Nach dem Zusammenbruch der Credit Suisse vermittelte der Bundesrat in einer Notaktion die Übernahme der CS durch die UBS. Dass der Name «Credit Suisse» beerdigt wird, ist nurmehr eine Vollzugsmeldung, erklärt unser Autor.
Das Bankgeschäft ist seiner Natur gemäss krisenanfällig. Denn es beruht im Wesentlichen auf dem Phänomen der Fristentransformation: Die Bank nimmt Kundengelder an, die von den Sparern mehr oder weniger jederzeit zurückgefordert werden können - und leiht dieses Geld für einen längeren Zeithorizont an Kreditnehmer aus. Zum Beispiel in Form einer Hypothek an einen Immobilienkäufer.
Durch diese Fristentransformation wird Wert geschaffen: Denn Gelder, die sich ihrer kurzfristigen Natur nach eigentlich nicht für eine längerfristige Investition eignen, können so dennoch als Kredite für längerfristige Investitionen zur Verfügung gestellt werden.
Krisenanfälliges Bankgeschäft
Natürlich wirkt das Ganze wie im Casino: Einerseits leiht sich die Bank kurzfristiges Geld und verleiht es wiederum längerfristig. Es ist klar: Ist das Vertrauen der Kunden weg und fordern sie in Massen ihre Einlagen zurück, dann bricht die ganze Struktur zusammen. Grund: Die Bank kann das von ihr ausgeliehene Geld nicht so rasch zurückfordern, wie es ihre Einleger abziehen wollen.
Doch was wäre die Alternative? Gäbe es keine Fristentransformation, müssten die Sparer mehrjährige Kassenobligationen zeichnen, damit für Kredite - zum Beispiel Hypotheken - Geld zur Verfügung steht. Nicht jeder, der seinen Sparbatzen auf einer Bank deponieren möchte, will sich aber gleich auf einen längerfristigen Sparhorizont von mehreren Jahren verpflichten. Die Folge: Es würde viel weniger Geld für Kredite zur Verfügung stehen - und im Umkehrschluss viel weniger Vermögen einer produktiven Anlage zugeführt werden können.
So schaffen Banken Wert
Die Erfahrung zeigt jedoch: Bedeutende Ersparnisse, obwohl sie rechtlich jederzeit zurückgefordert werden können, bleiben erfahrungsgemäss viele Jahre auf dem Sparkonto liegen. Diese statistischen Gesetzmässigkeiten macht sich eine Bank zunutze - und verleiht diese Gelder dennoch: Sie betreibt Fristentransformation.
So lange sich die statistischen Gesetzmässigkeiten nicht rasch ändern, geht dies gut: Die Einleger fordern ihr Geld nicht zurück, obwohl sie eigentlich wissen, dass nicht alle Einleger ihr Geld - trotz dem Versprechen der Bank - augenblicklich zurückerhalten können.
Dennoch ist Vorsicht geboten: Den Letzten beissen bekanntlich die Hunde. Wenn also Zweifel aufkommen, ob die Bank ihren Verpflichtungen nachkommen kann, dann sollte man sein Geld besser früher als später abziehen: Dadurch kommt es - im schlimmsten Fall - zu einem Bankrun. Ein Bankrun ist dabei, je nach Sichtweise, eine Panik - oder eine Manifestation von Schwarm-Intelligenz.
Solvenz und Liquidität
In jedem Fall ist ein Bankrun eine Art selbsterfüllende Prophezeiung: Glauben genügend Einleger, dass eine Bank zusammenbrechen wird, dann wird sie auch zusammenbrechen. Die Bank ist dann zwar womöglich weiterhin solvent, verfügt also über ausreichend Eigenkapital - aber illiquide. Genau dies, so meint der Bundesrat, sei bei der Credit Suisse geschehen.
Dennoch hängen Solvenz und Liquidität zusammen: Bemerkt eine Bank dass sie illiquide wird, versucht sie, so rasch als möglich zusätzliche Gelder anzuziehen. Dies geht natürlich nur, wenn sie höhere Zinsen zahlt. Dies war bei der Credit Suisse der Fall: Sie bot in den letzten Wochen vor ihrem Zusammenbruch Kunden in Asien bis zu 6.5% Prozent Zinsen für Dreimonats-Neugeld ab fünf Millionen Dollar an. Zu hohe Zinszahlungen beeinträchtigen aber natürlich wiederum die Solvenz: Wenn eine Bank für Einlagen mehr Zins zahlt, als sie für ihre Kredite erhält, verringert dies ihre Solvenz.
