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Gastkommentar

Recht auf Recht

Die Schweiz belegte im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International im Jahr 2022 den siebten Platz und gehört mit 82 von 100 mögliche Punkten zu einem Vorzeigeland. Wahrnehmungsindex. Läuft hierzulande alles dermassen sauber ab, oder schauen wir gezielt weg?

Josip Sunic am 26. Februar 2023

Von Regeln, Gesetzen und Gerichten

Bereits im Kindesalter wurde uns beigebracht, dass wir Regeln befolgen müssen. Süssigkeiten gab es erst, wenn man das ganze Gemüse aufgegessen hatte. Fernsehen durfte man nur an Freitagabenden und auch dann nur, wenn die Hausaufgaben gemacht wurden und das Zimmer aufgeräumt war. Die Schwestern durfte man nicht schlagen, auch wenn diese gemein waren oder gar böse Wörter geäussert hatten. Im zarten Kindergartenalter waren unsere Eltern Gesetzgeber, Richter und Henker zugleich. Wenn Regeln nicht befolgt wurden, gab es Konsequenzen.

Ab dem Jugendalter waren wir zunehmend mit Gesetzen konfrontiert, welche es zu befolgen galt. Wer ohne gültigen Fahrausweis im ÖV unterwegs war, erhielt eine Busse. Vor Gericht landete man deshalb nicht, da der Gesetzgeber den Betrieben die Kompetenz gegeben hat, diese Bussen selbst auszustellen. Man hätte solche Bussen zwar vor Gericht anfechten können, aber niemand hat dies gemacht, weil man sich der eigenen Schuld bewusst war. Selbst Straftaten wie ein Ladendiebstahl oder das Frisieren eines Mofas im Jugendalter wurden mit einem einfachen Strafbefehl erledigt.

Auch im Erwachsenenalter haben die wenigsten von uns etwas mit Gerichten zu tun. Jede und jeder weiss, dass es sich bei der Schweiz um einen Rechtsstaat handelt und die geltenden Gesetze befolgt werden. Es drohen teils gravierende Konsequenzen, bis hin zu Freiheitsstrafen, wenn man Gesetze missachtet. In unserem Staat kann zudem jede Person wegen jeder erdenklichen Sache eine Strafanzeige erstatten oder eine Klage einreichen. Genau deshalb versuchen Frau und Herr Schweizer stets, Gesetze einzuhalten und Meinungsverschiedenheiten einvernehmlich zu lösen.

Wenn der Fall dann doch mal eintritt und man vor Gericht ziehen muss, z.B. wegen einer Baubewilligung oder vor ein solches gezerrt wird, weil sich der Nachbar vom Schatten der hohen Weisstanne gestört fühlt und diese gefällt haben will, kann man sich in der Schweiz glücklich darüber schätzen, dass unabhängige Richter entscheiden und die Gesetzgeber auf nationaler und kantonaler Ebene gute Arbeit geleistet haben.

Gesetzesdschungel und Juristendeutsch

Seien wir ehrlich: Wer hat sich jemals aus Langeweile oder Interesse mit den weit über tausend Artikeln des Schweizer Obligationenrechts auseinandergesetzt und dazu noch Leitentscheide des Bundesgerichts zu einzelnen Rechtsfragen studiert? Fast vierhundert Artikel des Strafgesetzbuches analysiert, um zu wissen, was überhaupt strafbar ist und was nicht? Beinahe fünfhundert Artikel der Strafprozessordnung verdaut, nur um zu erfahren, wie ein Strafverfahren genau abzulaufen hat? Ganz zu schweigen von hunderten Kommentaren zu spezifischen Rechtsfragen, welche sich gegenseitig widersprechen.

Liebe Leserinnen und Leser, nicht einmal Anwältinnen und Anwälte kennen alle Gesetze und spezialisieren sich genau deshalb auf Teilgebiete des Rechts. In diesem Beitrag geht es nicht darum, ob einzelne Gesetze Freiraum zur Interpretation gelassen haben oder nicht. Es geht darum, dass, zumindest aus meiner Sicht, die Grundsätze eines Rechtsstaates und die Bundesverfassung der Schweiz mit Füssen getreten werden und selbst einfachste Gesetze, welche für jeden Laien sofort verständlich sind, von vollamtlichen Richtern bewusst ignoriert oder absichtlich vollkommen widersprüchlich falsch angewendet werden, damit Freunde dieser Richter vor dem Gesetz geschützt werden. Sie glauben mir nicht? Lesen Sie weiter.

