Derzeit wird im Hinblick auf die Abstimmung über die BVG-Reform debattiert. Die Diskussion läuft nach Meinung des Autors sehr verengt, Senioren sind nicht vorrangig eine Belastung des Sozialsystems, sie leisten essentielle Beiträge an das gesellschaftliche Gedeihen, die schwer zu bewerten sind.
Bei der aktuellen BVG-Debatte kann der Eindruck entstehen, die steigende Lebenserwartung würde zur zunehmenden Herausforderung für die Volkswirtschaft. Dieses verknappte Bild wird gemäss Untersuchungen durch Medienberichte gefestigt: Ältere Menschen kommen häufig in Verbindung mit Themen wie Demenz, Einsamkeit oder hohen Pflegekosten und weiterem mehr vor. So entsteht der Eindruck, das Alter sei primär ein kostspieliger Prozess für die Staatsfinanzen.
Die Besuchseinschränkungen während der Covid-Pandemie haben die pauschalen Klischeevorstellungen über die Seniorinnen und Senioren als einer fragilen und sehr schutzbedürftigen Teil der Gesellschaft verstärkt; Experten und Politiker sprachen häufig von einer «vulnerablen Personengruppe» in Alters- und Pflegheimen. Sehr leicht können ältere Menschen dadurch in die Rolle von Objekten geraten, über die Ämter, Behörden und Politisierende entscheiden - dies ist ein subtile Form der gesellschaftlichen Entmündigung.
Gutes Leben durch medizinischen Fortschritt
Keine Generation wie die heutige konnte im Durchschnitt nach der Pensionierung so viele Lebensjahre bei relativ guter Gesundheit geniessen. Die Heilkunde kann die Folgen von altersbedingten Verschleisserscheinungen immer besser abmildern. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko von Erkrankungen wie Diabetes, Arthrose, Grauer Star und Tumore.
Mit Hilfe der Medizin können die Betroffenen in vielen Fällen dennoch einen aktiven Alltag ohne wesentliche Einschränkungen verbringen. Mit einem künstlichen Hüftgelenk, einer digitalen Überwachung des Blutzuckers oder einem Herzschrittmacher führen viele über 70-Jährige ein sehr aktives und zufriedenstellendes Leben.
Lukrative Konsumenten
Marketingfachleute sprechen seit einigen Jahren von der Gruppe der «Best Ager» oder der «Generation Gold» und meinen damit die Kundinnen und Kunden über Fünfzig. Sie geben Geld für Wanderausrüstungen, E-Bikes, Kreuzfahrten, Weinreisen, Opernbesuche, Busreisen, für Wohnmobile und weiteres mehr aus. Diese Menschen gehören zu geschätzten Kundinnen und Kunden von Kosmetikstudios, Orthopäden und weiteren Fachärzten sowie von Physiotherapien, Zahntechnikern, Optikern, Fachgeschäften für Hörhilfen und Apotheken.
Bäckereien und Gemüsehändler ihrerseits können als Zulieferbetriebe von Alters- und Pflegeheimen Umsatz erwirtschaften. Seniorinnen und Senioren sorgen indirekt für Arbeitsplätze und tragen wesentlich zur Volkswirtschaft bei. Mit anderen Worten: Sie sind keineswegs einseitig wirtschaftliche Leistungsempfänger der Gesellschaft. Fachleute stellen fest, dass das Älterwerden noch immer vorrangig als Abbauprozess gesehen wird - tatsächlich eröffnet es neue Erfahrungs- und Entfaltungsräume.
Die Politik ist gut beraten, wenn sie die ideellen Beiträge der Menschen im dritten Lebensabschnitt an dies Gesellschaft vermehrt berücksichtigt und würdigt. Diese sind nicht nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen zu bemessen. So tragen in der Schweiz Grosseltern gemäss Statistik jährlich rund 100 Millionen Stunden zur Familienarbeit bei. Sie entlasten etwa die Eltern, damit sich diese weiterbilden und für ihren beruflichen Aufstieg qualifizieren können. Grosseltern bringen ihren Enkeln das Schwimmen und das Velofahren bei und sie besuchen mit ihnen Zoos und Freizeitparks. Gemäss wissenschaftlichen Umfragen beschreiben heutige Kinder Oma und Opa im Vergleich zu ihren Eltern mehrheitlich als geduldiger, toleranter und weniger gestresst. Sie erleben den Kontakt mit ihnen als wohltuend und bereichernd.
Viel Freiwilligenarbeit
Nicht zu unterschätzen ist der Beitrag den aktive ältere Menschen an die Gemeinschaft leisten, etwa als Senior im Schulzimmer, als Leiter von IT-Kursen für Pensionierte, als Wanderleiterin, in der Nachbarschaftshilfe, bei der Dargebotenen Hand, im Mahlzeitendienst, im Caritas-Markt, als Tixi-Fahrer.
Auch bei der Wiederaufforstung, bei der Pflege von Naturschutzgebieten, in Museen und als Hilfskräfte von Archäologen trifft man Menschen in höheren Lebensjahren. Viele dieser Tätigkeiten blieben unerledigt, wenn sie zu marktüblichen Stundenlöhnen abgegolten werden müssen.
Laut Statistik engagieren sich in der Schweiz 1,2 Millionen Menschen unbezahlt in verschiedenen Organisationen; 2,3 Millionen Menschen sind unentgeltlich in der Betreuung von Nachbarn, von Kindern sowie von Personen die nicht im gleichen Haushalt leben aktiv, beispielweise von Flüchtlingen oder von Menschen mit Beeinträchtigung.
Bereitschaft für Engagement
Die grossen Ressourcen von älteren Menschen sind ihr gesichertes Einkommen durch Renten, ihre verfügbare Zeit sowie ihre Lebenserfahrung. «Wer heute in Rente geht, hat noch 20 bis 30 gute und produktive Jahre vor sich», heisst es in einer Studie des Gottlieb Duttweiler-Institutes. «Die Voraussetzungen, etwas Neues zu schaffen waren noch nie so gut wie heute.»
Die Generation, die in diesen Jahren pensioniert werde, sei leistungswillig, kompetent und bereit sich zu engagieren. «Mit dieser Perspektive kann das Alter zu einem echten persönlichen und gesellschaftlichen Gewinn werden.»
(Bilder: pd)
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
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