Wie so vieles Andere lässt sich auch das Bankgeschäft globalisieren. Dies bietet gleich mehrere Vorteile: Wollen die Bewohner eines Erdteils lieber sparen - und die Bewohner eines anderen Erdteils lieber investieren (und können das auch produktiv tun), dann kann eine global tätige Bank auch bei solchen geografischen Umschichtungen eine Rolle spielen.
Vorteile und Gefahren der Globalisierung
Auch kann eine Diversifizierung helfen, geografische Klumpenrisiken zu verringern: Wer in der Schweiz arbeitet, sollte mit seinen Ersparnissen nicht unbedingt hierzulande ein Haus kaufen und ausschliesslich in hiesige Aktien investieren. Denn kommt es - aus welchen Gründen auch immer - zu einem Wirtschaftseinbruch, der in der Schweiz deutlich stärker ausfällt als im Ausland, dann riskiert der Anleger, gleich dreifach zu verlieren: Sein Einkommen wegen Entlassung und seine Ersparnisse wegen sinkenden Haus- und Aktienpreisen.
Ähnliches gilt auch für eine Bank: Ein Wirtschaftseinbruch kann zu einem Anstieg notleidender Kredite und damit in letzter Instanz zu Zahlungsausfällen führen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass Einleger, die ihre Stelle verlieren, ihre Ersparnisse abziehen müssen. (Zwar versuchen die Menschen in Krisensituationen in der Tat, mehr zu sparen - aber auch hier ist 'wollen' nicht immer gleich 'können'.)
Dem kann man vorbeugen, indem man Einlagen und Kredite geografisch diversifiziert. Im schlimmsten Fall führt dies aber umgekehrt dazu, dass eine Bank in der Schweiz illiquide wird - weil Anleger in Asien ihr Geld abziehen. Genau dies ist der Credit Suisse passiert.
Fluch und Segen des Investmentbankings
Dabei war die Credit Suisse während der amerikanischen Bankenkrise 2008 noch eine der wenigen Grossbanken, welche die globalen Marktturbulenzen ohne staatliche Unterstützung überstand. Der Grund: ihr damaliger CEO, der amerikanische Investmentbanker Brady Dougan, sah die Probleme kommen und stiess die problematischen Positionen rechtzeitig ab.
Brady Dougan wurde ja seinerzeit überhaupt erst zum CEO befördert, weil die Credit Suisse ihren Marktanteil im Investmentbanking ausbauen wollte. Tatsächlich war die Credit Suisse bis kurz vor ihrem Zusammenbruch die weltweit sechst- oder siebentgrösste Investmentbank - hinter fünf amerikanischen Grossbanken.
Während die UBS nach ihrer Rettung 2009 auch auf politischen Druck hin ihr Investmentbanking zurückfuhr und dafür konsequent auf die Vermögensverwaltung setzte, verharrte die Credit Suisse in einer Art Zwitter-Stellung: Man setzte zwar nicht mehr richtig auf das Investmentbanking, behielt es aber dennoch bei, weil man darauf hoffte, damit doch noch einmal so richtig Geld zu verdienen. Man wollte eine Universalbank bleiben - und scheiterte letztlich auch an der fehlenden Spezialisierung.
Konsequenzen der CS-Übernahme
Darüber, wie und wann die Credit Suisse dennoch hätte gerettet werden könne, ist viel geschrieben worden. Ebenso darüber, wer letztlich Schuld am Debakel trägt. Es erübrigt sich, dem noch etwas hinzuzufügen. Fakt ist: Die Credit Suisse ist Geschichte, die Übernahme durch die UBS unter Dach und Fach. Jetzt auch noch symbolisch.
Was sind die Konsequenzen dieser Übernahme? Dies ist zu analysieren im Hinblick auf das betroffene Personal, Investoren, schweizerische Privathaushalte, inländische Unternehmen und letztlich die schweizerische Volkswirtschaft.
