Ich mag keinen Senf zur Bratwurst. Aber ob ein anderer das tut, ist mir Wurst. Das geht mich nämlich einen Senf an.
Eine St.Galler Bratwurst mit Senf? Seltsamerweise wurde dieses Verhalten noch nicht in den Bussenkatalog aufgenommen. Dabei ist es doch das Vergehen Nummer 1. Man dürfte in den Augen der meisten St.Galler wohl eher – Verzeihung –an das Vadian-Denkmal pinkeln, als die Spezialität der Stadt in Senf zu tunken.
Neu befeuert wurde die Debatte mit der Meldung, dass ein Londoner Restaurant ab sofort die Olma-Bratwürste aus dem Haus Bechinger kredenzt. In Verbindung mit Rotkohl, einem profanen Brot – und lila Senf.
Die Reaktionen sind eindeutig. Farbe hin oder her: Senf geht nicht zu einer Bratwurst, heisst es auf Facebook, Twitter und am Stammtisch. Die Begründung: Die Bratwurst ist für sich bereits so aromatisch und erreicht zusammen mit einem St.Galler Bürli eine solche Perfektion, dass jede zusätzliche Geschmacksnote eine Sünde ist.
Aber apropos Geschmack: War der früher nicht einmal individuell?
Wenn einer auf ein grandioses Stück Fleisch einen halben Zentner Kräuterbutter legt, verstehe ich die Welt nicht mehr. Aber solange er mich nicht zwingt, diese Pampe zu essen: Wohlan, es sei ihm gegönnt, das Steak für 52 Franken als Unterlage für eine billige Sauce zu benutzen. Es sind seine Geschmacksnerven, nicht meine. Und sein Portemonnaie.
Dasselbe mit der Bratwurst. Senf ist ein sehr intensives Gewürz, und ich würde meine Bratwurst nicht damit behelligen. Jeder andere darf aber gern. Auch wenn die Bratwurst aus St.Gallen kommt.
An einem Imbissstand in der Rondelle auf dem St.Galler Marktplatz wird, wenn man eine Currywurst bestellt, eine Bratwurst in Rädli zerlegt und mit Ketchup und Currypulver vergewaltigt. Ein reines Wunder eigentlich, dass da noch nicht Heerscharen von Jüngern der Kirche der unbefleckten Bratwurst eingedrungen sind und den Inhaber gekreuzigt haben.
Auch ohne Gewaltakte ist der Ohne-Kult-Senf übrigens ziemlich erfolgreich. Wer die Begriffe «Bratwurst Senf» googelt, stösst nicht etwa auf leckere Zubereitungsarten für die perfekte Bratwurst mit dem perfekten Senf dazu, sondern auf eine Tirade von Wutreden gegen diese Kombination.
Die quasireligiöse Überhöhung der St.Galler Bratwurst wird in ihrer Heimat frenetisch gefeiert, ausserhalb der Stadt findet man das Ganze eher leicht seltsam. Ein ungeschriebenes Gesetz zu kreieren rund um einen in einen Darm gepressten Mischfleischbrei: Das mutet an, als hätten wir keine anderen Probleme.
Wir sollten uns aus ökonomischen Gründen einfach freuen, wenn hier bei uns möglichst viele Bratwürste gegessen werden. Ob mit Senf, Mayonnaise oder einem Schuss Preiselbeersauce: Damit muss der Magen des Einzelnen fertig werden. Lokalkolorit in Ehren, aber wenn wir in England sind, freuen wir uns auch, wenn der Mann an der Theke darauf verzichtet, Essig in die Tüte zu schütten, ohne uns einen Vortrag darüber zu halten, wie kulturlos wir sind.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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