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Glosse am Freitag

Waldmeyer plant die Osterweiterung

1992 versenkte die Schweiz ihren EWR-Beitritt. Das war ziemlich dumm. Liechtenstein beispielsweise ist seit 30 Jahren ohne Probleme im EWR und muss sich nicht mit lästigen Verhandlungen in Brüssel herumschlagen. Waldmeyer möchte nun den EWR wiederbeleben.

Roland V. Weber am 08. März 2024

Heute sind Norwegen, Island und Liechtenstein im EWR. Diese drei EFTA-Staaten gehören zur grossen wirtschaftlichen Freihandelszone mit der EU. Die Schweiz (das vierte EFTA-Mitglied) fehlt. Die anderen drei Länder profitieren von einem fast uneingeschränkten Warenverkehr und weiteren Vorteilen – und dies, ohne dass sie bei den EU-Zwängereien mitmachen müssen. Aus heutiger Sicht wäre ein EWR-Beitritt, welcher 1992 abgelehnt wurde, ideal gewesen.

Kein norwegischer Christoph Blocher

Es gab in diesen drei Staaten weder einen isländischen noch einen norwegischen, geschweige denn einen liechtensteinischen Christoph Blocher, der den EWR-Beitritt aus rein populistischen Gründen bodigen konnte.

Waldmeyer fragte sich, was sich denn, beispielsweise in Liechtenstein, negativ verändert hat seit dem EWR-Beitritt 1995. Nun, nichts. Oder haben wir jemals Klagen aus dem EWR-Land Norwegen gehört, mithin ein äusserst erfolgreiches und unabhängiges Land? Nein. Die Schweiz indessen muss nun seit 30 Jahren mühsam um allerlei Details mit der EU streiten.

Grossmannssucht der EU

Die EU möchte lieber «richtig» expandieren, mit neuen Staaten. So mit Montenegro, Serbien oder Kosovo. Oder mit der Ukraine und Moldawien (das Armenhaus Europas). Und zwar nicht in EWR-Manier, sondern richtig, also EU-mässig. Da spielen geostrategische Überlegungen mit, denn ein solches Vorhaben macht weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich Sinn. Dieser Plan scheint einerseits brisante taktische Gründe zu haben, so um eine Front gegen die invasiven Spiele Russlands aufzubauen. Andererseits ist es nichts anderes als Grossmannssucht von europäischen Politikern.

Dabei sollte doch in erster Linie nur eines zählen: die Schaffung eines prosperierenden Wirtschaftsraums, wo möglichst hindernisfrei Waren und Dienstleistungen ausgetauscht werden können und – mit gewissen Auflagen – Personen und Kapital sich einigermassen frei bewegen können. Also EWR, eben ein «Europäischer Wirtschaftraum». Diese vertiefte Freihandelszone des EWR schliesst eine Vielzahl von praktischen wirtschaftlichen Harmonisierungen ein. Waldmeyer meint: Eine weitere gesellschaftliche und politische Vereinheitlichung, die über einen EWR-Modus hinausgeht (also ein EU-Beitritt von diesen zum Teil merkwürdigen Trabantenländern), ist nicht zielführend.

Waldmeyer plant die EWR-Osterweiterung

Ja, der EWR wäre die Lösung gewesen! Aber sie scheint nun vom Tisch zu sein, denn die EU möchte die EWR-Option für die Schweiz nicht weiterverfolgen.

Waldmeyer durchtrennt nun diesen gordischen Knoten: Falls die Schweiz nicht allein wäre als EWR-Beitrittsland, sondern eines unter vielen, sähe es wohl anders aus. Waldmeyer schlägt deshalb vor, eine ganze Anzahl von EU-nominierten (oder noch nicht nominierten) Länder im Osten in einem EWR-Gürtel zusammenzufassen. Damit könnte verhindert werden, dass diese der EU beitreten müssten oder dürften.

