Teure Mietpreise, Wohnungsknappheit, steigende Nebenkosten: All diese Horrorszenarien müssten nicht sein, sagt Wohnexperte Timo Leukefeld. Ein Dialog über das Wohnen in Zukunft.
Timo Leukefeld, Sie wohnen in einem ganz spannenden Haus. Es kommt ganzjährig ohne Stromanschluss aus. Könnte im Winter bei Ihnen also ganz schön kalt werden?
(Lacht) Nein, im Gegenteil. Um das Haus erklären zu können, muss ich ein bisschen ausholen. Etwa vor 15 Jahren plante ich in Spanien ein grosses Projekt mit autarken Häusern. Die Idee wollte ich deshalb gerne mit nach Deutschland bringen. Doch ich stiess schnell auf Widerstand. Das sei nicht möglich, hiess es damals, weil die Sonne im Sommer scheint, die Energie jedoch im Winter gebraucht wird. Ich überredete als einen Kollegen aus dem Forschungsteam mit mir zusammen je ein solches Haus zu bauen.
Wie ging es weiter?
Wir haben in den beiden Wohnhäusern über 400 Sensoren eingebaut – und festgestellt, dass es wirklich funktioniert. Das war der Durchbruch. Die Häuser weisen eine sehr gute Gebäudehülle auf, wir haben auf Dämmstoffe verzichtet, monolithische Ziegelwände gebaut, Sonnenwärme und -strom auf dem Dach angebracht. Mitten im Haus gibt es eine Art Thermoskanne für einen Langzeitwärmespeicher, der die Sonnenenergie in den Winter mitnimmt sowie einen Akku. Es verfügt über Bodenheizung, davor ist eine E-Ladesäule angebracht. In einem der Häuser wohne ich, das andere dient als Geschäftshaus. Um auf Ihre eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Nein, frieren müssen wir nicht.
Sie haben also den Beweis erbracht, dass Autarkie funktioniert.
Genau. Bisher haben wir über 1'000 Wohneinheiten so geplant. Alle werden mit einer Pauschalmiete geführt. Das heisst, vom Strom bis hin zur E-Mobilität sind sämtliche Kosten in der Miete enthalten – für fünf Jahre garantiert. Versteckte, steigende Kosten gibt es bei dem Flatrate-Modell nicht. Wir arbeiten weltweit, gerade sind wir an einem 3-D-Druck-Projekt in Frankreich.
Welche Folgen hat das für die Solaranlagen auf den Dächern, die derzeit so gefragt sind?
Die Nachfrage wird weiter zunehmen. Es wird immer wichtiger, dass sich ein Gebäude selber mit Energie versorgen kann. Der Trend sind ganz klar energieautarke Häuser und Wohnungen. Solare Dachziegel, spezielle Farbe an den Wänden oder Fensterbeschichtungen, die Energie aufnehmen – das kommt. Durch diese Schubkraft wird auch der Solarstrom günstiger – in zehn, 15 Jahren wird es die günstigste Energieform sein. Jeder, der ein Dach hat, kann sie nutzen. Diejenigen, die keines haben, haben ein Problem und müssen Energie teuer von aussen zukaufen.
Kann der Trend durch Faktoren von aussen gebremst werden?
Es hängt natürlich immer von den politischen Rahmenbedingungen ab. Die Trends sind ganz klar da. Häuser und Wohnungen werden mit Low-Tech ausgestattet, weil es einerseits langlebiger ist, wenn weniger Technik verbaut wird. Andererseits fehlen weltweit Handwerker, welche die Arbeit ausführen. Künftig wird das Heizen zur Nebensache, weil die Gebäudehüllen so effizient sind, dass die Wärme gespeichert wird. Auch der Klimawandel spielt eine Rolle, weil es milde Winter gibt. In Flatrat-Mieten kann praktisch alles enthalten sein: von den Heizkosten über Telemedizin bis hin zu Datenvolumen.
Mit welchen Vorteilen?
