Tranquillo Barnetta beendet seine Karriere. Moment, nein, tut er doch nicht. Das Protokoll einer stürmischen Nacht.
Die Situation in der gesicherten Wohnsiedlung irgendwo in England spitzt sich gerade zu. Ein Haus steht in Flammen. Ist die verschollene Tochter noch drin? - Die Auflösung der Netflix-Serie muss warten. Denn in diesem Moment, es ist der Samstag vor Pfingsten nach 21 Uhr, blinkt eine Push-Meldung auf dem Smartphone auf. Der Absender: Die App des BLICK. Und die Schlagzeile: Tranquillo Barnetta beendet seine Karriere nach der peinlichen Niederlage gegen Lausanne. Das ist natürlich ein Hammer: Der Hoffnungsträger des Clubs, der eigene Sohn, der seine internationale Laufbahn vor heimischem Publikum ehrenvoll beenden wollte, geht von einem Moment zum anderen. Das sind News.
Also: Sofort ein Mail schreiben an unseren Fussballexperten, er solle doch bitte eine schöne Kurzbiografie von «Quillo» niederschreiben für unsere nächste Ausgabe. Und wir selbst müssen wohl mal schnell eine Kurzmeldung online schalten. Damit keiner sagen kann, wir hätten von nichts gewusst. Die Kollegen vom Tagblatt dürften dasselbe inzwischen ja auch gemacht haben.
Haben sie nicht. Auf der Webseite steht viel über den miserablen Auftritt des FCSG gegen Lausanne, aber nichts von Barnetta. Nanu? Der BLICK hatte das exklusiv? Wer hat da wieder wem etwas gesteckt? Gut, dann dienen eben die Zürcher als Quelle. Aber seltsam mutet das schon an, dass die in der Regel über den FC St.Gallen gut informierten St.Galler Kollegen scheinbar nichts davon wissen. Und mit Push-Meldungen geizen sie sonst ja auch nicht gerade.
Dann, etwa um 21.45 Uhr, kommt die Geschichte beim BLICK etwas ausgebaut. Und dort drin beziehen sich die Sportjournalisten bei ihrer Meldung auf das St.Galler Tagblatt - wo gar kein Wort steht. Die Verwirrung ist total. Wer zitiert ein anderes Medium, das gar nicht berichtet hat? Und dann dämmert es: Die Meldung war kein eigener Beitrag, sondern ein Absatz im Liveticker zum Spiel Lausanne - FCSG auf Tagblatt.ch.
Und wieder etwas später schreibt dieses dann doch noch zum Fall Barnetta. Und zwar ein Dementi. Die Meldung im Liveticker sei falsch gewesen. Barnetta will weitermachen. Wie das Gerücht entstanden ist, wer es aufgebracht und wer weitergeleitet hat - das bleibt offen. Und nun krebst auch der BLICK zurück und vermeldet, dass Barnetta doch bleibt. Natürlich nicht, ohne darauf hinzuweisen, dass man sich bei der Falschmeldung auf den Tagblatt-Ticker bezogen hat.
Doch das Schlimmste an dem kurzlebigen Irrläufer: Der Bezahlsender «Teleclub» hat ebenfalls Wind gekriegt vom Gerücht und sofort Sportchef Alain Sutter konfrontiert. Und statt die übliche Antwort zu geben («Ich weiss von nichts, ich muss zuerst mit Barnetta sprechen, ich kann keine Stellung beziehen») sagt Sutter auf dem Fernsehsender: «Das kommt nicht aus dem Nichts. Er hat eine Leidensgeschichte mit dem Knie. Es war absehbar, dass das Ende naht.» Nachdem Barnetta den Rücktritt dementiert hat, ist das natürlich eine denkbar unglückliche Aussage. Es klingt jedenfalls in keiner Weise bestürzt, sondern eher danach, als würde der Sportchef Barnettas Ende klaglos akzeptieren.
Eine wilde Fussballnacht. Zum einen wegen des desaströsen Auftritts des FC St.Gallen, zum anderen, weil Barnetta eine gute halbe Stunde lang quasi Geschichte war und nun wieder da ist - unter einem Sportchef, der sein Verschwinden nicht besonders aufsehenerregend fand. Wir freuen uns auf die Fortsetzung.
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