«The Square» der Universität St.Gallen soll die Bildung der Zukunft widerspiegeln. Sein Erbauer, Stararchitekt Sou Fujimoto, erzählt im Interview mit «Die Ostschweiz», wie er diese Vision umgesetzt hat, und warum er selber keine Annehmlichkeiten braucht.
Auf Besuch in St.Gallen hat sich der japanische Stararchitekt und Erbauer des Square in dieser Woche Zeit genommen für ein längeres Gespräch mit «Die Ostschweiz». Wir treffen ihn auf dem HSG-Campus in der Nähe seines spektakulären Lernzentrums.
Sou Fujimoto, Sie sind bekannt für architektonische Würfe in Grossstädten wie Tokio und London. Wie ist es gekommen, dass Sie in St.Gallen «The Square» gebaut haben?
Wir haben uns beworben und sind in die engere Auswahl gekommen. Die Vision des Kunden war sehr klar: Er wollte etwas Neues, etwas anderes als ein normales Schulgebäude – einen neuen Ort für die neue Bildung. Das war der Ausgangspunkt.
Sie mussten also über die Bildung der Zukunft nachdenken.
Ja, das war natürlich ein sehr spannendes und interessantes Thema, denn der Bildungsraum ist seit vielen Jahren der gleiche: ein Klassenzimmer und vorn der Lehrer. Eine Art Einbahnstrasse.
Das ist seit vielen hundert Jahren so. Oder noch länger.
Das stimmt. Deshalb habe ich versucht, etwas vorzuschlagen, das diese Art von fixierter Beziehung zwischen Lehrenden und Studierenden – oder auch Studierenden untereinander – verändert. Ich wollte die Einbahnstrasse aufheben. Es sollten verschiedene Richtungen der Kommunikation und des Austauschs möglich werden, vertikal und horizontal. So haben wir ein Gebäude mit einem Atrium in der Mitte geschaffen, mit vielen Plattformen darum herum und Treppenhäusern, welche die verschiedenen Ebenen verbinden. So gab es weniger diese Trennung zwischen Korridor und Klassenzimmer, sodass alle auch die offenen Plattformen nutzen können, um zu tun, was immer sie möchten.
Damit sich auch das Lernen verändert?
Ja. Durch diese Atriumräume entstehen interaktive, besondere Netzwerke für verschiedene Aktivitäten. Die Menschen sollen sich inspirieren lassen davon, was auch immer zufällig um sie herum geschieht. Das war die grundlegende Idee. Und natürlich gab es seitens Auftraggeber ein sehr präzises Briefing, welche Art von Räumen es braucht und so weiter. Also haben wir natürlich auch diese Anforderungen erfüllt.
Wann kam die Würfelform ins Spiel?
Am Anfang dachte ich nur an einen grossen Raum, wo sich alle aufhalten. Dann wurde mir bewusst, das ist zu offen, zu chaotisch. Es braucht Rückzugsräume. Irgendwie brauchte es einen Rahmen, um eine Ordnung zu schaffen. Da kam die Idee der Gitterstruktur. So, dass die Form keine Einschränkung ist, sondern eine einfache geometrische Ordnung, wo Studenten und Professor sich frei fühlen, jedoch nicht verloren.
Alles ist modular und flexibel einsetzbar.
Ja, so ist es. Und dann war da natürlich die Umgebung des Gebäudes. Wie Sie wissen, ist die Nachbarschaft ein normales Wohngebiet. Also dachte ich, wenn es nur ein grosses Gebäude wird, fügt es sich nicht sehr harmonisch in die Umgebung ein. Mit der treppenartigen Komposition des Gebäudes konnte ich dies auffangen. Zudem liegt der HSG-Campus an einem Hang. Auch das liess sich mit der abgestuften Form besser integrieren.
Auch wenn es ein Kubus mit harten Kanten ist, hat das Gebäude etwas Weiches, Sanftes.
Vielen Dank. Ja, das war die Absicht. Das Fragmentierte und Absteigende am Hang zieht sich durch den ganzen Campus, auch bei den älteren Gebäuden. Diese Bewegung wollte ich am Rand, wo der Square steht, zu einem passenden Abschluss führen.
Ich kann mir vorstellen, das so ein Projekt eine Zeitlang Ihr Baby ist, das Sie dann plötzlich loslassen und in «fremde» Hände geben müssen. Wie ist das für Sie? Verfolgen Sie, wie es Ihrem Baby geht?
Grundsätzlich ist es natürlich unser Job, den Raum für jemanden zu gestalten, der darin leben und wirken wird. Ich weiss also von Anfang an, dass das Gebäude nicht mir gehören wird. Und natürlich mag ich es, sehr sorgfältig die Architektur eines Orts zu gestalten. Aber gleichzeitig liebe ich es wirklich, einen Raum bereits mit dem Gedanken an das Leben der Menschen darin zu gestalten. Also ist es nie nur ein statischer, leerer Raum, es ist mehr die Schönheit des Lebens innerhalb der Architektur, die mich interessiert.
Wie ist es für Sie, den Square nun mit Leben gefüllt zu sehen?
Es sind gerade Semesterferien, darum ist es heute ziemlich leer. Aber letztes Jahr, als ich hier war, war er voll mit Studierenden. Ich war wirklich aufgeregt, zu sehen, wie sie es geniessen. Wie sie spüren, dass es ihr Raum ist.
Haben Sie vom neuen Intendanten gehört, der die Leitung des Square übernimmt? Tim Kramer?
