Die Corona-Zeit hat Ansprüche an den Wohnungsmarkt geändert, sagt Immobilienexperte Christian Wick. Im Interview erzählt er, wie man es schafft, die Interessen der Stakeholder abzuholen und weshalb sein Beruf auch gewisse psychologische Aspekte mit sich bringt.
Christian Wick, der Leerwohnbestand ist in der Schweiz niedrig, teilweise muss lange nach einer freien Wohnung gesucht werden. In der Ostschweiz sieht die Lage aus Sicht der Mieter und Käufer etwas besser aus. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Situation auch hier verschärft?
Von einer Verschärfung würde ich nicht sprechen. Solange wir jedoch eine Zuwanderung in diesem Ausmass miterleben, wie sie jetzt stattfindet, wird die besagte Entwicklung auch in der Ostschweiz tendenziell zunehmen. In der Stadt St.Gallen ist der Leerwohnbestand im Vergleich mit anderen Städten derzeit noch überdurchschnittlich hoch, doch er wird künftig weiter abnehmen.
Eine verdichtete Bauweise wird deshalb immer gefragter. Wie gehen Sie mit den Herausforderungen der urbanen Verdichtung und dem Bedarf an bezahlbarem Wohnraum um?
Die Verdichtung stellt eine Herausforderung dar, die nicht auf Kosten der bestehenden Anwohner gehen darf. Vielmehr braucht es eine qualitative Verdichtung. Zudem müssen auch andere Punkte in die Beobachtungen fliessen: Die Verkehrsinfrastruktur beispielsweise muss nachziehen können. Ein haushälterischer Umgang mit dem Boden hat häufig einen Widerstand seitens der Anwohner und Behörden zur Folge. Die Anforderungen an die Gebäude und die Aussenräume steigen.
Sie sind seit vielen Jahren in der Immobilienbranche zuhause. Was ist derzeit besonders gefragt?
Wir spüren die Auswirkungen der Covid-Zeit, die ihre Spuren auch beim Wohnungsmarkt hinterlassen hat. Wohnungen sind gesucht, die flexibel einteilbare Zimmer aufweisen. Man möchte wohnen, schlafen, essen und arbeiten können. Auch auf die Aussenräume wird ein besonderes Augenmerk gelegt. Aussenräume beispielsweise sind wieder wichtiger geworden. Stockwerkeigentum in urbanen Gebieten mit einer guten Anbindung an den öffentlichen Verkehr ist sehr gefragt.
Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung von Stadtgebieten und Arealen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit?
Es ist die Kreislaufwirtschaft, die uns beschäftigt – insbesondere im Hinblick auf den CO2-Abdruck beim Bauen. Wir müssen uns bei bestehenden Gebäuden vermehrt die Frage stellen, ob es sich lohnt, etwas zurückzubauen, oder ob Teilsanierungen und Anpassungen in der Gesamtbetrachtung der bessere Weg sind. Denn mit dem Abbruch wird auch immer der Substanzwert vernichtet. Unsere Branche trägt einen grossen Anteil zum Co2 Ausstoss bei. Bei der Betrachtung sind die notwendigen CO2-Immissionen auch bei Erstellung und dem Betrieb abzuwägen. Der Neubau ist in dieser Abwägung der grösste Klimasünder. Wir haben derzeit einige Projekte, bei denen wir uns bewusst gegen einen Abbruch entschieden haben und dadurch den Wert vom Bestand weiternutzen können. Entsprechend verursachen wir weniger CO2-Ausstoss, die Mieten sind preiswerter. Im Gegenzug müssen jedoch andere Eigenschaften akzeptiert werden, die bestehende Gebäude mit sich bringen.
Haben Sie ein Beispiel?
Bei der Umnutzung des Kellenberger Areal in St.Gallen haben wir ganz bewusst eine genaue Gebäude- und Nutzwertanalyse gemacht und uns dafür entschieden, das bestehende Gebäude sanft zu sanieren. Der Charme und der Wert des «Alten» bleiben bestehen, die Gebäudehülle, die zwar immer noch sehr gut, aber nicht perfekt ist, jedoch auch. Das muss man akzeptieren können. Viele sind heutzutage sehr Neubau-orientiert.
Was bringt eine solche Sanierung im Gegensatz zu einem Neubau denn mit sich?
Beim genannten Beispiel handelt es sich um eine alte Fabrik. Man soll weiterhin sehen, dass es eine Fabrik ist, die positiven Erinnerungen, die damit verknüpft sind, sollen bleiben. Das heisst aber auch, dass die Räume beispielsweise hellhöriger sind, als es bei einem Neubau der Fall ist.
Welche Rolle spielen denn innovative Bautechnologien und Materialien in Ihren aktuellen und zukünftigen Projekten?
Der wichtigste Treiber bei den Baumaterialien ist der CO2-Bedarf in der Erstellung. Zum Beispiel das Holz war in der Vergangenheit wichtig, und wird künftig noch wichtiger werden. Die Materialien müssen so zusammengefügt sein, dass wir sie wieder einfach getrennt werden können – es also keinen Sondermüll gibt. Die Lebensdauer eines ganzen Hauses muss von Anfang an gut durchdacht sein. «Fancy»- Materialien wie beispielsweise Kunststoffe haben meiner Ansicht nach künftig einen eher schweren Stand. Auch bei den «Smart-Technologien» ist nicht immer alles nur perfekt geeignet, sondern man sollte sich stets die Frage stellen: Was braucht man wirklich, was hingegen ist «nice to have»? Die Smart-Technik ist sehr aufwendig im Betrieb, es braucht sehr viel Energie, regelmässige Updates, die Ersatzteile sind vielleicht irgendwann nicht mehr lieferbar. Zusammengefasst ist die Lebensdauer dieser Systeme einfach zu kurz.