Bankpersonal verdiente gute Löhne
Zum Personal, das natürlich jetzt von Entlassungen betroffen ist, gilt es zu sagen: Mitarbeiter einer Bank verdienen im Branchenvergleich nach wie vor überdurchschnittlich. Wer über ein grosses Selbstbewusstsein verfügt, führt dies auf die eigenen fachlichen Qualitäten zurück. Wer es realistischer sieht, erkennt es als das, als was es eigentlich ist: Ein 'windfall profit', also ein unerwarteter Gewinn oder eine Glückssträhne.
Bei einem 'windfall profit' gibt es eigentlich nur eine Handlungsmaxime: Ignorieren und auf die Seite legen, als hätte es diesen Extra-Gewinn nie gegeben. Und sich immer vor Augen halten, was jeder Banker schon in der Primarschule lernen müsste: Es gibt keine höheren Erträge ohne höheres Risiko. «There is no such thing as a free lunch.» Tatsächlich hatte, wer auf einer Bank arbeitete, quasi jahrelang ein «Gratis-Mittagessen» - da darf man sich nicht beklagen, wenn man dafür auch einmal die Rechnung präsentiert erhält.
Qualifiziertes Personal findet eine Stelle
Wer arbeitsmarkttauglich ist, erhält auch wieder eine neue Stelle. Oder war das Denken in Kategorien von funktionierenden Märkten etwa nicht Standard in Banken? Wurden einem KMU von Seiten der Bank nicht die Kredite verweigert, mit der Begründung, dass sein Produkt nicht markttauglich sei? Jetzt können die Bankangestellten selber einmal zeigen, wie markttauglich sie sind.
Natürlich gibt es in der neuen Stelle - sofern man nicht wieder in der Branche Unterschlupf findet - nur mehr einen normalen Lohn und keinen Extra-Lohn mehr. Aber anstatt mit saurer Miene das angeblich halb leere Glas zu betrachten, könnte man stattdessen auch das halb volle Glas sehen: Schliesslich durfte man jahrelang mehr verdienen als Andere mit vergleichbarer Qualifikation. Wer das Geld halt ausgegeben hat, anstatt es auf die Seite zu legen, passte wohl nur zu gut zu einer Bank, welche das Risikomanagement nicht im Griff hatte. Mitleid ist hier sicherlich fehl am Platz.
Positiv ist zudem zu bewerten, dass der Grossteil des geplanten Stellenabbaus in Zürich geschieht: Der Immobilienmarkt in der Stadt ist sowieso überhitzt - wenn man irgendwo Kaufkraft herausnimmt, dann am besten hier.
Investoren verdienen kein Mitleid
Die Saudi National Bank hielt zuletzt 9,88 Prozent aller CS-Aktien, die Qatar Holding 5,03 Prozent und die ebenfalls saudische Olayan Group 4,93 Prozent. Dass diese Gruppen infolge der CS-Übernahme durch die UBS bedeutende Verluste auf ihren Aktienpaketen einstecken mussten, rührt hierzulande wohl niemanden zu Tränen.
Für Kleinaktionäre wiederum gilt: Wer Kursgewinne für selbstverständlich nimmt, sollte auch Kursverluste für ebenso selbstverständlich nehmen. Und wer in einer Bank investiert ist, bei welcher absehbar ist, dass sie ohne staatliche Unterstützung nicht überleben kann, sollte nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass ihm der Staat den Schaden einfach so ersetzt: Der Staat gibt's, der Staat nimmt's.
Aber selbst bei Investoren hat die gesellschaftlich weit verbreitete Vollkasko-Mentalität mittlerweile Einzug gehalten: Man will angeblich zwar das harte Spiel des Kapitalismus spielen - aber bläst einem für einmal der Wind widriger Umstände ins Gesicht, wälzt man sich auf dem Spielfeld wie Neymar, den gerade ein Gegenspieler angehustet hat. Fazit: Wer die notwendige Resilienz dafür nicht hat, soll das Investieren sein lassen.
Gute Performance der UBS-Aktie
Und zu diejenigen, die sich darüber beklagten, dass die CS-Aktionäre angeblich «enteignet» worden seien und die UBS mit dem Kauf für drei Milliarden Franken ein Schnäppchen gemacht habe: Wer so dachte, hätte den Worten halt Taten folgen lassen und in UBS-Papiere investieren sollen.
