logo

Krise bei der Credit Suisse

Lausig, lumpig, lendenlahm: Der Chef taucht ab

Da capo: Oben nix gewusst, unten über die Stränge geschlagen. Missfallen kund getan, unten gefeuert, Beileid geheuchelt, zurück zu Business as usual. Was an der Spitze der Credit Suisse derzeit läuft, ist eine reine Charakterfrage.

«Die Ostschweiz» Archiv am 02. Oktober 2019

Es gibt in der Schweiz nur einen Banker, der Chef bei beiden Grossbanken war. Zuerst bei der Credit Suisse, dann bei der UBS. Bei der Credit Suisse verabschiedete er sich, als die Finanzkrise 2008 noch vor der Türe stand. Bei der UBS wurde er dann geholt, um dort die Folgen einer völlig verfehlten Geschäftspolitik aufzuräumen, die die Bank an den Rand des Abgrunds gebracht hatte.

Oswald Ossi Grübel ist ein Investmentbanker. Er sieht auch aus wie ein Investmentbanker. Er spricht sogar so sonor und mit seinem ostdeutschen Akzent wie ein Investmentbanker. Er sagte mal auf die Frage, was einen guten Bankleiter auszeichne, dass der wissen müsse, welches Risiko er nehmen könne.

Gute Antwort. Unvergesslich auch, wie er seinen Abgang bei der UBS beschrieb. Er sei aus dem Flieger gestiegen, und als er sein Handy einschaltete, sah er drei verpasste Anrufe des Risk Officers. Es ist nie gut, wenn man drei Anrufe von dem hat, fuhr Grübel launig fort. Also rief er zurück und fragte: «Ist es schlimm?» Als er die Antwort bekam «sehr schlimm», fragte er: «Mehr als eine Milliarde?» Als er ein Ja zur Antwort bekam, habe er gewusst: Das war’s.

Zum Geschwiemel seiner Nachfolger hat Grübel auch eine so einfache wie richtige Antwort: «Es ist eine Frage des Charakters.» Besser und vernichtender kann man es nicht zusammenfassen. Es ist eine Frage des Charakters, dass man nach einem solchen Ereignis zurücktritt. Dabei ist es völlig egal, ob der aktuelle CEO der Credit Suisse von der Beschattung eines Ex-Mitglieds der Geschäftsleitung wusste oder nicht. Denn Tidjane Thiam ist dafür verantwortlich.

Statt dessen ist Thiam seit dem Platzen des Skandals abgetaucht. Kein Wort von ihm. Kein Wort des Bedauerns, nichts. Er überlässt den Auftritt vor den Medien dem VR-Präsidenten Urs Rohner. Der in einer gespenstischen Pressekonferenz als geschickter Anwalt alles zuschwafelt, sich im Namen der Bank entschuldigt, seinem CEO, der nichts gewusst habe, sein Vertrauen ausspricht. Dann noch ein Gefälligkeitsinterview gibt und offenbar hofft, dass damit die Sache ausgestanden sei.

Ist sie natürlich nicht. Zu viele Fragen sind weiter offen. Die naheliegende: Der gefeuerte COO, ebenfalls Mitglied der Geschäftsleitung und viele Jahre schon vor der CS Weggefährte von Thiam, soll einen so heiklen Beschattungsauftrag gegeben haben, ohne mit seinem Buddy Thiam darüber gesprochen zu haben? Dann die berechtigten Zweifel: Wieso wurden Konversationen auf den Privathandys der Beteiligten gelöscht? Mit modernen forensischen Mitteln wären die problemlos wiederherstellbar. Wieso geschah das in der angeblich gründlichen Untersuchung nicht?

Dann die hochnotpeinliche Frage: Wer hat den Namen des externen Sicherheitsmitarbeiters der CS an die Medien durchgestochen, der nach den ersten Anrufen von Journalisten seinem Leben ein Ende setzte? Das muss wohl die gleiche Quelle gewesen sein, die den offensichtlich manipulierten «Bericht» der stümperhaften Beschattungsfirma an die Öffentlichkeit brachte. Schliesslich: Wieso wurde die offensichtliche Ursache des Abgangs des Chefs der Vermögensverwaltung, ein Nachbarschaftsstreit, nicht untersucht?

Aber die Frage aller Fragen ist natürlich: Würden Sie diesem CEO, würden Sie diesem VR-Präsidenten Ihren Spargroschen anvertrauen? Wären Sie sich sicher, dass die beiden, dass in der CS von den beiden abwärts alle Mitarbeiter in erster Linie das Kundenwohl, den guten Ruf, die Seriosität der Bank als Richtschnur ihres Handelns nehmen? Dass erst dahinter die persönliche Karriere, das Festhalten an seiner Position, die Machterhaltung steht?

Zum Schluss: Der Fisch stinkt immer vom Kopf. Mit welchem moralischen Recht kann diese Bankführung von ihren Untergebenen ein solches Verhalten einfordern? Kann sich nun jeder kleine Vorgesetzte, jeder Filialleiter, jeder Mitarbeiter mit Untergebenen nicht darauf berufen, dass er sich doch nur so verhält, wie es ihm sein CEO und sein VR-Präsident vorleben?

Indem der VR-Präsidenten seinem CEO Rückendeckung gibt und das Vertrauen ausspricht, nimmt er ein Risiko, das er nicht abschätzen kann. Wäre Thiam gegangen, wäre Thiam gefeuert worden, dann könnte die Bank immerhin sagen, dass sie durchgegriffen hat. So hat Rohner ohne Not sein Schicksal und das der Bank an Thiam geknüpft. Sollte in der Zukunft etwas ans Tageslicht kommen, was den Fall anders aussehen lässt, was die Rolle von Thiam anders aussehen lässt, dann hat nicht nur der CEO ein Problem.

Aber das alles ist letztlich, wie meistens im Leben, ganz einfach. Wenn man die Wortwolken beiseite wedelt, mit denen das Geschehene verhüllt werden soll, bleibt eine schlichte Wahrheit: Es ist eine Charakterfrage. Man hat, oder man hat nicht. Alles andere ist Blabla.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
«Die Ostschweiz» Archiv

«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.