Fast vier Jahre, 26 Etappen und 450 Kilometer – so umfangreich war das Projekt der Familie Looser aus Stein. Die Familie wanderte einmal quer durch die Schweiz. Weshalb man sich das Projekt antut – dazu noch mit kleinen Kindern.
«Und jetzt?» - Diese Frage bildete den Abschluss des besonderen Projekts der Familie Looser aus Stein. Fast vier Jahre nach dem Wunsch der Mutter Anneliese, einmal quer durch die Schweiz zu wandern, war das Ziel vor wenigen Wochen schliesslich erreicht: Die letzte Etappe bildete Genf, eine 26 Kilometer Etappe ging voraus, auf den letzten Kilometern stets im Blick die Brücke an der Uferpromenade . «Das waren schon fast die einfachsten Schritte», sagt Anneliese Looser im Gespräch und lacht. Man habe erst einen Tag später richtig realisiert, dass alle wirklich am Ziel angekommen sind. «So leicht war unser Unterfangen natürlich nicht immer.» Deshalb lässt sie sich auch die eingangs gestellte Frage noch offen – und zwar, ob man demnächst die Schweiz von Nord nach Süd bewandern wird.
Die Ferienwoche, inklusive einem Restaurantbesuch und einer Fahrt auf dem Riesenrad am Genfersee, hat sich die fünfköpfige Familie damit mehr als verdient. Aus dem anfänglichen «Oh, wir gehen jetzt mal wandern» entwickelte sich ein akribischer Plan, der ganz auf denjenigen der Grosseltern abgestimmt wurde. Denn sie waren es, welche das Wanderfeuer in Anneliese Looser entfachten. «Sie haben vor über 40 Jahren beschlossen, die Schweiz von Ost nach West zu bewandern», sagt Anneliese Looser. Alles wurde genaustens festgehalten: das Wetter, die Einkehrmöglichkeiten, die Flurnamen, die Übernachtungen.
Nahe bei den Grosseltern
Als ihr Grossvater schliesslich mit 95 Jahren verstorben ist, gab ihr Vater, der Bankier Konrad Hummler, ein Buch für Nachfahren heraus, worin genau diese Wanderungen aufgelistet waren. «Als ich darin stöberte, wuchs in mir der Wunsch, sozusagen auf den Spuren meiner Grosseltern zu wandern», so Anneliese Looser. «Mich hat es interessiert, wie sich die Schweiz in den vierzig Jahren verändert und entwickelt hat. Und natürlich wollte ich auch meinen Grosseltern nahe sein.»
Ihre Grossmutter verstarb, als Anneliese gerade neun Jahre alt war. Dennoch pflegte sie eine innige Beziehung zu ihren Grosseltern. Viele Erinnerungen hat sie an die Zeit behalten, die durch diese Wanderungen noch einmal aufblühen sollten.
Freie Zeit – Wanderzeit
Ein wesentlicher Punkt unterschied jedoch die Wanderlustigen voneinander: Schliesslich haben Anneliese und ihr Mann drei Kinder, das jüngste war zum Zeitpunkt im Jahr 2020 gerade einmal vier Jahre alt. «Wir wussten nicht, wie es herauskommen wird, und wie sich unsere Pläne umsetzen lassen», erinnert sich Anneliese Looser zurück. Sie wollten sich deshalb eine gewisse Flexibilität offen lassen: Die Etappen wurden nicht streng von Ost nach West vorgenommen – sondern der Startpunkt wurde dort gelegt, wo sich die Familie gerade befand oder sowieso unterwegs war.