Also back to the roots: Es könnte ein noch grösserer Wirtschaftsraum geschaffen werden, ein ökonomisches Bollwerk gegen Osten, welches sich prosperierend entwickeln könnte, ohne politische und gesellschaftliche Vereinheitlichung. Es war so oder so immer illusorisch, für einen Sizilianer die gleichen Regeln wie für einen Dänen aufzustellen. Einen Albaner oder Kosovaren so zu kalibrieren, dass er in eine EU-Denke passt, würde noch aussichtsloser sein. Aber warum nicht wirtschaftlich enger zusammenarbeiten, Waren auszutauschen, zu investieren in den Ländern? Und das andere sein lassen.

Der neue EWR-Gürtel Waldmeyers

Waldmeyers EWR-Gürtel würde dann nicht nur alle Ex-Jugoslawienländer umfassen, die heute noch nicht in der EU sind. Auch Albanien, Moldawien, die Ukraine oder Georgien könnten dazukommen. Die Türkei könnte ebenso aufgenommen werden. Normen würden vereinheitlicht, gemeinsame Vorschriften würden die Qualität der Waren verbessern, Zölle gesenkt, das Warenangebot vergrössert, der Zahlungs- und Kapitalverkehr verbessert werden und vieles mehr. Grossbritannien würden wir formell auch reinnehmen, es gehört nach dem EU-Austritt de facto eh zum europäischen Wirtschaftsraum.

Die EU hat Grosses vor

Was spricht gegen Waldmeyers Befreiungsschlag? Nun, z.B. die Pläne der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, ehemalige Kinderärztin, sehen Grösseres vor. Die EU-Kommission schliesst beispielsweise nicht aus, Bosnien und Herzegowina oder Serbien dereinst einen EU-Beitrittskandidatenstatus zu verleihen. Aber warum diese absurden Pläne? Unsere Kinderärztin befindet sich in einem Erklärungsnotstand – gibt aber keine Antworten diesbezüglich.

Waldmeyer und die «Shithole-Countries»

Waldmeyer hatte das Vergnügen, im Sommer 2023 eine längere Balkanreise zu unternehmen. Mit einem ausgedehnten Roadtrip bereiste er, vielleicht ein wenig voyeurhaft, alle diese merkwürdigen Länder Ex-Jugoslawiens, auch Albanien und alle weiteren Länder der Region. Ja, alle. Der bescheidene Level dieser Länder und die Kulturfremde waren mit Händen zu greifen. Der Ausdruck «Shithole-Country» mag nicht sehr flattierend sein, aber für gewisse Länder scheint er, so in Waldmeyers durchaus objektiver Wahrnehmung, tatsächlich zuzutreffen: So für Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina oder Albanien etwa. Insbesondere die muslimisch geprägten Staaten Osteuropas scheinen, so seine vorsichtige Empfindung vor Ort, zum Teil wenig mit Europa zu tun haben.

Entweder handelt es sich um Drogendrehscheiben (Albanien und Kosovo), um stark männerdominierte Macho-Länder (Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien), um Länder mit seltsamen politischen Ausrichtungen und komischem Rechtsverständnis (Türkei, Serbien) oder um sehr korrupte Staaten (eigentlich alle). Dass solche Länder zu unserer Wertegemeinschaft gehören könnten, ist mehr als fragwürdig.

Der Schweiz ist das alles nicht egal

Für die oben gennannten Länder eine Mitgliedschaft in der EU anzudenken, kommt einem sehr abenteuerlichen Plan gleich. Aber vielleicht könnte das der Schweiz egal sein? Nein, ist es nicht. Denn wir schliessen Verträge mit der gesamten EU ab, wer immer auch dazugehört. Und wir müssen Kohäsions-Milliarden abdrücken, die künftig gerade diesen zurückgebliebenen und störrischen Ländern zugutekommen werden.

Dass die Schweiz an den Aktivitäten in diesem europäischen Club nur als Trittbrettfahrerin teilnimmt, ist tatsächlich eine Sonderkonstellation. Aber trotzdem gehört Helvetien zu Europa. Das Ländchen assoziiert sich mit den verschiedensten Europa-Institutionen. Und dann kommt eben diese «Werteteilung» dazu. Viele Länder in Osteuropa verfolgen indessen ein davon abweichendes Programm. Aber das schliesst nicht aus, dass wir uns, in einem EWR, wirtschaftlich besser mit ihnen austauschen könnten!