Grundsätze eines Rechtsstaates

Bei jeder Person, welche zum ersten Mal im Leben plötzlich eine Vorladung für eine Schlichtungsverhandlung oder eine Klage von einem Gericht zugestellt bekommt, dürfte der Puls gewaltig in die Höhe geschnellt sein. Nach dem Beizug eines Rechtsbeisstandes kehrt dann schnell wieder Ruhe und Langeweile ein. Nach ein paar Jahren und wenigen Schriftenwechseln ist der Prozess vorbei. Man weiss danach, dass alles halb so wild ist. Schliesslich gibt es Gesetze. Solange man sich an diese hält, wird man vor Gericht auch Recht bekommen.

Richter sind dazu da, dafür zu sorgen, dass Gesetze eingehalten werden. In unseren Breitengraden haben Richter den höchsten gesellschaftlichen Stellenwert, höher als Politiker, Ärzte und Anwälte vereint.

Stellen Sie sich nun aber folgende Situation vor: Sie erhalten einen Gerichtsentscheid. Die Richter zitieren in diesem Entscheid Gesetze und Rechtsprechung, welche allesamt zu Ihren Gunsten sind. Alle Beweismittel sprechen dafür, dass man Ihnen Recht geben muss. Sie sind bei der letzten Seite des Entscheids angelangt und stellen mit Entsetzen fest, dass die Gegenpartei, trotz klarer Ausgangslage zu Ihren Gunsten, recht bekommen hat und sie den Prozess verloren haben.

Voller Erstaunen rufen Sie ihren Anwalt an und fragen ihn, was das soll. Dieser ist genauso perplex wie Sie selbst. Sie kennen einen befreundeten Anwalt und leiten diesem das Urteil weiter. Er kommt zum selben Schluss und ist der Ansicht, dass mit dem Urteil etwas gewaltig nicht in Ordnung ist. Richter sind eben auch nur Menschen, die Fehler machen. Genau deshalb gibt es im Schweizer Rechtssystem mehrere Instanzen.

Instanzenspiel und Machtmissbrauch

Gegen das Ihrer Ansicht nach willkürliche Urteil wird eine Beschwerde eingereicht. Keine halbpatzige Beschwerde, auf welche nicht eingetreten wird, sondern eine fundierte Beschwerde, in welcher alle Fehler und Rechtsverletzungen des erstinstanzlichen Urteils aufgezeigt und gerügt werden.

Nach einem Jahr erhalten Sie den Entscheid der Beschwerdeinstanz. Diese weist die Beschwerde ab. Bei Durchsicht des Urteils stellen Sie fest, dass sämtliche Argumente, welche auf Fehler im erstinstanzlichen Urteil hinweisen, vollkommen ignoriert wurden. Ihre eigenen Parteibehauptungen wurden verdreht und kritische Beweismittel vollständig ignoriert Wohl oder übel muss der Fall an das Bundesgericht weitergezogen werden.

Bis zu diesem Zeitpunkt sind Ihnen bereits Kosten von zehn-, wenn nicht hunderttausenden Schweizer Franken entstanden. Wie zur Hölle ist dies möglich, fragen Sie sich, während Sie den Stand ihrer Sparkonten studieren, um zu entscheiden, ob Sie den Fall tatsächlich ans Bundesgericht weiterziehen wollen. Ihr Anwalt hat sie darauf hingewiesen, dass die Erfolgschancen beim Bundesgericht verschwindend klein sind und der Aufwand aufgrund der vollkommen willkürlichen Entscheide der Vorinstanzen gewaltig sein wird, damit die Beschwerde beim Bundesgericht überhaupt die kleinste Chance hat.

Es geht um Millionenbeträge und ihre gesamte Existenz. Sie sind gezwungen, eine Hypothek aufzunehmen, um die Gerichts- und Anwaltskosten finanzieren zu können. Willkommen in der Realität unseres Rechtssystems, welches für einen Rechtsstaat doch aussergewöhnlich kostspielig ist. Die Rechtsschutzversicherung macht längst nicht mehr mit und hat schnellstmöglich einen Grund gefunden, um sich aus der Verantwortung zu ziehen. Sie sind auf sich allein gestellt.

