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Inspirations-Day

Mit KI zu mehr Zeitinseln: Marc Müllers Vision von einem Arbeitsalltag, der sich täglich etwas leichter anfühlen soll

Zu schnelllebig, zu stressig – viele wünschen sich in ihrem Alltag mehr Zeit. Und genau hier könnte Künstliche Intelligenz ansetzen, wie Co-CEO Marc Müller in seinem Referat am Inspirations-Day in St.Gallen ausführt.

Manuela Bruhin am 22. Juli 2024

Marc Müller, Sie arbeiten als Gründer und CEO. Wo setzen Sie KI gerne ein, um Ihre Arbeitsabläufe anzupassen?

Das ist wohl die häufig gestellteste Frage (lacht). Tatsächlich bin ich in verschiedenen Tools unterwegs. Am häufigsten nutze ich KI, um erste Ideen oder einen Denkanstoss zu erhalten. Es sind dann punktuelle Tasks, die ich innerhalb eines Arbeitsablaufs schneller erledigen kann und rasch eine Art «Motz-Basis» erhalte, die ich korrigieren, verfeinern und anpassen kann. Manchmal funktioniert das besser, als wenn ich mit einem leeren Blatt starte. Zusammengefasst: Die technische Möglichkeit erleichtert manchmal den Einstieg. Die Arbeit an sich erledige ich jedoch selber.

Sie werden in Ihrem Referat am Inspirations-Day aufzeigen, in welchen Bereichen mit Hilfe von KI die Produktivität erheblich gesteigert werden kann. Die Kritik lautet ja häufig, dass die heutige Zeit zu schnelllebig ist. Übernimmt KI die Leistungssteigerung, dreht sich der Kreis noch schneller.

Ja, das ist ein berechtigter Punkt, der wohl der Technologisierung und Digitalisierung im Allgemeinen geschuldet ist. Neue Technologien haben uns in der Vergangenheit nicht unbedingt geholfen, Zeit zu sparen, sondern sie haben dazu geführt, um in der gleichen Zeit mehr zu machen. Unsere Vision ist, dass unser Arbeitsalltag dahingehend verbessert wird, dass Menschen wieder mehr Zeit für Menschen haben.

Haben Sie ein Beispiel?

Wir wollen mehr Zeitinseln schaffen, die den Arbeitsalltag verbessern. Nehmen wir einen Vertriebsmitarbeiter oder einen Kundenberater bei einer Bank, der den ganzen Tag mit dem Auto von Kundentermin zu Kundentermin jagt. Er oder sie muss viel Zeit investieren, um die Kundengespräche zu dokumentieren oder Daten in die CRM-Lösung abzutippen. Dieser Teil könnte von einem Tool übernommen werden, damit sich die Person um das Kerngeschäft kümmern kann. Und das ist dann die Beratung für den Kunden. Die persönliche Arbeit wird wieder wichtiger – die eher «langweilige Fleissarbeit» übernimmt der Computer.

Sie sprechen es bereits an: KI bietet unzählige Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen. Welche zählen Sie dazu?

Diese beinhalten sicherlich das Verantwortungsbewusstsein und die Transparenz. Jeder Nutzer entscheidet selber darüber, wie und wo er KI einsetzt. Schreibe ich einen Text, der mit Hilfe von KI generiert wurde – vermerke ich es unten? Oder lieber nicht? Lade ich ein bearbeitetes Video oder Foto hoch, schreibe ich es dazu, dass es KI-generiert ist? Die Entscheidung, was ich transparent mache und was nicht, liegt bei jedem Einzelnen.

Neue technische Möglichkeiten sind auch immer mit Vorurteilen behaftet. Wie gross – oder eben nicht – ist die Überzeugungsarbeit bei den Unternehmungen, die Sie leisten «müssen»?

Grundsätzlich merkt man, wer die Tools bereits ausprobiert hat – und wer nicht. Meist haben solche Menschen, die offen gegenüber neuen Möglichkeiten sind, weniger Vorurteile oder wollen sich selber ein Bild machen. Andere wiederum haben vielleicht Schlechtes in den Medien gelesen und sind vorsichtiger. Wie zu vielen anderen Themen auch, sei es Fussball oder die Post, hat jeder irgendeine Meinung. KI ist ein gutes Einstiegsthema, jedoch mit einer gewissen Fallhöhe behaftet. Was wir auch bemerken, ist, dass der Hype bereits ein wenig nachlässt. Was jetzt folgt, ist die Realität und vielleicht auch eine Spur Ernüchterung.

Weshalb?

Weil jetzt mit der Technologie gearbeitet werden muss. Aber genau dieser Bereich ist auch sehr spannend. Die Integration in den Arbeitsablauf ist quasi die letzte Meile, die wir als Sparring- und Umsetzungspartner mit unseren Kunden gehen. Einige werden das gut finden, andere weniger.

Fachkräftemangel, enge To-do-Listen und eine überladene Tool-Landschaft – es gibt in der Arbeitswelt viele Herausforderungen. Sie zeigen Lösungen mit Hilfe von KI. Wie könnten Ansätze aussehen?

Im Bereich der Administration bietet KI ein Riesenpotenzial. Denken wir nur einmal an die ganze Datenerfassung. Viele KMU sind gerade im Büro oder Backoffice extrem gewachsen, neue Mitarbeiter kamen dazu. Die ganzen Personalien müssen erfasst, in Tools abgefüllt werden. Das bietet sich an, um diese Arbeit durch KI ausführen zu lassen. Aber auch in Offertenprozessen können wir uns Unterstützung holen.

Wie schafft es ein Unternehmen, auch die ältere Generation von Mitarbeitenden mit ins Boot zu holen?

Ich denke, Technologie ist keine Frage des Alters. Viele ältere Menschen sind beeindruckend agil unterwegs, sie sind neugierig und experimentierfreudig. Viele Geschäftsführer sind technisch versiert, und haben die Digitalisierung vorangetrieben. Dann gibt es auch solche, die lieber erst dann mit KI starten wollen, wenn die Abläufe schon funktionieren. Da gibt es wohl kein «richtig» oder «falsch».

Welche wesentlichen Schritte gehören für Sie zu den «KI-Adoption Essentials»? Wie können Unternehmen sich bereits heute auf diese zukünftigen Entwicklungen vorbereiten?

Für Unternehmen ist es sinnvoll, nach dem Prinzip «use case first» zu handeln – also nicht zuerst die Technologie zu wählen, sondern die Prozesse und Abläufe benennen zu können, die nicht optimal funktionieren. Diese wiederum sollten als Anhaltspunkt dienen, um festzustellen, wo es Verbesserungspotenzial in den täglichen Arbeitsabläufen gibt. Was brauchen viele Leute? Was ist umständlich, und macht den Wenigsten Spass? Anschliessend können entsprechende Tools geprüft werden, die Abhilfe verschaffen können. Auch hilfreich ist es, wenn möglichst viele motivierte Mitarbeiter mit ins Boot geholt werden. ChatGPT beispielsweise kann vom Lehrling bis zum CEO genutzt werden. Anschliessend kann innerhalb des Teams darüber diskutiert werden, was verbessert werden sollte, oder wo vielleicht individuelle Lösungen herhalten müssten. In einem letzten Teil geht man dann «live», also in die Praxis, mit einem Prototyp, bestehenden Tools – damit ausprobiert werden kann, was funktioniert. Nicht alles, was einem ein Marketingvideo verspricht, funktioniert auch in der Realität. Hier unterscheidet sich KI nicht von anderen Produkten.

(Bilder: Depositphotos/pd)

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Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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