Zeit der Wahlen: Der beste Anlass, dem politischen Gegner wieder einmal so richtig an die Gurgel zu gehen. Und wie immer teilten die Parteien an der Rändern besonders heftig aus.
Ein weisses Schäfchen mit schwarzem «Fuck Nazi»-Pullover tritt SVP und FDP. Mit diesem Briefkasten-Kleber sorgte die Kampagnenorganisation Campax des ehemaligen Greenpeace-Mitarbeiters Andreas Freimüller Ende Juli für Aufsehen — und für Kritik.
FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann drohte mit juristischen Schritten. Und Campax? Änderte nach Protesten zwar das Sujet, fand es aber unnötig, sich zu entschuldigen. Worauf sich die Organisation deutliche Kritik von Seiten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds anhören musste, welche gegen die gedankenlose Verwendung von Nazi-Vergleichen protestierte.
Nach den omnipräsenten «Klima-Klebern» hatte das mediale Sommerloch also auch noch das Thema «Nazi-Kleber». Doch selbst dabei zeigten sich die Medien seltsam stumpf, als hätte ihnen die Hitze auf's Gemüt geschlagen. So fragte «20 Minuten» den Präsidenten der Grünen, Balthasar Glätti, der im Vorstand von Campax sitzt, in einem Interview: «Ist die FDP eine Nazi-Partei?» Was dieser natürlich getrost verneinen konnte.
Steilvorlage für Glättli
Das war keine Frage, sondern eine Steilvorlage! Jeder Jungjournalist auf der Suche nach einer Story hätte sofort gemerkt, dass die Frage stattdessen hätte lauten müssen: «Ist die SVP eine Nazi-Partei?» Das wäre mal Gelegenheit für den Parteipräsidenten der Grünen gewesen, sich zu winden. Denn viele ihrer Anhänger denken natürlich genau das.
Die entsprechende Anfrage an Balthasar Glättli «Ist die SVP eine Nazi-Partei?» mochte dieser — wen überrascht's? — nicht beantworten. Schön für ihn, dass ihm manche Journalisten derart wohlgesinnt sind.
Es gab einmal eine Zeit, da feierte dieses Bonmot Hochkonjunktur: «Aussen grün, innen rot». Es gab damals folgerichtig die Gurken- und Melonen-Grünen. Greenpeace ist vielleicht das beste Beispiel dafür, um was es Melonen-Grünen wirklich geht.
Vor über fünfzig Jahren gegründet, war der Kampf gegen Atomwaffentests auf Atollen das erste Anliegen — ein durchaus berechtigtes überdies. Schnell ein paar verlassene Inseln am Ende der Welt atomar zu verseuchen und sich dann aus dem Staub zu machen, ohne den Schaden zu beheben, ist aus heutiger Sicht tatsächlich unvorstellbar. Damals aber wurde genau das ausnahmslos von allen Atommächten praktiziert. Frei nach der Devise: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Heute kleistert Greenpeace stattdessen Plakatwände an Bahnhöfen mit Slogans voll: «Unser Traum: Ein global gerechtes Leben. Gemeinsam für zukunftsfähige Wirtschaftssysteme.» So schwammig formuliert, dass es alles und nichts bedeuten kann. Wenn es buchstäblich um alles geht, ist die Gefahr der Totalitarismus — der Name besagt es ja schon — nie weit.
Entsprechend verbreitet sich unter den selbsternannten Toleranten dieser Welt zunehmend die Haltung: Wer unsere Definition von Toleranz nicht teilt, ist ein Nazi.
Fedpol-Chefin hyperventiliert
Doch auch die Gegenseite hielt sich nicht zurück. So forderte SVP-Präsident Marco Chiesa am 1. August: «Helfen Sie mit: Jagen Sie mit uns die schädliche Politik der Grünen und Linken in die Luft!» Das heilige Evangelium predigte Marco Chiesa — Chiesa bedeutet auf Deutsch «Kirche» — damit ganz sicher nicht. Schon eher hielt er sich an das Bibelwort «Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert» (Matthäus 10,34).
Auf jeden Fall zu viel für Fedpol-Direktorin Nicoletta della Valle. Die vornehme Zurückhaltung — böse Zungen nennen es Phlegmatismus — der Beamtenschaft vergessend, schoss sie zurück: «Aufruf zur Gewalt? Art. 259 Strafgesetzbuch?»
Doch was heisst hier Phlegmatismus? Die Chefbeamtin boxte in ihrer Jugend, hat den braunen Gürtel im Judo und trainierte später auch noch Kickboxen. Sie ist offenbar geübt darin, schnell und rabiat auszuteilen.
Jedenfalls ruderte die Medienstelle des Fedpol daraufhin zurück: Die Fedpol-Chefin und studierte Juristin hätte den SVP-Präsidenten keinesfalls eines Offizialdelikts bezichtigt, sie habe bloss eine «Frage in den Raum gestellt», einen «Denkanstoss zur Prävention von Hatespeech» geleistet.
