Da capo: Oben nix gewusst, unten über die Stränge geschlagen. Missfallen kund getan, unten gefeuert, Beileid geheuchelt, zurück zu Business as usual. Was an der Spitze der Credit Suisse derzeit läuft, ist eine reine Charakterfrage.
Es gibt in der Schweiz nur einen Banker, der Chef bei beiden Grossbanken war. Zuerst bei der Credit Suisse, dann bei der UBS. Bei der Credit Suisse verabschiedete er sich, als die Finanzkrise 2008 noch vor der Türe stand. Bei der UBS wurde er dann geholt, um dort die Folgen einer völlig verfehlten Geschäftspolitik aufzuräumen, die die Bank an den Rand des Abgrunds gebracht hatte.
Oswald Ossi Grübel ist ein Investmentbanker. Er sieht auch aus wie ein Investmentbanker. Er spricht sogar so sonor und mit seinem ostdeutschen Akzent wie ein Investmentbanker. Er sagte mal auf die Frage, was einen guten Bankleiter auszeichne, dass der wissen müsse, welches Risiko er nehmen könne.
Gute Antwort. Unvergesslich auch, wie er seinen Abgang bei der UBS beschrieb. Er sei aus dem Flieger gestiegen, und als er sein Handy einschaltete, sah er drei verpasste Anrufe des Risk Officers. Es ist nie gut, wenn man drei Anrufe von dem hat, fuhr Grübel launig fort. Also rief er zurück und fragte: «Ist es schlimm?» Als er die Antwort bekam «sehr schlimm», fragte er: «Mehr als eine Milliarde?» Als er ein Ja zur Antwort bekam, habe er gewusst: Das war’s.
Zum Geschwiemel seiner Nachfolger hat Grübel auch eine so einfache wie richtige Antwort: «Es ist eine Frage des Charakters.» Besser und vernichtender kann man es nicht zusammenfassen. Es ist eine Frage des Charakters, dass man nach einem solchen Ereignis zurücktritt. Dabei ist es völlig egal, ob der aktuelle CEO der Credit Suisse von der Beschattung eines Ex-Mitglieds der Geschäftsleitung wusste oder nicht. Denn Tidjane Thiam ist dafür verantwortlich.
Statt dessen ist Thiam seit dem Platzen des Skandals abgetaucht. Kein Wort von ihm. Kein Wort des Bedauerns, nichts. Er überlässt den Auftritt vor den Medien dem VR-Präsidenten Urs Rohner. Der in einer gespenstischen Pressekonferenz als geschickter Anwalt alles zuschwafelt, sich im Namen der Bank entschuldigt, seinem CEO, der nichts gewusst habe, sein Vertrauen ausspricht. Dann noch ein Gefälligkeitsinterview gibt und offenbar hofft, dass damit die Sache ausgestanden sei.
Ist sie natürlich nicht. Zu viele Fragen sind weiter offen. Die naheliegende: Der gefeuerte COO, ebenfalls Mitglied der Geschäftsleitung und viele Jahre schon vor der CS Weggefährte von Thiam, soll einen so heiklen Beschattungsauftrag gegeben haben, ohne mit seinem Buddy Thiam darüber gesprochen zu haben? Dann die berechtigten Zweifel: Wieso wurden Konversationen auf den Privathandys der Beteiligten gelöscht? Mit modernen forensischen Mitteln wären die problemlos wiederherstellbar. Wieso geschah das in der angeblich gründlichen Untersuchung nicht?
Dann die hochnotpeinliche Frage: Wer hat den Namen des externen Sicherheitsmitarbeiters der CS an die Medien durchgestochen, der nach den ersten Anrufen von Journalisten seinem Leben ein Ende setzte? Das muss wohl die gleiche Quelle gewesen sein, die den offensichtlich manipulierten «Bericht» der stümperhaften Beschattungsfirma an die Öffentlichkeit brachte. Schliesslich: Wieso wurde die offensichtliche Ursache des Abgangs des Chefs der Vermögensverwaltung, ein Nachbarschaftsstreit, nicht untersucht?
Aber die Frage aller Fragen ist natürlich: Würden Sie diesem CEO, würden Sie diesem VR-Präsidenten Ihren Spargroschen anvertrauen? Wären Sie sich sicher, dass die beiden, dass in der CS von den beiden abwärts alle Mitarbeiter in erster Linie das Kundenwohl, den guten Ruf, die Seriosität der Bank als Richtschnur ihres Handelns nehmen? Dass erst dahinter die persönliche Karriere, das Festhalten an seiner Position, die Machterhaltung steht?
Zum Schluss: Der Fisch stinkt immer vom Kopf. Mit welchem moralischen Recht kann diese Bankführung von ihren Untergebenen ein solches Verhalten einfordern? Kann sich nun jeder kleine Vorgesetzte, jeder Filialleiter, jeder Mitarbeiter mit Untergebenen nicht darauf berufen, dass er sich doch nur so verhält, wie es ihm sein CEO und sein VR-Präsident vorleben?
Indem der VR-Präsidenten seinem CEO Rückendeckung gibt und das Vertrauen ausspricht, nimmt er ein Risiko, das er nicht abschätzen kann. Wäre Thiam gegangen, wäre Thiam gefeuert worden, dann könnte die Bank immerhin sagen, dass sie durchgegriffen hat. So hat Rohner ohne Not sein Schicksal und das der Bank an Thiam geknüpft. Sollte in der Zukunft etwas ans Tageslicht kommen, was den Fall anders aussehen lässt, was die Rolle von Thiam anders aussehen lässt, dann hat nicht nur der CEO ein Problem.
Aber das alles ist letztlich, wie meistens im Leben, ganz einfach. Wenn man die Wortwolken beiseite wedelt, mit denen das Geschehene verhüllt werden soll, bleibt eine schlichte Wahrheit: Es ist eine Charakterfrage. Man hat, oder man hat nicht. Alles andere ist Blabla.
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