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Von Magersucht bis Burnout

Fachkräftemangel und steigende Patientenzahlen: Wie die Psychiatrie St.Gallen diese Herausforderungen meistert

Rund ein Fünftel aller Schweizer waren im Jahr 2022 von psychischen Belastungen betroffen – 2017 lag die Anzahl bei 15 Prozent. Wie man damit umgeht, erklärt Gordana Heuberger, Direktorin Pfäfers und Mitglied der GL der Psychiatrie SG.

Manuela Bruhin am 27. Juli 2024

Gordana Heuberger, psychiatrische Institutionen sind im Wandel und gefragt wie nie. Wo spüren Sie das in Ihrem Arbeitsalltag besonders?

Die Kennzahlen der letzten Jahre weisen auch für die Psychiatrie St.Gallen einen Anstieg bei den Eintritten aus. Parallel dazu hat der Ausbau der integrierten Versorgung – sprich die enge Abstimmung von stationären, tagesklinischen und ambulanten Angeboten – stattgefunden. Diese Entwicklung bewältigen wir mit den gleichen personellen Ressourcen, was eine entsprechend umsichtige Planung im Alltag erfordert. Weiter akzentuiert hat sich die Rolle der Psychiatrie als zentraler Partner bei Kriseninterventionen.

Wie nah sind Sie als Direktorin dem täglichen Geschäft grundsätzlich?

Da ich schon mehrere Jahre am Standort in Pfäfers tätig bin, kenne ich die Institution sehr gut. Meine Funktion grenzt sich zwar von anderen ab, dennoch haben wir einen gemeinsamen Auftrag. Um diesen gut zu erfüllen, suche ich Nähe, Abstimmung und konstruktive Zusammenarbeit mit meinen Teams. Das Wohlbefinden meiner Mitarbeitenden liegt mir am Herzen. So mache ich gerne und regelmässig selber Runden durch die Stationen, um die Stimmung bei den Mitarbeitenden wahrzunehmen. So bin ich nah genug dran, um umsichtig führen zu können und weit genug weg, um strategische Arbeiten in meiner Rolle als Geschäftsleitungsmitglied leisten zu können.

Seit dem 1. Januar 2023 treten die beiden bisher unabhängigen Psychiatrieverbunde Psychiatrie St.Gallen Nord und Psychiatrie-Dienste Süd als ein Unternehmen auf. Welche Herausforderung haben Sie beim Prozess besonders spannend empfunden?

Der Integrationsprozess ist auch nach über einem Jahr unter dem Dach der Psychiatrie St.Gallen noch nicht gänzlich abgeschlossen. So begleiten mich Fragestellungen wie die Abstimmung von Prozessen und das Schaffen von gemeinsamen Werten und Haltungen in unserem Alltag nach wie vor. Diese Aspekte mitgestalten zu können, ist sehr spannend, aber auch herausfordernd.

Die Prozesse weiter zu optimieren, wird auch im Jahr 2024 ein zentrales Thema sein. Wie ist man da inzwischen unterwegs?

Die Erarbeitung und Umsetzung von Optimierungen erachte ich als ein Dauerthema. Das wird sich in unserer schnelllebigen Zeit auch künftig nicht ändern. Wichtig ist, dass wir unsere knappen Ressourcen dort einsetzen, wo sie den grössten Beitrag zum Wohle der Patientinnen, Patienten sowie der Mitarbeitenden leisten. Aktuell sehen wir uns insbesondere mit den Herausforderungen des Fachkräftemangels konfrontiert. In diesem Bereich die Prozesse zu optimieren und auf die zukünftigen Anforderungen auszurichten, ist ein zentrales Thema.

Wo ist der Fachkräftemangel besonders spürbar?

Der Fachkräftemangen ist eine Herausforderung für das gesamte Gesundheitswesen, wir sind da keine Ausnahme. Besonders spürbar ist der Mangel in den Berufsgruppen Ärztinnen und Ärzte, Psychologinnen und Psychologen sowie im gesamten pflegerischen Bereich. Aber auch Bereiche wie Hotellerie und ICT sind zunehmend betroffen.

Welche Wege finden Sie besonders erstrebenswert, um gegen den Fachkräftemangel vorzugehen?

Nach innen geschaut ist gute Führung mit guten Anstellungsbedingungen eine wichtige Voraussetzung, um Fachkräfte an ein Unternehmen zu binden. Generell wertvoll sind Massnahmen, die sich auf die Mitarbeitendenzufriedenheit auswirken.

Gegen aussen geht es verstärkt darum, Massnahmen zur Verbesserung der Attraktivität als Arbeitgeberin umzusetzen. Dies kann von vereinfachten Bewerbungsverfahren bis hin zu modernen Wegen im Personalmarketing – Stichwort Social Media – reichen. Zentral ist, dass man als Arbeitgeber sichtbar ist.

Dank des Sonderkredits kann in Pfäfers das Gebäude A1, das eine Schlüsselrolle im Betrieb der Klinik innehat, umgebaut werden. Die Sanierungsarbeiten beginnen im Sommer 2024. Worauf freuen Sie sich besonders?

Ich freue mich auf das Ergebnis. Wenn alles nach Plan läuft, können wir gegen Ende 2025 die ausgebauten Räumlichkeiten mit zeitgemässer Infrastruktur beziehen. Vielen Dank allen, die sich für den Sonderkredit stark gemacht haben und allen, die im Projekt aktiv einen Beitrag geleistet haben.

Werfen wir einen Blick zurück. Wie hat sich die Pandemie auf die psychische Gesundheit und Ihre Arbeit ausgewirkt?

Die Pandemie hat die Bedeutung psychischer Gesundheit in den Vordergrund gerückt und gezeigt, wie wichtig es ist, Unterstützungssysteme und Zugang zu einer gut ausgebauten, psychiatrischen Gesundheitsversorgung zu haben. Einige Menschen haben während der Pandemie Resilienz entwickelt und neue Bewältigungsstrategien gelernt, was ihre psychische Gesundheit langfristig stärken kann. Andere hatten Mühe mit den neuen Rahmenbedingungen. Diesen haben wir auch in schwierigen Zeiten niederschwellige Unterstützungsangebote zur Verfügung stellen können.

Welche Entwicklungen und Trends sehen Sie in der Zukunft der psychiatrischen Versorgung?

Es gibt einen klaren Trend zur Verlagerung von stationären zu ambulanten Behandlungen. Dies bedeutet, dass mehr Patienten in ihrem gewohnten Umfeld behandelt werden, was einen positiven Einfluss auf die Genesung haben kann. Der Einsatz von digitalen Technologien und Telemedizin in der psychischen Gesundheitsversorgung wird zunehmen. Online-Therapien, Apps für das Selbstmanagement und telemedizinische Konsultationen werden einen leichteren Zugang zu psychiatrischer Unterstützung ermöglichen. Verschiedene Initiativen zielen darauf ab, das Stigma rund um psychische Erkrankungen weiter zu verringern. Öffentlichkeitskampagnen und Bildungsprogramme werden dazu beitragen, das Bewusstsein und Verständnis für psychische Gesundheit weiter zunehmen. Es wird mehr Wert auf präventive Ansätze gelegt, um psychischen Erkrankungen vorzubeugen. Dies umfasst Programme zur Förderung der psychischen Gesundheit in Schulen, am Arbeitsplatz und in der Gemeinschaft.

(Bilder: Depositphotos/pd)

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Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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