Die spätere Überarbeitung ihres Kommentars sei im Übrigen darum erfolgt, weil sie zuerst den falschen Gesetzesparagraphen zitiert habe. Die Frage sei erlaubt: Was ist schlimmer — eine Fedpol-Chefin, der manchmal die Pferde durchgehen oder eine Fedpol-Chefin, die Gesetzesbestimmungen durcheinander bringt?
Auf Abbruch spielte auch die SP: Die will nämlich die «Klimaerwärmung stoppen. Bevor alles in Schutt und Aeschi liegt». Der SVP-Fraktionschef fand's nicht sonderlich lustig.
Vielleicht hat sich die Partei ja von der Juso inspirieren lassen. Die immer für eine Entgleisung gute Jungpartei versuchte sich Anfang Sommer nämlich ein Saubermann-Image zu verpassen: «Wer greift durch und entsorgt Andi Glarner?» Wobei besagter Politiker mitsamt SVP-Sünneli aus einer Mülltonne hervorlugte.
Kein Weg zu weit, um neue Wähler zu gewinnen, sagten sich auch Sanija Ameti und Nicolas A. Rimoldi. Pünktlich zum ersten August warb die GLP-Politikerin am Flughafen von Pristina um neue Wähler. Das «G» im Namen ihrer Partei vergass sie dabei offensichtlich — oder aber sie hat sich den Einfluss des Luftverkehr auf den Klimawandel wieder einmal «schöngetrunken». Auf jeden Fall war's nicht die erste besoffene Idee der ambitionierten Jungpolitikerin.
Rimoldi auf Abwegen
«Besoffen» reicht im Fall von Nicolas Rimoldi als Attribut nicht mehr aus — da muss man schon von Badeferien in einem Whisky-Fass sprechen. Hatte dieser kurz vor dem Nationalfeiertag doch die wahrhaft gloriose Idee, aus Braunau am Inn zu grüssen. Nein, er habe keine Ahnung davon gehabt, dass dies der Geburtsort Adolf Hitlers sei, liess er verlauten.
Wie wenig glaubwürdig das ist, zeigte schon bald eine Umfrage von «20 Minuten». Das Blatt ist ja eher bekannt für Kurzfutter als für tief schürfende Analysen — dennoch wussten zwei Drittel der zehntausend antwortenden Leser um die historische Bedeutung von Braunau am Inn.
Ganz anders gebärdete sich Rimoldi noch ein Jahr zuvor. Damals wurde der Publizist Reda El Arbi mittels Strafbefehl der Schaffhauser Staatsanwaltschaft verurteilt, weil er Rimoldi öffentlich einer «antisemitischen Grundhaltung» bezichtigt habe. Der Strafbefehl ist nicht rechtskräftig, El Arbi hat vor Gericht Einsprache erhoben, das Verfahren ist hängig. Dieser Vorwurf an seine Adresse sei «absurd», fand Rimoldi damals, sei er doch unter anderem Mitglied der Gesellschaft Schweiz-Israel.
Vergangene Zeiten, kann man da nur sagen: Gegen Ende 2022 wurde er nämlich aus der Gesellschaft Schweiz-Israel ausgeschlossen. Noch fast bedenklicher: Obwohl sich die Gesellschaft Schweiz-Israel gemäss eigenen Angaben während Monaten um einen persönlichen Kontakt und eine Aussprache mit Nicolas Rimoldi bemüht hatte, kam es nie dazu.
Das Interesse an den Zielen der Organisation war offenbar nicht einmal ausgeprägt genug, um sich gegen den Ausschluss zu wehren oder sich zu erklären. Dies trotz Twitter-Posts in den vergangenen Jahren von der Art: «Israel muss man einfach lieben» und «Hier: Ich mit Kippa».
«Faschist» Macron
Hiess es bei ihm Anfang 2020 noch «Nieder mit dem Antisemitismus» tönte es zwei Jahre später ganz anders: «Der Faschist Macron will Ungeimpfte 'bis zum bitteren Ende' ärgern. Möge er diesen Sonntag untergehen und mit ihm die EU. Adieu!»
Fast ebenso jenseits sind teilweise allerdings auch Rimoldis Gegner. Insbesondere der Luzerner Jurist Loris Mainardi reichte nicht nur serienweise Strafanzeige gegen Rimoldi ein, sondern machte auch eine Gefährdungsmeldung bei der KESB. Diese erachtete die Prüfung von Massnahmen im Fall Rimoldi allerdings als «offensichtlich nicht angezeigt».
In seinem Versuch, einen politischen Gegner für unzurechnungsfähig erklären zu lassen, erinnert besagter Jurist mehr als nur ein wenig an den Umgang der ehemaligen sowjetischen Machthaber mit Regimegegnern. Die von ihm in einem Gastkommentar diagnostizierte «Schlaflosigkeit des Beunruhigten» trifft wohl nicht zuletzt auch auf ihn selbst zu.
Wenige Tage vor dem Wahlen lag nun noch ein Flyer einer SP-Kandidatin im Briefkasten. Der Slogan: «Ich engagiere mich für gesunde Finanzen». SP und gesunde Finanzen? Hat die SP tatsächlich die Finanzpolitik für sich entdeckt? Zu früh gefreut: In Tat und Wahrheit dürfte es sich dabei bloss um Neusprech für höhere Steuern handeln.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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