Wer definiert, was zu Europa gehört?

Bis wo reicht denn Europa? Geografisch, wie wir wissen, bis zum Ural. Weiter südlich indessen wird die Sache unklar. Die Türkei liegt bekanntlich sowohl in Europa als auch in Asien, denn der Bosporus teilt Istanbul auf zwei Kontinente auf. Und wohin gehört Georgien? Hier wird es kniffelig, man spricht mitunter vom «Balkon Europas», welcher dummerweise eher in Asien liegt.

Je nach Zählweise gehören ca. 47 Länder zu Europa. Da sind auch Russland und Weissrussland dabei. Für unser Vorhaben müssten wir deshalb Europa etwas einengen - wir sollten nicht einem geografischen Kadavergehorsam unterliegen, denn mit den beiden russischen Kriegsgurgel-Ländern möchten wir nichts zu tun haben.

«Europa» kann grosszügig definiert werden

Deshalb dürften wir, mit unserer etwas grosszügigen Auslegung der politischen, sozialen und geografischen Europagrenzen, immerhin auch Georgien, Armenien oder Aserbeidschan zu unserem wirtschaftlichen Europa zählen. Letzteres Land hat sehr schöne Erdölreserven, das wäre also gar nicht dumm. Die Länder gehören geografisch eh schon zu «Eurasien». Sie betrachten sich ausserdem (so die Armenier etwa) eher als Europäer.

Zudem ist sogar die streng europäisch auftretende EU heute geografisch bereits in anderen Kontinenten präsent: Die Azoren gehören zu Portugal, liegen aber teilweise auf der nordamerikanischen Kontinentalplatte. Das merkwürdigerweise zur EU zählende Französisch-Guyana liegt sogar in Südamerika, und die spanischen Kanaren gehören zu Afrika. Die europäische Ostgrenze ein bisschen Richtung Asien zu verschieben liesse sich also durchaus rechtfertigen.

Waldmeyers Plan

Doch was machen wir nun mit der Schweiz? Waldmeyer hat eine klare Vorstellung: Die Schweiz sollte alle diese europäischen Restländer zusammentrommeln und sie in einem neuen Club der «EWR-Freunde» vereinen. Und dann der Kinderärztin die Idee mit der neuen EWR-Osterweiterung schmackhaft machen. Der Europäischen Union würden wir damit nur helfen, denn so müssten, beispielsweise, diese renitenten Serben gar nie EU-Beitrittskandidaten werden, auch Bosnien, Georgien oder die Moldau nicht. Die Schweiz, als Sahnehäubchen, wäre bei den EWR-Freunden selbstredend vorne mit dabei. Und unser grosser Vorteil: Wir müssten nicht weiter mit der EU über komische Sonderabkommen verhandeln, die in unserem Land eh nur populistisch von allen Seiten torpediert werden.

Leider fehlt der Gruppenchef

Natürlich müsste jemand diese neue EWR-Gruppe anführen. Waldmeyer kann sich aus Zeitgründen leider nicht zur Verfügung stellen, zudem müsste es schon ein Bundesrat sein. Eigentlich würde dieser Plan ins Departement unseres ehemaligen Winzers fallen, Guy Parmelin. Waldmeyer ist sich nicht sicher, ob dieser als polyglotter Chairman in Frage kommen könnte. Vielleicht sollten wir unseren Aussenminister schicken? Nur: Unser Arzt aus dem Tessin, Ignazio Cassis, würde vielleicht ebenso wenig über das nötige Rüstzeug verfügen. Haben wir denn tatsächlich niemanden, der dieser Aufgabe gewachsen wäre und staatsmännisch auftreten und verhandeln könnte? Waldmeyer stellte fest: Nein, es gibt niemanden. Wir tun uns ja schon schwer, mit der Kinderärztin ein neues helvetisches Verträglein auszuhandeln. Schade, das Projekt hätte Waldmeyer gefallen.

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Autor/in
Roland V. Weber

Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.

Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.

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