Der «Blick» und der Präsident der Jungen SVP irren gleichermassen. Doch nur einer erhält mediale Prügel. Der Vorwurf der ‹Fake News› ist überzogen.
Man kann von Nils Fiechter halten, was man will. Dass er selbst in der eigenen Partei umstritten ist, spricht nicht unbedingt für ihn – dafür umso mehr für seine Partei.
Am Abend vor Beginn der Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock gab ebendieser Nils Fiechter, Parteipräsident der Jungen SVP, dem staatlichen russischen Fernsehsender Russia Today (RT) ein Live-Interview.
Ob es wohl der Neutralität tatsächlich förderlich ist, wenn der Präsident einer Partei, welche für ihre strikte Auslegung der Neutralität bekannt ist, sich ausgerechnet mit einer Kriegspartei gemein macht – bloss weil sich die meisten mit der anderen solidarisieren?
Die Frage kann offenbleiben. Tags darauf schäumten jedenfalls die Tamedia-Zeitungen: «‹Peinlich für das Land›: Präsident der Jungen SVP provoziert im russischen Fernsehen». Und gleich darauf im Lead: «Nils Fiechter […] verbreitet Fake News».
Zuerst einmal: Nils Fiechter mag mit seinem Auftritt bei RT gewisse Kreise provoziert haben, im Fernsehen hat er ganz bestimmt niemanden provoziert. Der Auftritt verlief vielmehr höflich, sachlich und gesittet.
Falsche Aussage
Der Grund für den Aufruhr? Eine Aussage von Nils Fiechter im Interview, dass China, Indien, Brasilien und Indonesien nicht an der Bürgenstock-Konferenz teilnehmen. Die Aussage stimmt so nicht: Indien, Brasilien und Indonesien nahmen an der Konferenz teil. Das zeigt die offizielle Teilnehmerliste des Bundes.
Doch Fake News? Wikipedia definiert Fake News so: «Als Fake News werden manipulativ verbreitete, vorgetäuschte Nachrichten bezeichnet.»
Am 2. November 2021 führte Raphaela Birrer, damals Mitglied der Chefredaktion Tamedia und heutige Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers» ein grosses Interview mit der damaligen Justizministerin Karin Keller-Sutter. Untertitel des Beitrags: «Häusliche Gewalt: In der Schweiz werden jährlich Dutzende Frauen von ihren Männern getötet.»
Der Presserat urteilte: «Bei durchschnittlich 19 Fällen pro Jahr von ‹jährlich Dutzenden› zu sprechen, erscheint irreführend.» Dennoch erkannte er darin keinen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht, sondern bloss einen «handwerklichen Fehler».
Man merke: Nicht alles, was falsch ist, ist gleich ein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht – geschweige denn Fake News.
Auch der «Blick» lag daneben
An demselben Samstagmorgen, an dem sich die Tamedia-Zeitungen über Nils Fiechter ereiferten, publizierte der «Blick» ebenfalls einen Artikel zur Bürgenstock-Konferenz. Darin unter anderem zu lesen: «Gewichtige Stimmen wie die Türkei, Brasilien, China, Südafrika oder Saudi-Arabien fehlen am runden Tisch hoch über dem Vierwaldstättersee.»
Faktencheck: Brasilien nahm teil, aber nur als Beobachter – die Aussage, dass Brasilien am runden Tisch fehlte, kann man somit noch knapp gelten lassen. Das gilt jedoch nicht für die Türkei, Südafrika oder Saudi-Arabien: Diese Länder nahmen alle teil, die Türkei unterzeichnete gar die Abschlusserklärung.
Nils Fiechter lag somit – mit seiner Aussage in einem Live-Interview – in drei von vier Fällen falsch, ein «Blick»–Redaktor, in der Redaktion vor dem Bildschirm, ebenfalls in drei oder vier von fünf Fällen.
Beides sollte selbstverständlich nicht passieren. Doch nur in einem Fall erfolgte umgehend der Protestschrei: «Fake News!» Auf die Kollegenschelte aus dem Hause Tamedia an die Adresse des «Blick» wartet man bis heute vergeblich.
Fake News war natürlich keine der beiden Aussagen. Sondern bloss ein Irrtum.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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