Nun wissen selbst die Zürcher, wer Stefan Britschgi aus Diepoldsau ist. Der Gemüseunternehmer und Kantonsrat wird im «Tagesanzeiger» gross abgehandelt. Anlass sind seine Pläne für eine Gemüsehalle - und den Trubel, den diese auslösen.
Er war einst Bauer im kleinen Massstab. Ehefrau, Lehrling, einige Kühe: So präsentierte sich der Hof von Stefan Britschgi in Diepoldsau in den Ursprüngen. Inzwischen sind die Kühe verschwunden, je nach Saison stehen. weit über 200 Arbeitskräfte für ihn im Sold. Das Konzept: Britschgi bewirtschaftet längst nicht mehr nur den eigenen Hof, Dutzende von anderen Zulieferern aus der Region sind für ihn tätig, er übernimmt für sie die Planung, hilft mit Maschinen und Arbeitskräften, verarbeitet und vertreibt das Angelieferte.
Das Geheimnis des Rheintalers ist recht unspektakulär: Gemüse.
Dieses wächst in der Region bestens, und es ist nicht selten, dass Leute ein Restaurant in der Spargelsaison nur dann besuchen, wenn sie wissen, dass dort Britschgi-Spargeln kredenzt werden. Wirtschaftlich gesehen ist das Ganze eine Erfolgstory.
Aber der Mann ist nicht nur Unternehmer, sondern auch Politiker. Seit vielen Jahren als Gemeinderat in Diepoldsau, zudem als Kantonsrat für die FDP, und am 20. Oktober steht er auf der Nationalratsliste. Ein Bauer, den man im ganzen Rheintal kennt: Das sind keine schlechten Voraussetzungen für die Wahl.
Derzeit aber stehen sich die verschiedenen Rollen, die Britschgi bekleidet, gegenseitig im Weg. Eine Einzonung, die er für den Neubau einer Rüsthalle braucht, ist umstritten. Viele Leute befürchten Mehrverkehr in der ohnehin von viel Verkehr betroffenen Gemeinde.
Einsprachen bei grösseren Bauprojekten sind nichts Besonderes. Hier allerdings schon: Der Gemeinderat Diepoldsau kann nicht über die Einsprachen befinden, weil der grösste Teil des Gremiums davon irgendwie betroffen ist; wir haben berichtet.
Die Sache interessiert über die Region hinaus, der Tagesanzeiger berichtet in der aktuellen Ausgabe darüber (Artikel kostenpflichtig). Britschgi wird sogar mit einem Cartoon geehrt.
Der Fall wird zum Anlass genommen, das Milizsystem zu hinterfragen. Was passiert in einer überschaubaren Gemeinde, wenn ein findiger Unternehmer etwas braucht, gleichzeitig aber in der Ortspolitik zu den führenden Köpfen gehört? Und wenn er so gut verankert ist, dass man kaum jemanden findet, der völlig unvoreingenommen urteilen kann?
Im aktuellen Fall wird es gelöst, indem sich ein anderer Gemeinderat um die Einsprachen kümmert. Und laut dem Tagesanzeiger versucht Britschgi nun, seinen Traum von der grossen Rüsthalle auf der anderen Seite des Rheins zu verwirklichen - auf dem Gebiet der Gemeinde Balgach. Damit transferiert er das Problem aus seinem direkten Wirkungskreis. Wobei das Rheintal zu klein ist, um zu vermeiden, dass auch dort irgendwelche befangenen Leute damit konfrontiert werden.
Vielleicht kostet die nun schon Monate andauernde Debatte über das Projekt Britschgi im Herbst einige Stimmen direkt vor der Tür. Dass aus einem Kleinbauern ein Grossunternehmer wurde, der auch ein Café betreibt und unzählige andere Bauern für sich einspannt, ruft nicht nur Bewunderung, sondern auch Neid und Missgunst hervor. Im Zweifelsfall wird dem Diepoldsauer die neue Rüsthalle wichtiger sein als der politische Titel. Denn sie steigert die Effizienz seines Betriebs stark.
Und vielleicht klappt ja auch beides.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.