweiz schreiben darf und stattdessen die Farben der Regenbogenflagge in seinem geistigen Süppchen zusammenmischt.

Die Schwulen- und Lesbenbewegung hat in den letzten 100 Jahren viel erreicht. In meiner Jugend musste sie sich für die Abschaffung des «Schwulenparagrafen» im Sexualstrafrecht einsetzen, mit dem gleichgeschlechtlicher Sex mit und zwischen unter 20-Jährigen unter Strafe gestellt war. Danach ging es um Selbstfindung, um die anständige Bewältigung der Aids-Krise und schliesslich um die Einführung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft und in der Folge der Ehe für alle.

Diese Erfolge bleiben fragil. Ständige Angriffe – wie diese von Lei – möchten diese Errungenschaften wieder abschaffen. Sie führen ausserdem dazu, dass es wieder salonfähig wird, Minderheiten im öffentlichen Raum zu beleidigen, anzugreifen und zu verprügeln, ein Problem, das in der Schweiz auch an Schulen im Zunehmen begriffen ist. Wer diesen Stimmen eine Plattform gibt, muss sich fragen lassen, warum er diese Angriffe auf Minderheiten mit einer Veröffentlichung unterstützt, statt sie kritisch zu hinterfragen. Einfach den Titel «Gastkommentar» zu einem Text aus einem anderen Medium hinzuzufügen ist keine Rechtfertigung für die Förderung von Gedankengut, das vor einigen Jahrzehnten noch in Konzentrationslagern endete.

Daniel P. Wiedmer, Frauenfeld

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