Ich habe davon gehört, aber ich kenne ihn nicht. Ich finde es aber sehr passend für das Gebäude, jemanden mit Theaterbackground zu wählen. Mit dem quadratischen Thema ist es ja fast wie ein Theater, einfach ein multidirektionales. Und das Atrium kann natürlich hervorragend als Bühne für alles Mögliche genutzt werden. Also bin ich wirklich gespannt darauf, wie dieser neue Direktor diesen Raum kreativ nutzt.
Woran arbeiten Sie gerade?
An verschiedenen Dingen. Ein Universitätsgebäude der Ecole Polytechnique in Paris ist fast fertig. Wir arbeiten zudem an mehreren Städtebauprojekten in Japan, wo wir den öffentlichen Raum gestalten. Das ist ziemlich intensiv und interessant. In China bauen wir das grosse Museum der Stadt Shenzhen. Das ist auch sehr aufregend.
Das klingt, als würde es Ihren Tag gut ausfüllen.
Ja, deshalb haben wir in Shenzen nun auch ein Büro eröffnet. Zudem gestalte ich den Masterplan des Expo-Geländes in Osaka. Das ist ein riesiges Projekt, für das ich eine Holzkonstruktion im Kopf habe.
Leben Sie in einem Haus, das Sie selbst gebaut haben?
Nein, ich lebe mit meiner Familie in einer normalen Wohnung in Tokio.
Wie oft müssen Sie von «wilden» Ideen zurückbuchstabieren wegen Bauvorschriften?
Das gibt es schon, aber es kann auch eine kreative Herausforderung sein, die Essenz einer Idee im Einklang mit allen Vorschriften zu verwirklichen. Zumindest in der Schweiz ist der Bewilligungsprozess wirklich gut organisiert.
Was ist für Sie der wichtigste Aspekt in Ihrem persönlichen Wohn- und Lebensraum? Gibt es etwas, ohne das Sie nicht leben können?
Ich glaube nicht. Ich bin sehr flexibel. Ich reise ja auch viel. Dabei kümmert mich die Qualität eines Hotels nicht besonders. Besser ist natürlich immer besser, aber für mich ist ein Standardhotel schon in Ordnung. Und ich finde sogar das Schlafen im Flugzeug bequem. In diesem Sinne kümmere ich mich nicht so um Annehmlichkeiten für mich selbst. Wenn ich Architekturdesign mache, ist es natürlich etwas anderes.
Sie kümmern sich also eher um die Annehmlichkeiten anderer. Das ist interessant.
Ja, das ist sogar für mich interessant festzustellen.
Und nun die unvermeidliche Frage an einen Visionär: Was inspiriert Sie?
Auch das ist eher einfach bei mir. Ich schaue mir den grundlegenden Kontext eines Projekts an, die Anforderungen, die Geschichte und den Hintergrund des Standorts. Das legt den Boden für neue Visionen. Zum Beispiel, im Fall des Square, die Bildung der Zukunft. Das ist ein schöner Ausgangspunkt, um darüber nachzudenken. Dann beginnt ein Prozess, der seine Zeit dauert, wo ich Dinge und Ideen ausprobiere – stets nach dem Prinzip Versuch und Irrtum, immer wieder von Neuem.
Entwickeln Sie Ideen in Ihrem Kopf, auf dem Computer oder mit Ihren Händen?
Alles zusammen, und natürlich gemeinsam mit meinem Team. Wir machen Hypothesen, testen sie und passen sie an. Und allmählich kommen wir so näher an etwas, das brauchbar ist.
Wie gross ist Ihr Team?
In Tokio haben wir um die 60 bis 70 Leute. In Paris etwa 15 und in China sind es um die zehn.
Müssen Sie am Anfang übertreiben oder auch mal zu weit gehen, damit am Ende etwas Innovatives herauskommt?
Manchmal, ja. Absichtlich. Man muss manchmal die Bälle zu weit werfen, damit sie auch zurückrollen können. Oder verrückte Hypothesen erstellen, um zu testen, was passiert. Doch schliesslich müssen wir immer zurückkommen zur realen Welt. Aber jedes Mal ist es nett, diese Art von Denkübungen durchzuführen.
Sie sind mit dem St.Galler Modedesigner Albert Kriemler befreundet, der Ihnen vor einigen Jahren auch eine Kollektion gewidmet hat.
Ja, ich mag Albert wirklich sehr. Wir treffen uns mindestens einmal im Jahr. Ich versuche auch, seine Schauen in Paris zu besuchen. Und vergangenes Jahr kam er nach Tokio, um dort eine Show zu zeigen. Da haben wir uns natürlich auch gesehen.
Zur Person
Sou Fujimoto, geboren 1971 in Hokkaido, Japan, ist ein renommierter Architekt, bekannt für innovative Wohnstrukturen und institutionelle Projekte. Er gründete im Jahr 2000 sein Büro, Sou Fujimoto Architects, in Tokio. Zu seinen bemerkenswerten Projekten gehören das Musashino Art University Museum & Library in Tokio (2010) und der Serpentine Gallery Pavilion in London (2013). Ebenfalls viel zu reden gab sein «Arbre Blanc», ein futuristisches Wohn- und Hochhaus in Montpellier. Er hat für seine Arbeit zahlreiche Auszeichnungen erhalten und ist der Architekt des «Square», dem 2022 eingeweihten Lern-, Lehr- und Begegnungszentrum der Universität St.Gallen auf dem Rosenberg.
(Bilder: Odilia Hiller, Universität St.Gallen)
Odilia Hiller aus St.Gallen war von August 2023 bis Juli 2024 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.
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