Sie haben Tradition, sind aber auch umstritten. Naturheilpraktiker stehen seit den Ermittlungen gegen einen Ausserrhoder Alternativmediziner im Fokus. Ein Gespräch mit der Co-Präsidentin der in Herisau beheimateten Schweizer Fachorganisation der Komplementärmedizin.
«Es gibt auch nach all den Jahren immer noch Leute, die Naturheilpraktiker gern in einer speziellen Ecke sehen», sagt Caroline Büchel, Präsidentin der «Naturärzte Vereinigung Schweiz». «Trotz professionellem Handwerk, Diplomen und Ausbildungen sind Vorwürfe, welche die Naturheilkunde mit Scharlatanen und unseriösen Vorgängen verbinden wollen, nicht ganz wegzubekommen.»
Gerade in Momenten, wie jene, die durch die neuesten Vorfälle in Schwellbrunn ausgelöst wurden. Wie jüngst bekannt wurde, laufen gegen den Direktor des «Biomed Center Sonnenberg» Strafermittlungen wegen fahrlässiger Tötung von Patientinnen. Der Beschuldigte weist die Vorwürfe zurück, es gilt die Unschuldsvermutung.
Lange Ausbildung
Dennoch schüren solche Fälle das Misstrauen in die Naturmedizin. Auch wenn grundsätzlich über all die Jahre das Vertrauen in das Handwerk aufgebaut werden konnte. Naturheilpraktiker und auch Komplementärtherapeuten seien top qualifizierte Fachleute, die nach etlichen Jahren Ausbildung mit einer höheren Fachprüfung abschliessen. «Dennoch gibt es wie in jeder Berufsgruppe wenige schwarze Schafe, die den Ruf der gesamten Branche gefährden», sagt Büchel. Darauf könne man insofern reagieren, als dass man weiterhin einen guten Job mache.
Der Verband der Naturärzte Vereinigung Schweiz, welcher seinen Sitz in Herisau hat, legt viel Wert auf moralische und ethische Punkte. «Die Naturheilkunde sieht sich nicht als Konkurrenz zur Schulmedizin. Sehr gute Erfolge lassen sich erzielen, wenn eine Kombination eingegangen wird», sagt Büchel weiter.
Dies sei beispielsweise bei Krankheiten der Fall, die chronisch sind und demnach viel Geduld erfordern. «Manchmal ist es quasi ein ‘Fehler im System’. Ein Symptom kann aus einem ganz anderen Grund entstehen – und die Naturheilkunde nimmt den Menschen ganzheitlich wahr», sagt Büchel weiter.
Allergien und Corona
Auch bei schweren Krankheiten bietet die Naturheilkunde eine gute Begleitung zur Schulmedizin. Ähnliche Erfolge erzielen die Fachleute bei Allergien oder Coronapatienten, die auch lange Zeit nach ihrer Infektion an den Folgen leiden.
Die Ausnahmesituation der Pandemie habe verdeutlicht, dass die Naturheilkunde noch einen weiten Weg vor sich habe. Denn: «Wir wurden leider nicht gehört und konnten uns weder politisch noch medial einbringen», sagt Büchel. Die Fähigkeit und Kraft der Komplementärmedizin sei komplett untergegangen, was angesichts der vielen und guten Erfolge, die gerade mit Coronapatienten erzielt wurden, noch tragischer sei.
Anerkannter Abschluss
Seit 2009 ist die Komplementärmedizin in der schweizerischen Verfassung verankert – auch die Ausbildung der nicht-ärztlichen Komplementärmedizin ist seither geregelt und einheitlich. Zu wissen, dass die Therapeuten eine eidgenössische Prüfung abgelegt haben, sei weltweit einzigartig.
«Auf den anerkannten Abschluss sind wir sehr stolz», so Büchel. Deshalb hofft sie, dass sich der Ruf der Naturheilkunde in eine gute Richtung bewegt, und die Alternativmedizin endlich den Platz im schweizerischen Gesundheitswesen erhält, welchen sie verdient habe. «Wir wünschen uns vermehrt Forschungen zum Thema. Wir sind überzeugt davon, dass die Naturheilkunde die Gesundheitskosten senken könnte, wenn wir als Erstanlaufstelle anerkannt werden.»
(Bild: pd)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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