«Je weiter wir gekommen sind, desto genauer mussten wir planen. Schliesslich wurde der Anfahrtsweg immer länger», so Anneliese Looser. An den Wochenenden, in den Ferien oder auch mal an einem freien Tag wurde die Schweiz bewandert – mal besser, mal schlechter. Vorgängig wurde eine Route nach den damaligen Plänen des Grossvaters auf «Schweiz mobil» eingetragen. «Wir haben versucht, die Wegweiser oder Flure, die meine Grosseltern in ihren Unterlagen erwähnt haben, ebenfalls vorzufinden. Erstaunlicherweise ist vieles noch so, wie es vor vierzig Jahren war», so Anneliese Looser. Einige Flurnamen hätten sich inzwischen zwar geändert, doch viele Familien, die auf den Bauernbetrieben bereits damals schon arbeiteten und wohnten, sind auch heute noch dort angesiedelt.
Richtiger Ansporn
«Die Städte sind inzwischen sehr viel grösser und komplexer geworden», sagt Anneliese Looser. Die ländlichen Gebiete hingegen sind oftmals noch so wie in der Vergangenheit. Restaurants oder gar Speisekarten seien nach wie vor ähnlich. Hingegen seien viele Strassen inzwischen geteert worden – was das Wandern nicht unbedingt vereinfachen würde. Denn: «Je einfacher und ‘öder’ die Wanderstrecke, desto langweiliger finden es auch die Kinder. Wenn es mal rauf und runter geht, und die Wege steinig sind, finden sie es meist spannender.»
Durch ihr Projekt sei man an Orte in der Schweiz gestossen, die man sonst wohl nicht aufgesucht hätte. Als Ansporn für die Kinder hätte man im Keller zuhause eine Karte befestigt, und mit Hilfe von Stecknadeln aufgezeigt, wie weit man inzwischen gekommen sei. Das Wandern sei schliesslich eine Trainingssache, so Anneliese Looser. Hat die Familie anfangs Etappen von rund 15 Kilometern zurückgelegt, waren die Abschnitte zum Schluss bis zu 27 Kilometer lang – pro Tag.
Familienzeit
Also, Hand aufs Herz: Wie anstrengend waren die Tage mit den Kindern? «Wir sind unendlich stolz auf sie, dass sie das alles so mitgemacht haben», fasst Anneliese Looser zusammen. Natürlich gab es anstrengende Phasen, in welchen man das Projekt am liebsten aufgegeben hätte. In etwa dann, wenn ein Kind aufs Knie gefallen war, man aber nicht einfach so abbrechen konnte oder die Wanderlust mal so gar nicht entfacht werden konnte. Ein Gummibärchen zur richtigen Zeit oder die Belohnung am Ende des Tages auf eine Glace machte die manchmal müden Kinderbeine aber wieder munter.
«Die dadurch entstandene Familienzeit behalten wir jedoch umso schöner in Erinnerung», sagt Anneliese Looser. Denn man hätte sich ohne Ablenkungen unterhalten können, die Kinder hätten unterwegs Zeit gehabt, sich in ihre Rollenspiele zu vertiefen. «Sie haben sich wirklich toll durchgebissen – und natürlich hofft man als Eltern, dass sie diesen Biss auch für künftige Projekte mitnehmen können.»
Pläne für die Zukunft
Nun, da das Projekt erfolgreich abgeschlossen werden konnte – was folgt als nächstes? Darüber ist sich Anneliese Loser noch nicht ganz schlüssig. «Ich geniesse derzeit noch die Pause – auch wenn die Kinder bereits nach der Nord-Süd-Durchquerung gefragt haben», sagt sie und lacht. Ihre älteste Tochter ist inzwischen 12 Jahre alt. Dauert das mögliche neue Projekt ähnlich lange wie das vollzogene, müsste sich die Familie also ranhalten. «Solche Vorhaben binden auch immer ein Stück weit. Die Idee lässt uns alle nicht ganz los. Mal schauen, was daraus wird.» Sicher ist jedoch bereits jetzt, dass das Unterfangen auf einem Blog festgehalten wurde – und wohl auch in einer Art Buch verewigt wird. Und wer weiss, vielleicht sind es dann die Nachkommen von Anneliese Looser, die sich auf die Spuren ihrer Grosseltern begeben werden.
Alle Bilder: Anneliese Looser
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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