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Nachwirkungen von Medienhype

Traumastationen: Neustart in Littenheid nach «Satanic Panic»

Ende 2021 geriet die Clienia Klinik Littenheid TG in die nationalen Schlagzeilen. Gemäss einer SRF-Dokumentation wurde in einzelnen Psychotherapien mit Verschwörungstheorien gearbeitet. Was hat sich seither verändert?

Adrian Zeller am 20. Juni 2024

Die Clienia Klinik Littenheid ist in ein idyllisches Tal im Hinterthurgau eingebettet. Die Atmosphäre um die Liegenschaften wirkt idyllisch, geradezu erholsam. Das Areal ist von viel Natur umgeben.

Gegen Ende 2021 rückte eine Art mediale Bombe die privat geführte medizinische Institution in den nationalen Focus: Ein Reporterduo von SRF hatte unter dem Sendungstitel «Satanic Panic» aufgedeckt, dass ein Oberarzt ein besonderes Interesse an der Behandlung Betroffener, die ritueller Gewalt ausgesetzt sind, hegte. Er wurde mit sofortiger Wirkung entlassen.

Strafanzeige gegen Chefärztin

Die Irritation über die Unterstützung der entsetzlichen Verschwörungstheorien in der Psychiatrie war in der Öffentlichkeit und in der Politik gross. Digitale sowie Printmedien machten das Thema über Tage gross auf.

Das Amt für Gesundheit des Kantons Thurgau gab daraufhin eine aufsichtsrechtliche Untersuchung zum Thema «Rituelle Gewalt» in Auftrag und leitete später eine Aufsichtsbeschwerde gegen die Klinik und gegen die ärztliche Direktorin ein. Gegen sie wurde ausserdem eine Strafanzeige eingereicht, was zur Freistellung führte.

Für das Fachgutachten überprüften Experten 422 Krankenakten: Das Ergebnis in 43 Dossiers gab es «gravierende» Einträge auf Verschwörungstheorien, bei weiteren 188 waren angedeutete Hinweise registriert. Die Untersuchung brachte ausserdem zum Vorschein, dass einige Mitarbeitende der Traumatherapiestationen der Erwachsenenpsychiatrie und -psychotherapie sich nicht ausreichend von Verschwörungserzählungen distanzieren konnten.

Aufnahmestopp aufgehoben

Der zuständige Thurgauer Gesundheitsdirektor Urs Martin (SVP) zeigte sich über das Ausmass überrascht. Der Kanton Thurgau hatte bereits zuvor Massnahmen angeordnet und die Klinik unter enge Begleitung gestellt. Für die Traumatherapie wurde die Aufnahme von Erkrankten vorübergehend gestoppt.

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Seit geraumer Zeit können jedoch auch diese Patientinnen und Patienten wieder in die Clienia Klinik Littenheid eintreten, das Traumatherapiekonzept wurde inzwischen komplett überarbeitet und die Kontrollmechanismen verbessert. Die Nachfrage für diese Art von Behandlungen sei gross, heisst es bei der Klinikleitung auf Anfrage. Es wird sogar eine Warteliste geführt.

In der Schweiz einzigartiges Verfahren

«Im vergangenen Jahr haben wir unsere zwei Traumatherapiestationen personell wie auch konzeptionell vollständig neu aufgesetzt», erläutert der neue ärztliche Direktor Dr. med. Rafael Traber gegenüber Die Ostschweiz. Beide Stationen verfügen über je zwanzig Therapieplätze. «Als bislang einzige Klinik in der Schweiz bieten wir nun auf beiden Stationen das Therapieverfahren DBT-PTBS (Dialektisch Behaviorale Therapie der Posttraumatischen Belastungsstörung) an.» In Studien zeigt es eine sehr gute Wirksamkeit.

«Eine Behandlung nach DBT-PTBS dauert 14 Wochen und gliedert sich in drei Phasen», erklärt Psychiater Traber das Therapiekonzept. In der vierwöchigen Einstiegsphase wird ein Verständnis für das Krankheitsbild erarbeitet. «Die Patientinnen und Patienten werden in Achtsamkeit und einem wohlwollenden Umgang mit sich selbst geschult.» Sie erlernen Fertigkeiten, sogenannte Skills, um mit ihren traumabezogenen Gefühlszuständen umzugehen.

Annährung an traumatische Erlebnisse

In der anschliessenden achtwöchigen Phase werden die Patientinnen und Patienten behutsam an ihre traumatischen Erfahrungen herangeführt. «Sie lernen, dass sie sich an die traumatischen Erlebnisse erinnern und die Belastung dabei regulieren können. Die traumatischen Erlebnisse werden so schrittweise verarbeitet», erzählt Rafael Traber. So wird die Erfahrung gemacht, dass das Erlebte der Vergangenheit angehört und die Erinnerungen aushaltbar sind.

In der zweiwöchigen Schlussphase wird der Blick auf die Zukunft und den nun anstehenden, neuen Lebensabschnitt gerichtet.

Die neue Art der Behandlung von Traumapatientinnen und -patienten scheint gut anzukommen. «Wir erhalten in unserer Patientenzufriedenheitsumfrage, und oft auch direkt, von unseren Patientinnen und Patienten durchwegs positive Rückmeldungen», sagt der oberste verantwortliche Arzt der Clienia Klinik Littenheid.

(Bilder: Adrian Zeller)

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Autor/in
Adrian Zeller

Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.

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