Die lateinische Inschrift am Uhrwerk.
In einer Pariser Galerie ist eine astronomische Uhr aus dem 17. Jahrhundert St.Galler Ursprungs aufgetaucht. Von Privaten unterstützt ist das kostbare Stück nun in die Heimat zurückgekehrt. Die Museumsdirektion hat es heute Mittwoch stolz den Medien präsentiert.
Den entscheidenden Hinweis auf den St.Galler Ursprung hat die lateinische Signatur auf der Hinterseite des Uhrwerks geliefert. In Latein steht da in Ich-Form, als hätte die Uhr eine Seele: «Johann Ulrich Burgle aus Ulm fertigte mich 1647 in St.Gallen.» Dem Kulturmuseum St.Gallen, vormals Historisches und Völkerkundemuseum, ist es gelungen, die einzigartige astronomische Uhr einer Pariser Galerie abzukaufen. «Einen derart wichtigen Sammlungseingang gibt es nur selten. Ein wahrer Glücksfall», sagt Museumsdirektor Peter Fux.
Die lateinische Inschrift am Uhrwerk.
Erste Nachforschungen, bei denen der klassische Philologe, pensionierte Kantonsschullehrer und ehemalige grüne Stadtparlamentarier Clemens Müller massgeblich mitgeholfen hat, führten nach Ulm und anschliessend nach St.Gallen. Ein Uhrmacher aus Ulm, Johann Ulrich Bürgle, so der aktuelle Stand der Ermittlungen, wurde in den 1640er-Jahren von einem unbekannten Auftraggeber nach St.Gallen geholt, um das kostbare und aufwendig gefertigte Prachtstück anzufertigen.
Der klassische Philologe Clemens Müller, ehemaliger Fraktionspräsident Grüne im St.Galler Stadtparlament.
Dies ergibt sich unter anderem aus dem Briefwechsel zwischen dem Ulmer Architekten, Mathematiker und Chronisten Joseph Furttenbach und dem St.Galler Arzt, Intellektuellen und Bürgermeister Sebastian Schobinger aus dem Jahr 1646, den Clemens Müller und der Historiker Peter Müller in den St.Galler Archiven ausgegraben haben. Auch in weiteren Dokumenten ist Uhrmacher Bürgle, Bürglin oder Bürckhle erwähnt und klar der Uhr mit St.Galler Auftraggeber zuzuordnen.
Peter Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Kulturmuseum St.Gallen.
Die Uhr weist eine Altarform und Hunderte bemerkenswerter Details auf, was sie in Sammlerkreisen begehrt macht, sagt Peter Fux, Direktor des Kulturmuseums St.Gallen, an der Medienorientierung von heute Mittwoch. Die Uhr zeichne sich durch formschöne Komposition, die Farbgebung und eine sorgfältige Bemalung aus.
Mit Brigitte Vinzens, Leiterin des Uhrenmuseums Winterthur, war der Museumsdirektor im Mai nach Paris gereist, wo sich der erste Eindruck bestätigte, dass es sich um ein einmaliges, «vorzügliches» Stück handelte. Die Uhr wurde reserviert.
Peter Fux, Direktor Kulturmuseum St.Gallen.
Nach kurzer Zeit waren Stiftungen sowie Gönnerinnen und Gönner gefunden, die den Wert der Investition erkannten und ihre Unterstützung zusicherten. Der Preis der Uhr bewegt sich im sechsstelligen Bereich, wie das Museum auf Anfrage von «Die Ostschweiz» bestätigt. Im Übrigen wird über die Kaufhöhe nicht kommuniziert.
Die Verantwortlichen betonen die historische Einzigartigeit der Erwerbung: «Der St.Galler Barock ist noch verhältnismässig wenig erforscht. Diese Uhr bringt uns einen grossen Schritt weiter», so Clemens Müller.
Monika Mähr, stellvertretende Direktorin Kulturmuseum St.Gallen.
Wie die Uhr nach Paris gekommen ist, wird Gegenstand weiterer Forschung sein. «Wir würden das natürlich sehr gern herausfinden», sagt die stellvertretende Museumsdirektorin Monika Mähr. Zu den Gönnerinnen und Gönnern gehören die Ortsbürgergemeinde St.Gallen, die Stiftungen Metrohm, Dietschweiler, Steinegg sowie Hans und Wilma Stutz.
Das Uhrengehäuse ist aus schwarz gefärbtem Eibenholz gefertigt. Im Giebelfeld halten zwei Nymphen das aus vergoldeter Bronze gefertigte Wappen mit dem Bild einer Ruine links und drei schmalen Bäumen, vielleicht Ulmen, rechts. Es könnte das Wappen des Uhrmachers sein.
Die seitlichen Turmelemente sind vergoldet, ebenso die kupfernen Zierappliken und der Fries. Das Uhrwerk aus handgeschnittenen und -gefeilten Zahnrädern wird von einer Feder angetrieben.
Um die abnehmende Kraft der sich entspannenden Feder zu kompensieren, wurde laut Fachleuten eine sogenannte Schnecke eingebaut, um die sich die mit der Feder verbundene Darmsaite wickelt. Die Schnecke kompensiert in der Form einer Übersetzung die abnehmende Federkraft und sorgt für eine gleichmässige Kraftabgabe an das Uhrwerk.
Interessanterweise sei die Schnecke dieser Uhr aus Holz gefertigt, anstatt wie üblich aus Metall. Sie lasse an die Ostschweizer Holzräderuhren erinnern.
Uhrzeit und Kirchenfesttage auf Zifferblättern
Im oberen zentralen Ziffernblatt ist die Uhrzeit abzulesen, schräg rechts unterhalb wird der Stand im Zodiak gezeigt, der mondsichelförmige Zeiger links gegenüber verweist auf die variablen Kirchenfesttage. Die grosse Anzeige unten gibt das Datum, den Sonnenstand und die Mondphase an.
Dabei bewegt sich die Mondkugel im eingebuchteten Kreis um das Zentrum herum, in dem die Erde gedacht werden muss. Stehen sich Sonne und Mond gegenüber, ist Vollmond.
Im Medaillon oben links ist der antike Astronom Claudius Ptolemäus (circa 100 – 160) mit einer Armillarsphäre zu sehen, im rechten Medaillon möglicherweise der Kirchenvater Hieronymus (348/9 – 420), vielleicht aber auch ein «Memento mori», eine Erinnerung an die Vergänglichkeit des Lebens. Auf den gemalten Säulen links und rechts sind astronomische Messgeräte dargestellt.
Die Uhr ist ab sofort in einer speziell angefertigten Glasvitrine in der ersten Etage des Kulturmuseums an der Museumsstrasse 50 für Besucherinnen und Besucher zugänglich. In der Mitte des zentralen Ausstellungssaals möchten ihr die Verantwortlichen laut eigenen Angaben den ihr gebührenden Platz einräumen.
(Bilder: Odilia Hiller)
Odilia Hiller aus St.Gallen war von August 2023 bis Juli 2024 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.
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