Zwei Dutzend Bahnreisenden wurde durch eine kundenfreundliche Idee der SBB eine längere Wartezeit in Etzwilen erspart: Einsteigen in den Lösch- und Rettungszug und mitfahren.
Die Lehrtochter hatte es sich – ihrer Lieblingsmusik lauschend – bequem gemacht am Samstagnachmittag im Zug der S1 von Schaffhausen zu ihrem Heim in Stein am Rhein. Doch an der zweitletzten Haltestelle stiess sie ein Mitreisender an der Schulter: «Wir müssen alle aussteigen!» Was war geschehen?
Nach einigen kleineren Störungen war am Nachmittag ein Zug der Winterthurerlinie S29 etwa 300 Meter ausserhalb Stein am Rhein stehengeblieben, womit gleichzeitig auch die S1 blockiert war. «Aufgrund des Schneefalls fiel der Stromrichter aus», konnte der pikettleistende Medienmann der SBB, Bass Vogler, auf Anfrage dieser Zeitung in Erfahrung bringen. Das Aggregat wandelt den Fahrleitungsstrom von 15'000 Volt, 16,7 Hertz in den von den Antriebsmotoren benötigten Strom um.
Zwei Fliegen auf einen Streich
Der Journalist lässt sein Velo stehen, begibt sich zwecks Einkauf in Stein zum nahen Bahnhof Etzwilen, erblickt den aus Schaffhausen nahenden Lösch- und Rettungszug (LRZ), greift behänd zur Kamera, realisiert, dass die Schar der gestrandeten Passagiere unter dem Bahnhofvordach gebeten werden einzusteigen.
«Einsteigen» ist hier wörtlich zu verstehen, denn die Plattform des LRZ ist nur über vier breite «Treppenstufen» zu erklimmen. Die bilden – wiederum hinaufgeklappt – die stählerne Brüstung zum sicheren Transport von Menschen. Der dieselbetriebene LRZ löscht bei gröberen Zwischenfällen Brände, evakuiert Passagiere und schleppt Züge ab. Aus letzterem Grund wurde er auch hierher beordert. Doch wenn er schon nach Stein am Rhein hinunterfährt, um den Stromrichter-Patienten von der Strecke wegzuschieben, warum dann nicht auch gleich die Wartenden mitnehmen?
Der «Ständerat» auf der «Aussichtsplattform»
Das Personal ist hilfsbereit, hievt gar einen schweren Koffer hoch. Letzte Checks – Sicherheit auch hier oberstes Gebot – und kurz nach halb fünf geht die Fahrt in gemächlichem Tempo die exakt 25 Höhenmeter hinunter. Etwa acht Personen lassen sich die Freiluftfahrt stehenderweise auf der offenen Plattform nicht entgehen.
Unerwarteter, einmaliger Genuss, sich in der Dämmerung durch die magisch verschneite Landschaft tragen zu lassen. Der grössere Teil der LRZ-Reisenden lässt sich indes auf den seitlichen Bänken im Innenraum nieder. «Darf ich für die Zeitung fotografieren?» Bis aus dem hintersten Teil des Raums im Chor erschallt es belustigt «Ja».
Auf der Höhe der Unterführung Hofacker hält der LRZ, um die passende Zwischenkupplung zum Havariezug zu montieren. Gänzlich ohne Ruck kuppeln dann die SBB-Leute an, und nun schiebt der LRZ den Zug vorsichtig zum Bahnhof, wo es glücklicherweise noch das Stumpengleis 1 gibt. Darum bleiben auch die Betriebsgleise 2 und 3 weiterhin frei. Währenddem die S29 bald wieder fahrplanmässig läuft, gibt es auf der langstreckigen S1 noch länger grössere Verspätungen.
Zweimal nützlich Hand angelegt
Fazit: Ganz praktisch hat hier die SBB aus der Not eine Tugend gemacht. Danke. Weniger kundenfreundlich war die Situation zuvor in Etzwilen. Noch am Mittag mussten sich die Reisenden durch die 30 Zentimeter Schnee zu den Zügen kämpfen, bis ein naher Anwohner zur Schaufel griff und sichere Wege bahnte. Es wird gemunkelt, dass es sich dabei wiederum um den Reporter handelt… Immerhin später unterstützt durch Ivo Gohl und einem Kollegen.
Text und Bilder: Johannes von Arx
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