logo

Gastkommentar

Meinungsfreiheit ist keine Einbahnstrasse – eine Entgegnung auf eine Entgegnung

In einem Meinungsbeitrag greift Daniel P. Wiedmer Kantonsrat Hermann Lei scharf an. Er stört sich daran, dass es Lei wagte, die an der Pädagogischen Hochschule Thurgau (PHTG) aufgehängte «Pride»-Flagge zu kritisieren. Der Gastautor kann diese «Entgegnung» von Wiedmer so nicht stehen lassen.

Pascal Schmid am 13. August 2024

Es sei «unerträglich», dass Lei in der «Ostschweiz» gegen eine farbige und pluralistische Schweiz schreiben dürfe. Und es sei «unerträglich», wenn die «Ostschweiz» nicht merke, in wessen Kielwasser sie schwimme. Dabei übersieht Wiedmer in seinem Beitrag einen entscheidenden Punkt.

Meinungsfreiheit schützt auch unbequeme Ansichten

Die in der Bundesverfassung verankerte Meinungsfreiheit ist ein essentielles Recht in unserer Demokratie. Sie gewährt jedem das Recht, seine Meinung frei zu äussern. Die Grenze der Meinungsfreiheit bildet das Strafrecht. Die Meinungsfreiheit schliesst auch unbequeme und kontroverse, ja auch für Zartbesaitete womöglich «unerträgliche» Ansichten ein. Dass Lei die Präsenz eines politischen Symbols an einer Hochschule hinterfragt, ist Teil einer legitimen und wichtigen Debatte – und sicherlich keine intolerante Tat. Intolerant ist es, wenn – meist im politisch linken Spektrum angesiedelte – Leute wie Wiedmer solche Meinungsäusserungen unterdrücken wollen.

Staatliche Neutralität ist keine Intoleranz

Wenn Lei die Neutralität staatlicher Institutionen einfordert, dann ist das sein gutes Recht. Die Forderung nach politischer Neutralität an staatlichen Institutionen ist keine Feindlichkeit gegenüber der LGBTQ+-Gemeinschaft. Vielmehr geht es darum, dass öffentliche Einrichtungen keinen bestimmten politischen Standpunkt vertreten sollten. Die «Pride»-Flagge ist mehr als nur ein Symbol der Gleichstellung – sie beinhaltet auch ein politisches Statement, das nicht von allen geteilt wird.

Irreführende Vergleiche sind keine Argumente

Wiedmer vergleicht Leis Kritik mit der Politik von Trump, Polen oder Ungarn und zieht Parallelen, die in ihrer Schärfe und Pauschalisierung jeglicher sachlicher Diskussion entbehren. Wer bei einer Diskussion über «Pride»-Flaggen an staatlichen Institutionen mit Konzentrationslagern daherkommt, hat offenbar keine besseren Argumente. Polemische Vergleiche tragen nicht zu einem respektvollen Dialog bei, sondern fördern lediglich die Spaltung.

Echte Toleranz zeigt sich in der Akzeptanz anderer Meinungen

Wiedmer spricht von Toleranz, zeigt jedoch eine erschreckende Intoleranz gegenüber Meinungen, die nicht mit seiner eigenen übereinstimmen. Das wahre Mass von Toleranz ist die Akzeptanz von Ansichten, die von den eigenen abweichen – selbst wenn man mit ihnen nicht übereinstimmt. Oder wie es Voltaire einst ausdrückte: «Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.»

Die Gefährdung der Demokratie beginnt mit der Unterdrückung von Meinungen

Die Meinungsfreiheit zu verteidigen, bedeutet auch, für das Recht anderer einzustehen, Ansichten zu äussern, die uns nicht passen. Das ist das Fundament unserer demokratischen Gesellschaft. Wer anfängt, Meinungen zu unterdrücken oder zu delegitimieren, weil sie ihm nicht gefallen, schadet unserer Demokratie mehr, als es jede umstrittene Äusserung je könnte. Denn unsere Demokratie lebt von der Vielfalt der Gedanken und der Fähigkeit, miteinander zu reden, auch wenn wir nicht einer Meinung sind. Statt andere Meinungen zu unterdrücken, sollte sich Daniel P. Wiedmer besser für eine offene Diskussion einsetzen. Denn die Meinungsfreiheit ist keine Einbahnstrasse.

Highlights

Sängerin, Tänzerin und Unternehmerin

St.Galler Influencerin Arina Luisa möchte mehr Realität in den Sozialen Medien: «Ich poste auch einmal meine Dehnungsstreifen»

am 18. Aug 2024
Gastkommentar

Wikipedia-Amok will UBS-Banker ‹canceln›

am 02. Aug 2024
Steigender Konkurrenzdruck

«Ich wollte nie ein Vorgesetzter sein, der Wasser predigt, aber Wein trinkt»: Der Wiler Chefredaktor Andreas Böni über seine Arbeit bei «blue Sport»

am 19. Aug 2024
Asylpolitik

SVP attackiert Bundesrat Jans, Staatssekretariat für Migration kontert mit einem «Faktencheck in 18 Punkten». Wer hat recht?

am 09. Aug 2024
Andere Orte preschen vor

Zwischen Digital Detox und Realitätsflucht: Soll das Handy aus dem Schulhaus verbannt werden? So denkt die Ostschweizer Politik darüber

am 06. Aug 2024
Gastkommentar

Biodiversität oder Ernährungssicherheit? Ein kritischer Blick auf eine Volksinitiative, die gar nicht umsetzbar ist

am 03. Aug 2024
Peter Weigelt, Präsident RevierJagd St.Gallen

Wolfsregulierung – keine jagdliche, sondern eine behördliche Massnahme

am 22. Aug 2024
Interpellationen beantwortet

«Wenigstens einen Versuch wert» – St.Galler Regierung verteidigt die Russland-Reise

am 19. Aug 2024
Gastkommentar

Gendermedizin: Oft nicht viel mehr als eine Ansammlung abgenutzter Klischees

am 21. Aug 2024
Viele Katzen, wenig Platz

Wenn «Büsis» zu «Klimakillern» werden: Tierschutz-Präsidentin Esther Geisser über Lösungen gegen die Katzen-Überpopulation in der Ostschweiz

am 17. Aug 2024
Einwurf

KI soll vor dem Ertrinken schützen. Eltern, die mehr Zeit am Handy als mit ihren Sprösslingen verbringen wollen, freut diese Entwicklung

am 16. Aug 2024
Gastkommentar: Schweizer Sommer

Wenn sich die Schweizerische Regel in der Ostschweiz durchsetzt: Zu heiss gibt es nicht, um nicht nach Draussen zu gehen

am 20. Aug 2024
Sie unterstützen die Olma Messen

«Wenn der Wirt sein bester Gast ist, wird es gefährlich» – Kuno Schedler über sein Olma-Engagement

am 16. Aug 2024
SGKB Investment Views

Rezession oder doch nicht Rezession?

am 19. Aug 2024
Sitz von Swiss Olympic

Ein Haus mit Tradition und Potenzial: Ostschweizer sind neu im Besitz des Berner «Haus des Sportes»

am 16. Aug 2024
Entscheid ist noch nicht rechtskräftig

Keine Unterschutzstellung des Spitalhochhauses in St.Gallen

am 21. Aug 2024
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Pascal Schmid

Pascal Schmid (*1976) ist Thurgauer Nationalrat (SVP) und als Rechtsanwalt bei Muri Partner Rechtsanwälte AG in Weinfelden tätig. Von 2009 bis 2021 war er Präsident des Bezirksgerichts Weinfelden. Er wohnt in Weinfelden.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.