Tschüss Mitteilungsblatt, hallo LinkedIn und Tiktok: Zum ersten Mal wurden alle 2’136 Gemeinden der Schweiz auf ihre Social-Media-Präsenz untersucht. Studienleiter Thomas Gromann hält in Bezug auf die Ostschweiz Erstaunliches fest.
Thomas Gromann, Sie haben zusammen mit Studienleiterin Luzia Mattmann alle 2’136 Gemeinden in der Schweiz auf die Social Media Präsenz untersucht. Wie aufwendig war es, alles zusammenzubekommen?
Unser Rechercheteam hat letztes Jahr vier Wochen gebraucht, um die vier untersuchten Kanäle, LinkedIn, Facebook, Instagram und TikTok, zu untersuchen. Der Aufwand war besonders hoch, weil wir viele Gemeinden nicht auf Anhieb gefunden haben und auch rein touristische Angebote ausschliessen wollten. Dabei haben wir andere Kanäle wie Youtube gar noch nicht untersucht.
Ein Leben ohne Social Media können sich viele gar nicht mehr vorstellen. Dennoch gibt es mit Appenzell Innerrhoden einen Halbkanton, der ganz ohne auskommt. Wie gross war die Überraschung?
Die Studienergebnisse haben uns in vielerlei Hinsicht überrascht. Dass Appenzell Innerrhoden zum Studienzeitpunkt quasi «das Gallische Dorf» war, in dem keine Gemeinde Social Media einsetzt, war eine davon. Wieviel weiter die Westschweiz als die Deutschschweiz ist, eine andere. In Neuenburg erreichen die Gemeinden mit Facebook statistisch gesehen praktisch alle User. In Appenzell also niemand, in Neuenburg alle. So drastisch hatten wir es nie erwartet.
Gab es weitere Punkte, welche Sie so nicht erwartet hätten?
Überraschend waren die grossen Unterschiede zwischen den Kantonen: Im Kanton St.Gallen haben fast die Hälfte der Gemeinden einen oder mehrere Social-Media-Accounts, in Thurgau sind es 35 Prozent. Ebenfalls überraschend war, dass Appenzell Ausserhoden auf Instagram doch sehr viele Menschen anspricht – Gemeinden mit Instagram-Account erreichen in Appenzell Ausserrhoden schweizweit am viertmeisten Einwohnerinnen und Einwohner.
Wie steht die Schweiz allgemein im Vergleich zum Ausland da?
Innerhalb der Studie haben wir konkret die Stadt Bern mit den Hauptstädten der umliegenden Länder verglichen. Dabei zeigt sich im Kleinen das gleiche Bild wie in der Schweiz zwischen den Sprachregionen. Die Stadt Paris hat proportional zur Bevölkerung eine fast zehnmal grössere Community in den Sozialen Medien. Wien ist vergleichbar, Berlin deutlich kleiner.
Von den befragten Gemeinden schätzten 42.5 Prozent Social Media als unwichtig oder sehr unwichtig für ihre Gemeindekommunikation ein. Wird sich das ändern?
Diese Zahl bezieht sich auf die zusätzliche, qualitative Untersuchung der Gemeinden im Kanton Zürich, kann aber sicher als starker Indikator für die Deutschschweiz gelten. Wir wissen aus anderen Projekten, vor welch grossen Herausforderungen die Gemeinden stehen. Fachkräftemangel, Erreichbarkeit der Zielgruppen und so weiter. Hier wird ein Umdenken stattfinden müssen, um nicht noch mehr an Boden gegenüber der Privatwirtschaft zu verlieren.
Sie haben es angesprochen: Im Kanton St.Gallen haben fast die Hälfte der Gemeinden einen Social-Media-Account. Im Kanton Thurgau sind es 35 Prozent der Gemeinden. Beide Kantone liegen damit über dem schweizerischen Durchschnitt von 29.3 Prozent. Sind diese Plattformen also auch bei der Bevölkerung gefragt?
Das steht ausser Zweifel. 2.8 Millionen Schweizerinnen und Schweizer sind auf Facebook, 2.9 Millionen auf Instagram, 2 Millionen auf LinkedIn. Diese Zahlen zeigen, dass Social Media in der Schweiz ein Hauptinformations- und Kommunikationskanal geworden ist. Kleine Gemeinden kommunizieren zum Teil erfolgreich in WhatsApp Gruppen oder nutzen, wie die Westschweizer, Social Media. Das ist für die Zielgruppen sicher praktischer als das Amtsblatt oder ein Behördenmerkblatt im Briefkasten.
Haben die grössten Städte zugleich auch die am besten ausgebauten Social-Media-Auftritte und die grössten Communities?
Es gibt einen signifikanten Unterschied zwischen Gemeinden über oder unter einer Bevölkerung von 10'000 Personen. Doch die Grösse alleine scheint kein Kriterium zu sein. Es gibt Gemeinden mit über 40'000 Einwohnerinnen und Einwohner ohne Instagram und andere, die mit 200 Bewohnern 300 Follower generiert haben. Es ist vielmehr eine Entscheidung der Verantwortlichen in der Verwaltung, ob Social Media systematisch genutzt werden soll oder nicht.
Welcher Kanal wird in der Ostschweiz am meisten genutzt?
Facebook ist bei den Gemeinden in St.Gallen, Thurgau und Schaffhausen am beliebtesten, gefolgt von Instagram und LinkedIn.
44 Prozent möchten ihren digitalen Auftritt ausbauen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels: Wird die Möglichkeit zu wenig ausgeschöpft?
Über alle Gemeinden gesehen gibt es einen grossen Nachholbedarf. Ein Interviewpartner hat uns dies so geschildert: «Auf der Gemeinde kannten wir bis vor kurzen keine Konkurrenz, unsere Dienstleistungen sind ja Monopole, man muss zu uns kommen oder verzichten. Nun ist es ganz anders, denn auf dem Arbeitsmarkt haben wir sehr wohl Konkurrenz. Und die spüren wir gewaltig.» Da hilft es auch nicht, einfach eine Anzeige auf LinkedIn zu schalten. Die potenziellen Bewerberinnen und Bewerber schauen sich dann erstmal das Profil an, dann die Website. Und dort sieht es oft schon noch sehr, sehr rustikal aus. Das animiert, zumindest potenzielle Quereinsteiger, nicht unbedingt zum Wechsel in eine vermeintlich verstaubte Verwaltung. Auch wenn dieses Klischee heute nicht mehr stimmt, Gemeinden sind moderne Dienstleistungsbetriebe, der digitale Auftritt sagt etwas anderes.
Tiktok ist weniger das Thema, auch Facebook ist eher ein veralteter Zeitgeist. Ist LinkedIn die Plattform der Zukunft?
Es kommt auf die Zielgruppen und Kommunikationsziele an. Aus Sicht der Gemeinden sind LinkedIn für Employer Branding, Instagram und Facebook für die mittlere und ältere Generation interessant. Die Jungen erreicht man aktuell sehr gut über TikTok, SnapChat & Co. Voraussagen über mehrere Jahre sind sehr, sehr schwierig. TikTok war bis vor kurzem kein grosses Thema, heute ist es ein dominanter Kanal für die Jungen. Andere kurzfristige Superstars wie Vine sind so schnell wieder verschwunden, wie sie auftauchten. Eine nachhaltig formulierte Kommunikationsstrategie macht eine Gemeinde unabhängiger von einzelnen Plattformen oder Kanälen.
(Bild: pd)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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