Die Erzählungen über körperliche Züchtigung an einer evangelikalen Privatschule in Kaltbrunn unter Führung von Ex-Schokoladenpatron Jürg Läderach bewegen die Schweiz. Die St.Galler Filmemacherin Eveline Falk spricht erstmals über den Dokfilm - und wie es ist, sich mit Läderachs anzulegen.
Eveline Falk, Ihr SRF-Dokfilm «Die evangelikale Welt der Läderachs – Züchtigung im Namen Gottes» hat eingeschlagen wie eine Bombe. Wie geht es Ihnen?
Es ist eine intensive Zeit, und ich muss zwischendurch etwas Abstand gewinnen. Die vielen Reaktionen auf den Film sind überraschend. Ich freue mich vor allem für die Betroffenen, dass sie Aufmerksamkeit bekommen. Sie hatten bisher keine Chance, sich zu äussern. Und wenn, wurde ihnen nicht geglaubt. Das hat tiefe Spuren und Traumata hinterlassen. Nun hört man ihnen erstmals zu.
Weshalb wollten Sie den Film realisieren?
Als ich im Rahmen der Recherchen zum Film über Sektenführer Ivo Sasek aus Walzenhausen erstmals von Züchtigungspraktiken an Kindern hörte und auch der Name Läderach fiel, war ich noch sehr jungfräulich, was das Thema anbelangt. Erst, als immer mehr Betroffene mir ihre Geschichte erzählten, wurde das Ausmass klar. Ich habe mit mehr als 20 Personen gesprochen, von denen nur sieben im Film auftreten. Sie alle erzählen exakt das Gleiche darüber, was sich an der Domino-Servite-Schule in Kaltbrunn abspielte. Irgendwann war für mich klar: Das muss man öffentlich machen. Nur schon, damit sich solches nicht wiederholt.
Warum haben sich die Betroffenen nicht früher an die Behörden, die Medien oder die Justiz gewandt?
Was sie als Kinder erfahren haben, war eine klare Botschaft, die sich tief eingegraben hat: «Dir glaubt sowieso niemand.» Damit ist bei den Betroffenen auch abgespeichert, dass sie absolut niemandem trauen können – man ist völlig allein mit seinem Leid.
Wie war es für Sie, zu sehen, wie die Betroffenen sich öffnen?
Es ist offensichtlich, dass allein das Reden über die Vorgänge an der Schule bei allen sehr viel triggert, was viele von ihnen bislang weggesperrt haben. Bei Joel W. beispielsweise ist die Geschichte erst jetzt so richtig hochgekommen. Man sieht im Film, was es in ihm auslöst. Mir war deshalb besonders wichtig, dass alle, die mitgemacht haben, den Film in voller Länge sehen, bevor er erscheint. Niemand hat nach der Visionierung jedoch irgendeine Änderung verlangt.
Gab es vonseiten der Beschuldigten Druckversuche, den Film nicht zu realisieren, beziehungsweise die Vorwürfe nicht öffentlich zu machen?
Ich hatte in meiner ganzen Laufbahn noch bei keiner Recherche so viel mit Anwälten zu tun. Die ehemaligen Schulverantwortlichen beziehungsweise deren Mediensprecher und ihre Rechtsvertreter verlegten sich auf eine Art Zermürbungstaktik: Rauszögern, Hinhalten, Verwedeln und leere Versprechungen. Ausserdem wurden alle Betroffenen, auch ich als Journalistin, systematisch diskreditiert. Auch wurde der Verdacht geäussert, alles sei «abgesprochen» unter jenen, die sich nun äussern. Was nachweislich falsch ist.
Was wurde Ihnen vorgeworfen?
Wiederholt kam der Vorwurf, ich arbeite schludrig und wolle einzig der Schule schaden. Lang wurde mir auch ein Interview mit den Verantwortlichen versprochen. Am Ende schickten sie einen Mediensprecher vor.
Wie geht es den Betroffenen jetzt?
Mein Eindruck ist, dass sie sehr überwältigt und gefordert sind mit der Resonanz des Films. Wir hatten das alle nicht in dem Ausmass erwartet. Gleichzeitig werden alte Wunden aufgerissen. Unter dem Strich überwiegen aber sicherlich Freude und Erleichterung über die Anteilnahme, die ihnen nun zuteilwird. Und: Alle haben mir gesagt, sie würden wieder mitmachen.
Ihre persönliche Einschätzung als Autorin und Journalistin: Muss der Kanton St.Gallen nochmals über die Bücher, was die Vorgänge an der Christlichen Schule Linth betrifft, der ehemaligen Domino-Servite-Schule?
Ja, ich finde, der Kanton St.Gallen sollte das nochmals an die Hand nehmen. Die externe Untersuchung von Rechtsanwalt Niklaus Oberholzer, den ich sehr schätze, ist ein Parteigutachten und letztlich nicht völlig unabhängig von den Auftraggebern. Auch hat er nie mit Betroffenen gesprochen, sondern Aufzeichnungen von Psychologen verwendet. Hier müssten meiner Meinung nach die Behörden nochmals ansetzen, wenn nötig auch mit juristischen Mitteln.
Sie erhalten am 2. November den Radio- und Fernsehpreis der Ostschweiz 2023 für Ihre langjährige filmische Arbeit, die immer wieder die Ostschweiz ins Zentrum rückt. Wie ist das für Sie?
Ja, die rufen einfach an und sagen einem, man kriege einen Preis. Es ist schön, Feedback und Wertschätzung zu erhalten. Und ja, ich bin und bleibe der Ostschweiz verbunden. Das ist mir wichtig.
Zur Person
Eveline Falks journalistische Wurzeln liegen in der Ostschweiz. Seit 1994 bei SRF, hat sie beim «Regionaljournal» angefangen, danach war sie als erste Frau viele Jahre Ostschweizer Korrespondentin fürs Fernsehen und wechselte dann zur «Rundschau» nach Zürich. Ihr Lebensmittelpunkt blieb jedoch die Ostschweiz. Damit ist sie wohl die einzige Dokfilmerin, die in der Region Ostschweiz so stark verwurzelt ist.
Sie realisiert filmisch Themen, die schweizweit von Bedeutung sind, aber (teils) in der Ostschweiz spielen. Ihre Reportagen sind oft sozialkritisch. Für den 2020 veröffentlichten SRF-DOK-Film «Wer pflegt uns morgen?» hat sie unter anderem eine junge Intensivpflegefachfrau porträtiert, die am Kantonsspital St.Gallen arbeitet. Für «Organspende – Ich will leben» hat sie über einige Jahre ein Paar aus Graubünden begleitet.
Einige ihrer Filme spielen sogar ausschliesslich in der Ostschweiz, zum Beispiel «Radikale Christen», ein Film über das Kloster Notkersegg, «Heimwärts», oder «Eine kleine Winterreise» mit Schauspielerin Stephanie Glaser am Bodensee. Einer von Eveline Falks wohl wichtigsten Filme ist jener über «Die 7 Bundesrätinnen». Durch diesen Film vermochte sie der Öffentlichkeit die Bürde zu vermitteln, die erste Schweizer Bundesrätinnen getragen haben.
Eveline Falks neuester DOK-Film «Die evangelikale Welt der Läderachs – Züchtigung im Namen Gottes» wurde am Donnerstag, 21.9. auf SRF ausgestrahlt.
(Bild: PD)
Odilia Hiller aus St.Gallen war von August 2023 bis Juli 2024 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.
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