Das heisst, der Trend geht wieder zurück zu «Altbewährtem»?
Man muss sich bei beim Einsatz von viel Technik einfach bewusst sein, dass es sehr aufwendig im Unterhalt ist. Nehmen Sie ein Smartphone, welches in fünf Jahren bereits völlig veraltet ist. Das können Sie relativ leicht entsorgen. Anders sieht das bei technischen Systemen eines Gebäudes aus.
Welche Rolle spielen digitale Technologien und Smart-City-Konzepte in Ihren Entwicklungsprojekten?
Das ist immer individuell. Es gibt viele «Technik-Freunde», die es toll finden, wenn alles über das Handy steuerbar ist. Die Technologie wandelt sich aber extrem schnell, und wie sollen wir jetzt wissen, was wir in zehn Jahren brauchen werden? Je mehr Technik verbaut wird, desto mehr muss auch ständig investiert werden. Braucht es also ein Belüftungssystem oder ist es auch mit Fenstern möglich, ein gutes Raumklima zu schaffen? Der Trend geht klar hin zum Einsatz weniger Technik.
Inwiefern berücksichtigen Sie bei der Planung und Entwicklung neuer Areale die Bedürfnisse und Anliegen der lokalen Gemeinschaften?
Wenn wir noch einmal das Kellenberg Areal als Beispiel nehmen: Dort haben wir während des Planungsprozesses das Quartier und potenzielle Interessierte angesprochen, vom kulturellen bis hin zum Industriebereich miteinbezogen. Sie sollten uns wichtige Inputs liefern, was gewünscht wird, wie sie es gerne hätten, falls sie dort einziehen würden. Zum Teil waren das sehr ausgefallene Sachen, es befanden sich aber auch ganz konkrete Anliegen darunter, die wir weiterverfolgen konnten. Der Workshop war sehr spannend. Und nun sind wirklich einige von damals unter den heutigen Mietern.
Wie gross ist die Gratwanderung, welche Überlegungen man weiterverfolgt und welche nicht?
Es ist wichtig, dass man sämtliche Bedürfnisse ernst nimmt. Die Leute müssen abgeholt werden. Es sind vielleicht Ängste oder Befürchtungen da. Es darf aber auch kein Wunschprogramm sein. Vielmehr müssen wir die verschiedenen Interessen abwägen, was Sinn macht, was hingegen weniger. Das ist sehr wichtig für den weiteren Prozess – auch im Hinblick auf die Akzeptanz des Bauvorhabens und mögliche Einsprachen.
Es scheint nicht einfach zu sein, die unterschiedlichen Interessen und Anforderungen der Stakeholder, wie beispielsweise Anwohner, Investoren und Regulierungsbehörden, unter einen Hut zu bekommen. Fühlt man sich da manchmal auch wie eine Art Psychologe?
(Lacht) Das kann durchaus vorkommen. Aber es ist auch eine spannende Arbeit. Es braucht Geduld, die einzelnen Interessen der Stakeholder kennenzulernen und ihre Bedürfnisse herauszufinden. Diese können sich im Laufe des Prozesses durchaus auch einmal ändern. Es braucht die Gewichtung – denn häufig will jeder alles. In Gesprächen gilt es, herauszufinden, wie die Gewichtung der einzelnen Anforderungen aussehen sollte. Es gibt nicht nur schwarz oder weiss.
Welche Massnahmen ergreifen Sie, um soziale Vielfalt und Integration in den entstehenden Stadtteilen zu fördern?
Ein gutes Mittel ist es, unterschiedliche Wohnungen zu bauen – diese ziehen unterschiedliche Menschen an. Wohnraum in der Stadt ist für einige interessant, andere könnten sich nicht vorstellen, hier zu leben. Die finden ihre Traumwohnung innerhalb eines Grossareals. Oder auf dem Land. Auch verschiedene Nutzungsarten ergeben einen spannenden Mix. Sei es, innerhalb eines Quartiers eine Kita unterzubringen oder eine Aussenanlage wie ein Park. Es ist wichtig, dem Areal nachhaltiges Leben einzuhauchen, so dass sich die Menschen identifizieren können.
Wie gehen Sie mit dem Erhalt von historischen und kulturell bedeutsamen Gebäuden oder Arealen um, während Sie gleichzeitig moderne Entwicklungsziele verfolgen?
Zuerst muss man überhaupt erkennen, was man hat. Eine saubere Analyse ist eine wichtige Basis. Wenn etwas Wertvolles bereits besteht, ist es spannend, dieses Element herauszuschälen und bewusst erlebbar zu machen. Dies kann auch gezielt für die Vermarktung eines Areals genutzt werden. Oftmals sind Befürchtungen da, wenn die Denkmalpflege ins Spiel kommt. Wir hatten bereits viele Projekte, bei denen wir sehr gute Erfahrungen mit der Zusammenarbeit gemacht haben. Wichtig ist es, den Dialog früh zu suchen. Die Umgebung ist Bestandteil unserer Kultur, und der gilt es, Sorge zu tragen. Auf der anderen Seite ist es nicht angebracht, eine Stadt wie im Mittelalter museal zu konservieren. Niemand will eine tote Stadt. Jede Generation soll ihre «Spuren» hinterlassen können. Das Miteinander und ein gesunder Mix – das sind die Ziele, die es anzustreben gilt.
Hinweis: Christian Wick ist Referent am 3. Immo Dialog Ost am 21. März in den Olma Messen St.Gallen.
(Bild: Depositphotos/PD)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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