Für die Finanzierung der AHV scheint ein konstantes Bevölkerungswachstum unumgänglich. Dies sei jedoch keine nachhaltige Lösung. Hingegen könnte ein Schrumpfen der Bevölkerung zahlreiche weitere Probleme lösen, sagt Gastautor Benjamin L. Brückner.
Kürzlich haben in der Schweiz und in den Niederlanden Wahlen stattgefunden. Der Sieg der konservativen SVP und des rechtskonservativen Holländers Geert Wilders geht unter anderem auch aufs Thema Migration zurück. Konservative Kräfte in Europa wünschen sich generell weniger Migration und in der Konsequenz weniger Bevölkerungswachstum für ihre entsprechenden Länder. Ein Argument, das dagegen häufig hervorgebracht wird, ist, dass die Altersvorsorgesysteme europäischer Länder auf ein konstantes Bevölkerungswachstum angewiesen seien.
Bevölkerungskollaps durch zu geringe Geburtenraten?
So schreibt beispielsweise «Watson»-Redaktor Peter Blunschi als Reaktion auf Geert Wilders Wahlsieg, dass der alternde Kontinent Europa offensichtlich auf Arbeitsmigranten angewiesen sei. Aber auch der konservative Starunternehmer Elon Musk warnt vor einem Bevölkerungskollaps durch zu geringe Geburtenraten.
Hinter diesen Aussagen steht vermutlich der Gedanke, dass Bevölkerungswachstum notwendig sei, um die AHV oder ausländische Vorsorgesysteme zu finanzieren. Dass aktuell die Finanzierung der AHV auf Bevölkerungswachstum im Allgemeinen und auf Zuwanderung im Besonderen angewiesen sei. Diese Annahme ist wenig umstritten und wird unter anderem auch durch eine Publikation des HSG-Professors Reto Föllmi gestützt.
Begrenzte Ressourcen
Unter Berücksichtigung dieser Faktenlage möchte ich in diesem Artikel jedoch aufzeigen, weshalb es sich bei den zuvor aufgeführten Argumentationen um Nebelkerzen handelt. Dabei versuche ich darzulegen, weshalb eine bevölkerungswachstumsbasierte AHV-Finanzierung nicht nachhaltig ist, und weshalb es Bevölkerungswachstum (egal ob durch Geburten oder durch Migration) im Allgemeinen eher zu vermeiden gilt.
Wir leben auf der Erde in einem System der begrenzten Ressourcen. Es ist einleuchtend, dass es eine natürliche Begrenzung der Anzahl an Menschen geben muss, welche gleichzeitig auf der Erde leben können. Diese Grenze mag durch bahnbrechende Erfindungen, wie beispielsweise Fritz Habers Ammoniaksynthese, historisch immer wieder nach oben verschoben worden sein, jedoch bleibt die Anzahl an Leuten, welche gleichzeitig auf der Erde leben können, im endlichen Bereich.
Im Minimum auf ein konstantes Niveau stabilisieren
Als Konsequenz dieser Tatsache ist darauf zu schliessen, dass eines Tages die Maximalkapazität für menschliche Bewohner auf der Erde erreicht werden muss. Von jenem Tag an wird das durchschnittliche Bevölkerungswachstum gezwungenermassen ≤ 0% betragen. Sprich, die Bevölkerung muss sich im Minimum auf ein konstantes Niveau stabilisieren.
Die Ankunft jenes Tages lässt sich zwar noch um Jahrzehnte (oder länger) hinauszögern, sie ist jedoch unumgänglich. Sobald dieser Tag erreicht ist, wird sich die Gesellschaft gezwungenermassen den Problemen stellen müssen, die wir heute noch durch konstantes Bevölkerungswachstum zu umgehen versuchen.
Anders formuliert: Das aktuelle Finanzierungssystem der AHV wird am Tag, an dem die Bevölkerung nicht mehr wächst, versagen, und die Ankunft dieses Tages lässt sich logisch nicht verneinen.
Schneeballfinanziertes System
Dies wirft die Frage auf, was durch das Herauszögern dieses Tages gewonnen wird. Der tugendhafte Weg wäre, heute die Verantwortung für die selbstgemachten Probleme zu übernehmen und möglichst schnell von einem schneeballfinanzierten System der Altersvorsorge wegzukommen. Denn der heutige Finanzierungsansatz ist offensichtlich nicht nachhaltig, sondern gleicht einem süssen Gift, welches langfristige Lösungsansätze durch kurzfristige Scheinlösungen substituiert.
Vom Dogma des konstanten Bevölkerungswachstumes wegzukommen hätte dabei zahlreiche Vorteile. Je nach Quelle verbraucht die Menschheit aktuell 1.7 bis 1.8 Erdmengen an Ressourcen pro Jahr. Würde die Weltbevölkerung bloss die Hälfte betragen, würden wir erwartungsgemäss nur (in etwa) die Hälfte dieser Ressourcen verbrauchen - sprich, unser Ressourcenverbrauch wäre innerhalb des Rahmens, welcher uns die Erde natürlich zu Verfügung stellt.
Diese Argumentation lässt sich analog auf weitere Probleme anwenden: Der menschgemachte CO₂-Ausstoss würde sich (in etwa) halbieren, wären wir nur halb so viel Menschen. Würde in der Schweiz die Bevölkerung schrumpfen statt wachsen, würde sich die aktuelle Wohnungsnot ohne Zubau jeglicher Wohngebäude von allein lösen.
Auch wäre die Infrastruktur weniger belastet, da sich weniger Leute auf den Strassen bewegten. Kommt hinzu, dass mehr Kapital pro Arbeiter in der Schweiz zur Verfügung stünde, was zu einem Wohlstandszuwachs der verbleibenden Arbeiter führen würde.
Probleme werden in die Zukunft verschoben
Auf Bevölkerungswachstum basierende Politik ist folglich nicht nachhaltig. Anstatt Probleme zu lösen verschiebt und vergrössert dieser Politikansatz Probleme bloss in die Zukunft.
Dementsprechend ist es an der Zeit, die Argumentation, dass Bevölkerungswachstum für eine funktionierende Altersvorsorge notwendig sei, in den Ruhestand zu schicken. Stattdessen müssten wir uns fragen, wie wir die Finanzierung der AHV ohne Rückgriff auf den Bauerntrick des Bevölkerungswachstumes lösen können. Sollten es uns dabei gelingen, eine Situation zu erschaffen, in welcher die Bevölkerung sogar jährlich schrumpft, könnten wir dabei noch eine ganze Menge an Problemen gratis dazu lösen.
(Symbolbild: Depositphotos)
Benjamin L. Brückner ist der Inhaber von Brückner Data and Technology Consulting und Gründer der Crypto Society St. Gallen
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