Das bittere Aus der Schweiz an der Handball-EM in Deutschland sitzt tief. Dennoch war die Stimmung überragend. Der Ostschweizer Raphael Bischof, Kommunikationschef von Handball Schweiz (SHV), hat alles aus nächster Nähe miterlebt - unser Interview.
Raphael Bischof, Sie sind in der Ostschweiz aufgewachsen und arbeiten als Leiter Kommunikation beim Schweizerischen Handball-Verband. Die Handballfans hatten nun einige Tage Zeit, die Niederlage der Schweiz zu verdauen. Sie gehörten in Deutschland zum Schweizer Staff – wie sehr haben Sie mitgefiebert?
Natürlich sind Anspannung bei Team und Staff unmittelbar vor und während dem Spiel hoch. Vor allem, wenn es um so viel geht wie am vergangenen Dienstag gegen Nordmazedonien. Leider hat es trotz toller Aufholjagd nicht ganz gereicht.
Einige Spieler sagten, die Stimmung an der EM sei aussergewöhnlich – und man kenne das ansonsten nur von Fussballspielen. Was wird Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?
Das 26:26-Unentschieden gegen Olympiasieger Frankreich, welches als Sensation bezeichnet werden darf. Natürlich bleiben aber auch Eindrücke vom Weltrekordspiel in Düsseldorf hängen. Dass die Schweiz ein Handballspiel vor solch einer Kulisse bestreiten durfte, ist eine einmalige Sache.
Hat Sie die gute Stimmung vor Ort überrascht?
Ich war an einem spielfreien Tag in der Mercedes-Benz Arena in Berlin und habe ein Spiel der Färöer geschaut. 6000 Färinger, oder eben jeder zehnte Einwohner des Inselstaats, waren in der Arena. Die Fans sorgten während 60 Minuten für Gänsehautstimmung, sodass das Dach fast wegflog. Aber auch die Schweizer Fans haben sich von der besten Seite gezeigt. Der Fanmarsch vor dem Weltrekordspiel beeindruckte auch deutsche TV-Stationen. Zudem unterstützten uns bei allen drei Spielen 2000 bis 3000 Schweizer Fans in den Hallen. Die rote Wand war beeindruckend und hat geliefert.
Gibt es Unterschiede zur Schweiz, wie der Handball in Deutschland gelebt wird?
Die Vorrundenspiele in Düsseldorf, Berlin, Mannheim und München waren fast alle ausverkauft. Der DHB (Deutscher Handballbund) spricht von einer Arena-Auslastung von 98 Prozent. Das sind fantastische Werte – und wohl nur im sport-begeisterten Deutschland möglich. So sprach man auch im Vorfeld von der «grössten Handball-EM aller Zeiten». Im Unterschied zur Schweiz geniesst der Handball in Deutschland aber einen viel höheren Stellenwert, ist beliebter als beispielsweise Ski Alpin oder auch Eishockey. Die Handball-Bundesliga ist ein Kassenschlager. Die Partien finden oft vor vollen Rängen statt, alles ist grösser, und es steckt natürlich auch viel mehr Geld drin als in der Schweizer Liga.
Wie sehr pusht eine solche EM auch die regionalen Clubs?
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt schwierig abzuschätzen. Natürlich erhoffen wir uns einen Schub – mehr Lizenzen sollen gelöst werden - wenn sich die Nationalmannschaft auf solch einer grossen Bühne präsentieren darf. Für ein Fazit ist es aber zu früh. Es bleibt festzuhalten: Wäre die Nati so explodiert wie die Österreicher bei ihren Auftritten in die Hauptrunde, wäre das Echo sicher noch viel grösser gewesen.
Wie gross sind Nachfrage und Interesse grundsätzlich im Handball – gerade auch in der Handballregion Ostschweiz?
Es ist unser Ziel, dass der Schweizer Handball wächst. Wir wollen unsere Community vergrössern. Unsere Vision lautet, dass wir mit dem Handball den Zusammenhalt einer modernen, sich stetig wandelnden Gesellschaft stärken wollen. Dazu haben wir verschiedene Projekte wie beispielsweise die «Together League» lanciert. Der Hauptfokus liegt nun aber auf der EM 2024 der Frauen, von welcher zwölf Spiele im November in Basel ausgetragen werden. Die Spiele der Frauen-Nati in der St.Jakobshalle sollen vor bis zu 6'000 Fans, die hoffentlich auch aus der Ostschweiz anreisen, stattfinden.
(Bilder: Handball Schweiz)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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