Seit 13 Jahren schraubt Ausserrhoden am Thema Gemeindefusionen. Heute hat das Stimmvolk entschieden, dass es auch künftig nicht schneller gehen soll. Vielleicht passiert sogar wenig bis gar nichts. Das könnte dem Kanton zum Verhängnis werden.
In Appenzell Ausserrhoden streiten sich die progressiven Kräfte mit den konservativen, und zwar schon immer. Zwar verschreibt sich der Kanton in der Eigenwerbung gern dem wirtschaftlichen Fortschritt und einem offenen Kultur- und Gesellschaftsleben, auch in Abgrenzung zum offensiver konservativen Innerrhoder Nachbar. Doch ebenso hartnäckig definiert sich Ausserrhoden über Brauchtum, Kleinteiligkeit, Vereine, Alternativmedizin und Heimatwerk.
Mit diesen widerstrebenden Kräften müssen viele Schweizer Kantone umgehen. In Ausserrhoden kommt jedoch erschwerend die Geographie hinzu: Hinter-, Mittel- und Vorderland verbindet auf sowieso schon kleinem Raum in mancher Hinsicht nicht gerade viel. Während die einen sich Rheintal und Bodensee nah fühlen, leben die anderen das St.Galler Agglodasein - und wieder andere das traditionell Appenzellische. Und dann gibt es da noch den Sonderfall Teufen mit seinen zugezogenen Millionären und der Tiefsteuerpolitik.
Nicht die reine Lust an der Freude
Heute hat das Stimmvolk mit klaren 57 Prozent einen Vorschlag der Kantonsregierung abgelehnt, die 20 Gemeinden auf drei bis fünf zu reduzieren - in Anlehnung an die Geographie. Dabei war die Motivation dahinter keineswegs von der reinen Lust an der Freude der Ausübung kantonaler Macht geprägt.
Dass viele kleine Gemeinden mit der sich immer schneller drehenden Welt - Stichwort, beispielsweise, Digitalisierung - schwertun, ist eine Realität. Die Mitarbeitenden und Amtsführenden kleinerer Gemeinden laufen mit allen zu bewältigenden Aufgaben häufig völlig am Anschlag.
Komplexe Aufgaben rufen nach schlagkräftigen Strukturen
Komplexe Aufgaben rufen nach schlagkräftigen, übersichtlichen Strukturen und klaren Zuständigkeiten. Das Ausserrhoder Stimmvolk sieht den Handlungsbedarf jedoch längst nicht so dramatisch gegeben wie die Verantwortlichen des Kantons. Es gibt dem - auf den ersten Blick nachvollziehbaren - Reflex nach, der heisst: Wir lassen uns nicht vorschreiben, wie unsere Gemeinde heissen soll.
Die Risiko der nun gewählten Lösung ist offensichtlich: Dass nun gar nichts passiert. Damit begäbe sich Ausserrhoden weiterhin in ein selbstgewähltes Korsett der Kleinteiligkeit, das den Fortschritt und die zeitgemässe Abwicklung elementarster, aber dringender Aufgaben auf lange Sicht verlangsamt oder verhindert.
Solange in den fusionsunwilligen Gemeinden nicht die Einsicht einkehrt, dass Veränderung auch Verbesserung bringen könnte - und zwar für jede und jeden - werden Zusammenschlüsse es schwer haben. So notwendig sie auch wären.
Natürlich kann man es machen wie der Ausserrhoder Regierungsrat, der heute eine Niederlage eingefahren hat, dies aber mit keinem Wort erwähnt. Man kann sich in Zweckoptimismus üben und sagen: Die Gemeinden merken es sicher schon noch.
Odilia Hiller aus St.Gallen war von August 2023 bis Juli 2024 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.
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