Sie googeln mal die Richterinnen und Richter, welche die Ihrer Meinung nach vollkommen absurden und willkürlichen Urteile gefällt haben. Und siehe da: Der Anwalt der milliardenschweren Gegenpartei ist faktisch der Chef der Personen, welche in der ersten Instanz entschieden haben und übt über diese die Aufsicht aus. Der Anwalt der Gegenpartei ist aber auch Vizepräsident der zweiten Instanz. Nun gut, immerhin hat er nicht selbst am Entscheid mitgewirkt und wurde in den Ausstand versetzt. Mit Entsetzen stellen Sie aber fest, dass der Ersatzrichter, welcher den Anwalt der Gegenpartei als Richter ersetzt hat, nebenbei mit der Frau des Anwaltes der Gegenpartei zusammenarbeitet. Wie bitte? Der Umstand, dass der Anwalt der Gegenpartei auch noch Zeugen gleich selbst vertritt und mit eingeschriebenen Briefen und Drohungen versucht hat, diese zu Aussagen zu nötigen, verkommt da fast zur Nebensache.

Was macht man in so einer Situation? Fluchen? Toben? Demonstrieren? Sich bei der Autobahneinfahrt auf die Strasse kleben? Warten, bis das Bundesgericht entscheidet und den Fall für einen neuen Entscheid an die Vorinstanz zurückschickt, damit das Spiel mit denselben Richtern, welche mit der Gegenpartei gemütlich Golf spielen, wieder von vorne beginnt?

Ein Rechtsstaat, der keiner ist

Meine Damen und Herren, wenn wir in der Zeitung lesen würden, dass solche Konstellationen und Zustände in Gerichten in Russland herrschen, welches den 137. Platz des Korruptionsindexes belegt, wären hierzulande die Strassen voll mit Demonstranten, welche die Einhaltung von Grundrechten fordern. Die Rede ist hier aber nicht von Gerichten in Russland oder einem Drittweltland, sondern von Gerichten in unserem eigenen Kanton St. Gallen.

Bei solchen Themen schweigt man in der Regel, bis man selbst davon betroffen ist. Genau das machen aktuell auch unsere Politiker, welche die Verantwortung für dieses Debakel hin und herschieben. Eine Gegenpartei, welche über dem Gesetz steht, weil sie selbst gleichzeitig Klägerin, Beklagte und Richterin ist. Und das alles ist legal und gesetzeskonform. Hier hat der Gesetzgeber, der St. Galler Kantonsrat, offensichtlich mächtig Mist gebaut.

Was kann man tun, damit man eines Tages nicht selbst unter die Räder kommt, weil man z.B. das Land des Grossvaters oder sein Eigenheim nicht verkaufen möchte, damit dort eine neue Überbauung entstehen kann? Man muss jede St. Galler Kantonsrätin und jeden Kantonsrat, den man kennt, dazu auffordern, dass die Gesetze umgehend so angepasst werden, dass Richter nicht mehr vor ihren eigenen Gerichten prozessieren dürfen. Das bereits vorgefallene muss aufgearbeitet sowie unter straf- und staatsrechtlichen Aspekten untersucht werden.

Wahlverfahren für Richterinnen und Richter dürfen nicht mehr so ablaufen, dass alle Kantonsräte der Wahl zustimmen, ohne überhaupt zu wissen, wer da eigentlich in solch wichtige Ämter gewählt wird. Sie glauben mir nicht? Schauen Sie sich die Aufzeichnung der letzten Session des St. Galler Kantonsrates an.

Solch krasse Missstände dürfen nicht unter den Teppich gekehrt werden. Unabhängig davon, wer Recht hat, hat jeder das Recht darauf, dass es in Gerichtsverfahren mit rechten Dingen zu- und hergeht. Auch im Kanton St. Gallen.

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Josip Sunic

Josip Sunic (*1990) ist Gründer des Schweizer PC-Herstellers Prime Computer AG sowie des Startups AppArranger AG, einer Buchungsplattform für Dienstleistungen. Daneben ist er Mitglied des Expertenkomitees von Startfeld, dem Ostschweizer Förderverein für Startups.

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