Immerhin sind die UBS-Aktien (Stand 31. August, Schlusskurs) gegenüber dem Schlusskurs vom 17. März um 37 Prozent gestiegen, gegenüber dem Tiefstand vom 20. März gar um 63 Prozent. Dies im Gegensatz zu anderen Banken: Der KBW-Index der grössten amerikanischen Banken bewegt sich seit dem 17. März seitwärts, der STOXX Europe 600 Bank Index stieg um rund zehn Prozent, wobei hier zu berücksichtigen ist, dass, wer in Euro investiert ist, durch den sinkenden Wechselkurs gegenüber dem Schweizer Franken wiederum drei Prozent verloren hätte.
«Enteignete» Aktionäre haben also bereits einen Teil ihres Verlusts wettgemacht und die fiktive «CS-Aktie» (berechnet zum Übernahmepreis von 22,48 CS-Aktien pro UBS-Aktie) stieg seit dem 20. März wenigstens von 76 Rappen auf 1.04 Franken.
Sparkonten und Hypotheken kaum betroffen
Für die Bankkunden dürfte der Markt trotz der Übernahme der CS durch die UBS weiterhin spielen. Dies zeigt die bunte Vielfalt der Guthaben-Zinsen seit Jahresbeginn.
Auch im Hypothekar- und sonstigen Kreditmarkt profitiert die Schweiz von der starken Stellung der Kantonal-, Regional- und Raiffeisenbanken. Da die Credit Suisse immer noch vom Investmentbanking träumte und die UBS lieber die Superreichen dieser Welt umwarb, verpassten sie es, dem Heimmarkt ihren Stempel aufzudrücken.
Monopolsituation im Auslandgeschäft
Am ehesten zeigen sich zukünftige Einschränkungen für global tätige KMU. Hatten diese mit der Credit Suisse und der UBS bisher eine Auswahl, so sehen sie sich jetzt einem Monopolisten gegenüber. Ausgerechnet die KMU, welche jetzt schon unter überbordenden staatlichen Regulierungen und seit Jahren unter dem starken Schweizer Franken leiden! Dass der neue Monopolist kaum aus Menschenliebe auf mögliche Profite verzichten wird, davon kann man ausgehen.
Alles, was ein Geschäft verteuert, verhindert letztlich auch Geschäfte: Irgendwann kommt der Bereich, wo die Zusatzkosten die zusätzlichen Gewinne auffressen. Geht es bei Geschäften, welche sowieso stattfinden, bloss um die Verteilung dieses Gewinns - so bedeutet jedes verhinderte Geschäft demgegenüber einen volkswirtschaftlichen Verlust.
Und natürlich steigt mit dem definitiven Verschwinden des Credit Suisse nicht nur die Abhängigkeit, sondern auch das Risiko für die Geschäftskunden: Banken erfüllen schliesslich wichtige Funktionen. Es ist wie beim Augenlicht: Der Mensch hat bekanntlich zwei Augen. Verliert er eins, so kann er immer noch sehen. Aber er sollte auf keinen Fall auch noch das zweite verlieren.
Symbolischer Nachvollzug
Die definitive Integration der Credit Suisse in die UBS ist zum überwiegenden Teil bloss noch der symbolische Nachvollzug dessen, was sich vor einem halben Jahr abgespielt hat. Wem Namen wichtig sind, der mag der Credit Suisse nachtrauern. Wer hingegen Banknamen - «Brands» - bloss als Marketing-Instrumente wahrnimmt, dürfte es gelassener sehen.
Volkswirtschaftliche Konsequenzen dürfte das Ganze nur in dreierlei Hinsicht haben: International tätige KMU sehen sich in Zukunft einem Monopolisten gegenüber; das Risiko für die Volkswirtschaft steigt, dass bei einem Ausfall der UBS wichtige Funktionen für die Volkswirtschaft gänzlich ausfallen - und natürlich steigt mit zunehmender Grösse einer Bank auch das Risiko volkswirtschaftlicher Verwerfungen, sollte es zu einem Zusammenbruch ebendieser Bank kommen.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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