In einem Meinungsbeitrag greift Daniel P. Wiedmer Kantonsrat Hermann Lei scharf an. Er stört sich daran, dass es Lei wagte, die an der Pädagogischen Hochschule Thurgau (PHTG) aufgehängte «Pride»-Flagge zu kritisieren. Der Gastautor kann diese «Entgegnung» von Wiedmer so nicht stehen lassen.
Es sei «unerträglich», dass Lei in der «Ostschweiz» gegen eine farbige und pluralistische Schweiz schreiben dürfe. Und es sei «unerträglich», wenn die «Ostschweiz» nicht merke, in wessen Kielwasser sie schwimme. Dabei übersieht Wiedmer in seinem Beitrag einen entscheidenden Punkt.
Meinungsfreiheit schützt auch unbequeme Ansichten
Die in der Bundesverfassung verankerte Meinungsfreiheit ist ein essentielles Recht in unserer Demokratie. Sie gewährt jedem das Recht, seine Meinung frei zu äussern. Die Grenze der Meinungsfreiheit bildet das Strafrecht. Die Meinungsfreiheit schliesst auch unbequeme und kontroverse, ja auch für Zartbesaitete womöglich «unerträgliche» Ansichten ein. Dass Lei die Präsenz eines politischen Symbols an einer Hochschule hinterfragt, ist Teil einer legitimen und wichtigen Debatte – und sicherlich keine intolerante Tat. Intolerant ist es, wenn – meist im politisch linken Spektrum angesiedelte – Leute wie Wiedmer solche Meinungsäusserungen unterdrücken wollen.
Staatliche Neutralität ist keine Intoleranz
Wenn Lei die Neutralität staatlicher Institutionen einfordert, dann ist das sein gutes Recht. Die Forderung nach politischer Neutralität an staatlichen Institutionen ist keine Feindlichkeit gegenüber der LGBTQ+-Gemeinschaft. Vielmehr geht es darum, dass öffentliche Einrichtungen keinen bestimmten politischen Standpunkt vertreten sollten. Die «Pride»-Flagge ist mehr als nur ein Symbol der Gleichstellung – sie beinhaltet auch ein politisches Statement, das nicht von allen geteilt wird.
Irreführende Vergleiche sind keine Argumente
Wiedmer vergleicht Leis Kritik mit der Politik von Trump, Polen oder Ungarn und zieht Parallelen, die in ihrer Schärfe und Pauschalisierung jeglicher sachlicher Diskussion entbehren. Wer bei einer Diskussion über «Pride»-Flaggen an staatlichen Institutionen mit Konzentrationslagern daherkommt, hat offenbar keine besseren Argumente. Polemische Vergleiche tragen nicht zu einem respektvollen Dialog bei, sondern fördern lediglich die Spaltung.
Echte Toleranz zeigt sich in der Akzeptanz anderer Meinungen
Wiedmer spricht von Toleranz, zeigt jedoch eine erschreckende Intoleranz gegenüber Meinungen, die nicht mit seiner eigenen übereinstimmen. Das wahre Mass von Toleranz ist die Akzeptanz von Ansichten, die von den eigenen abweichen – selbst wenn man mit ihnen nicht übereinstimmt. Oder wie es Voltaire einst ausdrückte: «Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.»
Die Gefährdung der Demokratie beginnt mit der Unterdrückung von Meinungen
Die Meinungsfreiheit zu verteidigen, bedeutet auch, für das Recht anderer einzustehen, Ansichten zu äussern, die uns nicht passen. Das ist das Fundament unserer demokratischen Gesellschaft. Wer anfängt, Meinungen zu unterdrücken oder zu delegitimieren, weil sie ihm nicht gefallen, schadet unserer Demokratie mehr, als es jede umstrittene Äusserung je könnte. Denn unsere Demokratie lebt von der Vielfalt der Gedanken und der Fähigkeit, miteinander zu reden, auch wenn wir nicht einer Meinung sind. Statt andere Meinungen zu unterdrücken, sollte sich Daniel P. Wiedmer besser für eine offene Diskussion einsetzen. Denn die Meinungsfreiheit ist keine Einbahnstrasse.
Pascal Schmid (*1976) ist Thurgauer Nationalrat (SVP) und als Rechtsanwalt bei Muri Partner Rechtsanwälte AG in Weinfelden tätig. Von 2009 bis 2021 war er Präsident des Bezirksgerichts Weinfelden. Er wohnt in Weinfelden.
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