Wenn Autofahrer im Schritttempo hinter Kuhherden fahren und rauchende Kinder den Schauplatz zäumen: Dann ist die Innerrhoder Viehschau. Der Anlass ist für die Einheimischen weit mehr als ein Wettbewerb.
Das Phänomen trat in kleinerer Dosierung bereits in den vergangenen Wochen auf, als das Vieh von der Alp zurück gebracht wurde: Als Autofahrer braucht man rund um Appenzell oft Nerven wie Drahtseile, die Strasse gehört abschnittsweise den Kühen. Mit der Viehschau akzentuiert sich das noch ein bisschen. Aber für die meisten Lenker überwiegt die Schönheit des Brauchtums den Verlust an Zeit.
Immer Anfang Oktober ist Zeit für die kantonale Viehschau. Ihr Zentrum hat sie auf dem Brauereiplatz in Appenzell. Das heisst, zur Verkehrsbehinderung kommt noch der temporäre Parkplatzverlust. Aber eben: Die unzähligen Zuschauer, längst nicht nur Einheimische, beweisen, dass die Tradition beliebt ist. Vor allem in den Fällen, in denen die Begleiter der Kühe in sennischer Aufmachung erscheinen. Nicht alle tun das, aber eines ist immer gleich: Das Vieh ist geschniegelt und gestriegelt, um sich vor den Preisrichtern in Szene zu setzen.
Was dann folgt, ist harte Arbeit und ein Geduldsspiel. Die Preisrichter beurteilen die Tiere und stellen sie in der Rangordnung fortlaufend um. Diese Prozedur dauert stundenlang, oft entscheiden Details. Einen Pokal gibt es nicht abzustauben, dafür einen Papierkranz. Und wenn das Vieh wieder im heimischen Stall ist, beginnt für viele Landwirte der Anlass erst so richtig: In der Beiz wird der Verlauf der Viehschau hitzig diskutiert - und begossen.
Nicht nur in Innerrhoden findet eine Viehschau statt. In Ausserrhoden sind es rund ein Dutzend Gemeinden, die die Tradition auch kennen. Dort ist sie aber in den meisten Fällen an unterschiedlichen Tagen. Wer Freude daran hat, kann jeweils von etwa Mitte September bis Mitte Oktober alle paar Tage mit dabei sein. Mit der Auswirkung, dass es sich nirgends so «ballt» wie in Innerrhoden mit der kantonalen Viehschau.
Keine Freude - neben einigen verständnislosen Autofahrern - haben übrigens Jahr für Jahr die Präventionsexperten, wenn sie mitansehen müssen, wie selbst Kinder am Anlass rauchen. Dieser Umstand ist immer mal wieder ein Thema. In Appenzell Innerrhoden lässt man sich von der Debatte allerdings nicht beirren. Es ist, wie es ist, und es wird so gemacht. Und legal ist es sowieso.
Apropos Kinder: Die lieben die Viehschau - sie haben schulfrei.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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