Werden vor allem Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern willentlich mit dem Auto überfahren? Dies jedenfalls behaupten feministische Kreise, welche von «patriarchaler, männlicher Gewalt» sprechen. Eine Auswertung zeigt: So eindeutig ist es nicht.
Die zur Helvetia-Gruppe gehörende Digitalversicherung Smile führt derzeit eine Plakataktion mit verschiedenen Slogans im ganzen Land durch. Einer dieser Slogans, mit welchen um Aufmerksamkeit gebuhlt wird, heisst «Ex getroffen. Mit Auto.» Es ist dies eine Variation des Uralt-Jägerwitzes: «Zwei Jäger treffen sich: Beide tot.»
Der Werbeslogan ist offensichtlich geschlechtsneutral formuliert: Täter wie Opfer können sowohl männlich wie weiblich sein. Dennoch hat die feministische Organisation Ni Una Menos zusammen mit der Kampagnenorganisation Campax des Ex-Greenpeace-Aktivisten Andreas Freimüller umgehend eine Webseite aufgeschaltet, von der aus die Versicherungsgesellschaft «Smile» von willigen Helfern mit E-Mails zugemüllt werden soll.
Gewalt verharmlost
Campax – dieselbe Organisation, welche unlängst die FDP als «Nazis» bezeichnete – ereifert sich: «Damit verharmlosen sie Gewalt, welche leider sehr real ist. […] Solche Gewalt zu verharmlosen heisst, sie zu normalisieren. Und das in einem System, in welchem patriarchale, männliche Gewalt an der Tagesordnung steht.»
Angespielt wird dabei auf einen Fall, welcher sich vor fünf Monaten im Kanton Solothurn abgespielt hat. Unter Verletzung des Gebots der Unschuldsvermutung wirft Campax einem sich in Untersuchungshaft befindenden Mann vor, eine 17-Jährige «absichtlich» überfahren zu haben.
Doch was sagen die Zahlen? Sind es vor allem Männer, welche ihre Partnerinnen und Ex-Partnerinnen mit dem Auto attackieren?
Amtliche Zahlen gibt es kaum
Amtliche statistische Zahlen dazu gibt es – wenig überraschend – kaum. Was sagt Google? Die Eingabe der Begriffe «Mann überfährt Ex», «Mann überfährt Frau», «Frau überfährt Ex» und «Frau überfährt Mann» führt – unter anderem – zu folgenden Schlagzeilen:
«Mann in Saarwellingen überfährt seine Ehefrau», «Schwer verletzt – Mann überfährt Ex-Freundin (45) mit Auto», «Mann überfährt Ex-Freundin in der Börde mit Auto», «Frau wollte Mann überfahren – Mordkommission ermittelt nach Streit im Auto», «Kreis Ravensburg: Frau fährt Ehemann nach Streit an und flüchtet» und «Staatsanwaltschaft: Frau versucht Ehemann zu überfahren».
Kein Geschlechtergraben
Angesichts der Bevölkerungszahlen wenig überraschend stammen viele Fälle aus dem Grossen Kanton. In den letzten zwölf Monaten sind so je fünf Fälle medial dokumentiert, in denen Männer im deutschen Sprachraum willentlich Frauen an- oder überfuhren – und umgekehrt. Betrachtet man die letzten fünf Jahre, so gibt es 9 weibliche und 11 männliche Täter. Für einen Zeitraum von zehn Jahren sehen die medial aufbereiteten Fälle so aus: 15 Mal überfuhren Frauen willentlich Männer und 17 Mal waren die Täter männlich.
Es lässt sich also kein grosser Geschlechterunterschied feststellen. Vielleicht wenig überraschend, ist doch das Auto ein Tatwerkzeug, welches sich für beide Geschlechter gleichermassen eignet.
Tatsächlich haben sich die feministischen Kreise über den falschen Sachverhalt echauffiert. Denn es existiert durchaus, das Thema, bei dem sich gerechtfertigte Empörung über eine geschmacklose Werbung mit dem feministische Mantra «Männer sind Schweine» kombinieren liesse.
Mehr Tote durch Geisterfahrer
Ein anderer Videoclip der Versicherung Smile spielt nämlich auf das Thema Falschfahrer an. Der Slogan lautet: «Auf der A2 kamen mir 30 Geisterfahrer entgegen».
Durch Geisterfahrer sterben deutlich mehr Menschen, als absichtlich überfahren werden. Auch hier sind Zahlen nicht gerade einfach aufzutreiben. Der Bayerische Rundfunk spricht in einem Bericht aus dem Jahr 2020 von elf Todesopfern deutschlandweit im «vergangenen Jahr» – also vermutlich im Jahr 2019.
Das österreichische «Kuratorium für Verkehrssicherheit» veröffentlichte 2006 eine Studie. Der Befund: Zwischen 1987 und 2004 kam es in Österreich zu 88 Todesfällen infolge Falschfahrten. Diese Zahl sollte sich in der Zwischenzeit glücklicherweise deutlich reduziert haben. Wenn man also einem Werbeslogan vorwerfen will, die Gefühle von Opfern zu verletzen, dann trifft dies auf die Werbung mit Geisterfahrern in deutlich höherem Ausmass zu als auf den Werbeslogan «Ex getroffen. Mit Auto.»
Die meisten Geisterfahrer sind Männer
Und noch etwas zeigen die Zahlen: Die meisten Geisterfahrer sind männlich – im Fall der österreichischen Studie gemäss Medienberichten gar 83 Prozent. Wenn man, was naheliegend ist, von einer Zufallsverteilung der unschuldigen Opfer ausgeht, dann töten deutlich mehr männliche Geisterfahrer weibliche Zufallsopfer als umgekehrt. Zudem sind offenbar 45 Prozent der Unfallfahrer alkoholisiert.
Anstatt sich über die sehr seltenen Fälle aufzuregen, bei denen Menschen ihre Partner oder Ex-Partner überfahren – und wo die Geschlechterverteilung von Tätern und Opfern fast gleichmässig ist – hätten Ni Una Menos und Campax, wenn es ihnen wirklich um weibliche Opfer von männlichem Tun geht, besser eine Kampagne gegen den Werbeslogan «Auf der A2 kamen mir 30 Geisterfahrer entgegen» gestartet.
(Symbolbild: Depositphotos)
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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