Heidi Scheuerle.
Im Herbst jährt sich ein ungelöstes Verbrechen zum 25. Mal. Die 26-jährige Heidi Scheuerle aus Kreuzlingen verschwand im Oktober 1996 spurlos. Erst Jahre später wurden ihre sterblichen Überreste gefunden. Das Verbrechen droht zu verjähren.
Es ist technisch gesehen kein Fall für die Ostschweizer Kriminalstatistik. Vier Jahre lang war das Verschwinden von Heidi Scheuerle, einer deutschen Staatsangehörigen, die in Kreuzlingen lebte, eine Vermisstensache. Anfang Oktober 1996 verschwand sie spurlos von der Bildfläche. Erst im Oktober 2000 wurden ihre sterblichen Überreste in der Nähe von Spreitenbach gefunden. Ein Fall für die Aargauer Kantonspolizei. Und diese geht von einem Gewaltverbrechen aus.
1996: Das ist exakt ein Vierteljahrhundert her. Und in fünf Jahren wird das ungelöste Verbrechen verjährt sein.
Scheuerle, so wird vermutet, wurde zum Opfer ihrer Risikobereitschaft. Die Praktikantin des Schweizer Fernsehens wollte für eine Recherche – ihr erster selbständiger Auftrag – per Autostopp in ein Museum in Weil am Rhein gelangen, obschon ihr der Sender die Auslagen erstatten wollte. Sie wurde von Bekannten als «begeisterte Tramperin» bezeichnet.
Die ersten Stationen von Kreuzlingen aus sind dokumentiert. Sie fand eine Mitfahrgelegenheit bis zum Rastplatz Forrenberg, wo sie noch gesehen wurde. Derselbe Zeuge nahm später, kurz vor 13 Uhr, wahr, dass sie nicht mehr dort war. Zwei Tage später wurde eine Vermisstenanzeige eingereicht.
Dass danach Aufwand gescheut wurde, kann man nicht behaupten. Die Thurgauer Kantonspolizei befragte über 300 Personen, die mit der Sache zu tun gehabt haben könnten. Wobei zu jenem Zeitpunkt noch nicht klar, was diese «Sache» war. Es gab keine Spur von Heidi Scheuerle und damit auch kein Beleg dafür, dass ein Verbrechen vorlag. Es ist nicht verboten, zu «verschwinden». Allerdings betonte die Polizei in den nachfolgenden Jahren stets, sie gehe von einem Verbrechen aus.
Deshalb gelangte der Vermisstenfall im Januar 2000 auch ins Fernsehen. In der Sendung «Aktenzeichen XY… ungelöst» wurde der Fall dokumentiert. Ohne Ergebnis.
Heidi Scheuerle.
Neun Monate später, vier Jahre nach dem Verschwinden von Heidi Scheuerle, stiess ein Pilzsammler in der Nähe eines Waldwegs oberhalb von Spreitenbach auf menschliche Überreste, konkret einen Schädel. Später wurden weitere Knochen gefunden. Allerdings dauerte es weitere eineinhalb Jahre, bis der Fund aufgrund einer DNA-Analyse Heidi Scheuerle zugeordnet werden konnte. Einen ersten Hinweis hatte ein Schlüssel ergeben, der in der Nähe gefunden worden war. Sie war damit nicht mehr länger vermisst – doch der Rest blieb im Dunkeln. 50'000 Franken Belohnung wurden für Hinweise zur Aufklärung der Geschehnisse ausgesetzt. Doch solche Hinweise gab es nicht, niemand schien etwas zu wissen oder gesehen zu haben.
Und das bis heute. 2016 wurden die Ermittlungen erneut aufgenommen. Die Hoffnung, mit den neuen technischen Möglichkeiten weiter zu kommen, zerschlugen sich, als ein zusätzliches Fundstück, ein Fingernagel, nicht einem möglichen Täter, sondern dem Opfer zugeschrieben werden musste.
Dass sich ein Täter nach so langer Zeit selbst stellt, ist erfahrungsgemäss unwahrscheinlich. Wenn er so lange mit der Tat leben konnte – falls er noch am Leben ist –, wird er die Schuld auch weiterhin mit sich herumtragen. Die Hoffnung ruht auf König Zufall. Dann beispielsweise, wenn es nicht das einzige Delikt des Betreffenden war und die Aufklärung eines anderen Verbrechens auf seine Spur führt.
Dafür bleibt allerdings nicht mehr viel Zeit, weil die Tat 2026 verjährt – und damit selbst ein Fahndungserfolg nicht mehr viel bewirken würde. Ausser, dass Klarheit geschaffen würde.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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