Es ist so: Kauft ein Vermieter, der einige Wohnungen oder Häuser besitzt, Dienstleistungspakete, erhält er diese durch die Menge günstiger als der Einzelmieter. Das Datenvolumen wird also pro Wohneinheit günstiger. Der Vermieter kann diesen Rabatt zu gewissen Teilen weitergeben, was die Wohnungsmiete wiederum günstiger macht – gerade im Hinblick auf bezahlbaren Wohnraum ist das sehr willkommen. Andererseits schafft der Vermieter eine viel höhere Mietrendite. Daraus kann er weitere Häuser oder Wohnungen bauen oder sanieren.
Das tönt alles sehr spannend und vor allem positiv. Jede neue Möglichkeit wird jedoch erst einmal kritisch beäugt. Wie gross ist der Widerstand, den Sie wahrnehmen?
Wir sind fast zwei Jahre im Voraus gebucht, das spricht für sich. Aber ja, Sie haben Recht, die Zweifel sind gross. Was aber nachvollziehbar ist, weil wir auf ein anderes Heizungssystem umsteigen, neue Miet- und Geschäftsmodelle schaffen. Bei den Banken und Energieversorgern, mit denen wir zusammenarbeiten, kommen die Modelle sehr gut an. Die Not auf dem Wohnungsmarkt ist gross, alles ist teuer, es gibt kaum mehr Renditen. Der Handlungsbedarf ist also gegeben.
Sind andere Länder wie Deutschland oder Österreich in dieser Hinsicht bereits weiter, als es in der Schweiz der Fall ist?
Das meiste passiert gerade tatsächlich in Deutschland. Das ist aber der Tatsache geschuldet, dass wir hier über sehr gute Netzwerke verfügen. Aber wie gesagt, wir sind weltweit unterwegs.
Wird die Nachfrage weiterhin so zunehmen?
Die politischen Rahmenbedingungen spielen eine sehr grosse Rolle. Es gibt natürlich sehr starke Lobbykräfte, die uns nicht mögen, weil bei uns schlicht nichts mehr abgerechnet wird. Es kommt nun darauf an, wie sie auf das Modell reagieren. Wir sind aber in einer solchen Nische tätig, dass wir keine grossen Probleme erwarten. Wenn es in Europa nicht mehr genügend Handwerker gibt, müssen wir alle umdenken. Wir bereiten eigentlich nur den Weg für eine Massenanwendung vor. Am Ende werden sich wirtschaftliche Lösungen durchsetzen, davon bin ich überzeugt.
Dennoch dürfte es auch hier Nachteile geben?
Das ist sicherlich das grosse Erklärungsbedürfnis, das es mit den neuen Modellen gibt. Die alten Konzepte hat man nun viele, viele Jahre lang so gemacht, die sind mittlerweile selbsterklärend. Flatrate muss jedoch den Menschen erläutert werden. Und auch Fragen, wie damit umgegangen wird, wenn jemand im Mehrfamilienhaus beispielsweise extrem verschwenderisch ist, müssen erklärt werden.
Was denken Sie, wo wir in 20, 30 Jahren stehen werden?
Die Wohnungsknappheit wird sich weiter verschärfen, was zu dramatischen Zuständen in Europa führen kann. Häuser werden von Anfang an mit Solar ausgestattet, das Flatrate-Modell wird sich durchsetzen. Die Menschen sind dadurch vor Mietzinserhöhungen geschützt. Wir gehen immer mehr Richtung Dienstleistungspakete – beispielsweise würde dann ein Elektroauto einem Mehrfamilienhaus zur Verfügung stehen, im Mietpreis inbegriffen. Dadurch könnten mehr Privatpersonen auf ihr eigenes Auto verzichten. Kurzum: Wir müssen weg von den Zwängen, hin zur Begeisterung für wirtschaftliche Lösungen.
Hinweis: Timo Leukefeld ist Referent am 3. Immo Dialog Ost am 21. März in den Olma Messen St.Gallen.
_(Bild: Felix Adler) _
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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