War der Weissrusse Juri Garawski Mitglied einer Todesschwadron des Diktators Alexander Lukaschenko? Das versucht das Kreisgericht Rorschach in diesen Tagen in St.Gallen zu klären. Osteuropaexperte Ulrich Schmid, Professor und Prorektor an der HSG, zur Frage, ob auch Lukaschenko dabei zuschaut.
Ulrich Schmid, der in St.Gallen verhandelte Fall steht unter internationaler Beobachtung, weil er in Bezug auf das weissrussische Terrorregime von grosser politischer Tragweite sein soll. Glauben Sie, Diktator Alexander Lukaschenko verfolgt den Prozess in Minsk mit?
Ulrich Schmid: Lukaschenko verfolgt den Prozess sicher mit. Es geht ja um die Frage, ob Leute seiner Spezialeinheit auch Oppositionspolitiker ermordet haben. Es muss ihn interessieren, wenn diese staatlich angeordneten Morde gerichtlich festgestellt werden. Lukaschenko kokettiert immer wieder mit dem Westen. Er ist zwar mittlerweile ein Diktator von Vladimir Putins Gnaden. Nach den massiven Wahlfälschungen im Jahr 2020 kann er sich nur noch durch grausame Repressionen an der Macht halten. Dabei lotet er seine Handlungsspielräume aber immer geschickt aus, zuletzt nach dem Prigoschin-Aufstand.
Könnte die Gunst des Westens mit einem Urteil aus St.Gallen ins Wackeln kommen?
Es könnte den Druck der Weltöffentlichkeit nochmals erhöhen, ja. Lukaschenko zögert seine Ablösung so lange hinaus, wie er kann. Raffiniert ist dabei, dass er sich Putin in Sachen Eintritt in den Ukrainekrieg bislang verweigert. Das ist der einzige Punkt, in dem er sich mit der Haltung der Opposition trifft. Alle wissen in Belarus, dass auch die belarussische Staatlichkeit durch Russland bedroht ist.
Was würde eine Verurteilung seines Schergen in der Schweiz politisch ausserdem bedeuten?
Es ist klar, dass Lukaschenko seit je her versucht, das Verschwinden von Oppositionspolitikern unter den Teppich zu kehren. Insofern ist es unangenehm für ihn, wenn in einem international beachteten Prozess festgestellt wird, dass dies so geschehen ist. Er ist sich bewusst, dass auch die Opposition zuschaut. Weitere Demonstrationen und Aufstände deswegen wünscht er sich sicher nicht.
Sind die Prozessbeteiligten in St.Gallen in Gefahr? Müssen sie sich vor belarussischen Repressalien fürchten?
Der Angeklagte, Juri Garawski, exponiert sich stark. Wahrscheinlich muss er tatsächlich um sein Leben fürchten. Ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass eine Gefahr für die beteiligten Schweizer Juristinnen und Juristen besteht.
Glauben Sie Garawski seine Geschichte?
Das ist schwer zu beantworten. Seine persönliche Situation mit dem laufenden Asylverfahren weist darauf hin, dass er noch andere Motive hat, als nur das repressive Regime in Belarus anzuklagen. Deswegen gibt er seinen Aussagen ganz sicher einen bestimmten «Spin», weil auch er in einer ungemütlichen Lage ist.
Könnten Verfahren und Urteil beim Minsker Regime etwas auslösen?
Der Fall wird überhaupt keinen Einfluss auf das Regime in Minsk haben. Lukaschenko wird sich von so etwas sicher nicht beeinflussen lassen. Im Gegenteil: Für ihn wäre es höchst gefährlich, nun die Schrauben zu lockern. Er ist seit bald 30 Jahren an der Macht, sechs Jahre länger als Putin. Viele sind von dem leidlich funktionierenden System abhängig. Und dass er im Aufrechterhalten seiner Macht Erfahrung hat, zeigt er nun lang genug.
Könnte das Urteil anderweitig Schule machen?
Ja, es ist schon eine besondere Situation. Weitere Länder könnten von einem Präzedenzurteil Gebrauch machen, auch um andere Fälle von Verschwindenlassen an den Pranger zu stellen. Dieses Ziel verfolgen ja auch die Töchter der von Garawski und seinen Mitschergen beseitigten Oppositionspolitiker: Die Weltöffentlichkeit soll erfahren, zu welchen Grausamkeiten das belarussische System fähig ist.
Wann waren Sie letztmals in Belarus?
Ich war schon lange nicht mehr dort, das letzte Mal in den 1990er-Jahren. In den vergangenen Jahren war ich aber zwei Mal in Vilnius und habe mit Mitgliedern der Opposition gesprochen, die sich dort im Exil formieren. Sie sind in einer verzweifelten Situation.
Wer ist schlimmer: Lukaschenko oder Putin?
Schlimm ist die Kombination. Lukaschenko ist in letzter Zeit fast jeden Monat mit Putin zusammengekommen. Putin übt Druck auf ihn aus. Gleichzeitig ist seit geraumer Zeit eine Art Ausrichtung der russischen Politik nach belarussischen Gewaltmustern zu beobachten – Anschläge auf Regimegegner, rigorose Zensur, drakonische Strafen für Kritik an Regierung und Armee.
(Bild: PD)
Odilia Hiller aus St.Gallen war von August 2023 bis Juli 2024 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.
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