Zum Abschied ein Plädoyer für mehr Respekt und Sachlichkeit: Co-Chefredaktorin Odilia Hiller warnt vor den Folgen der pauschalen Medienkritik.
«Linke Medien», «Staatsfernsehen», «Konzernmedien» – die Kampfbegriffe hallen laut durch die Kommentarspalten und sozialen Medien. Scheinbar immer nachdrücklicher werden die Stimmen, die «den Medien» eine linksgerichtete Agenda und bewusste Manipulation der Bevölkerung vorwerfen.
Zunächst gilt es festzuhalten: Journalismus ist kein homogenes Gebilde. Die Schweizer Medienlandschaft ist vielfältig, von links-alternativen Zeitungen bis hin zu wirtschaftsliberalen Publikationen ist alles vertreten. Der Vorwurf der einseitigen Berichterstattung greift daher zu kurz. Natürlich haben Journalistinnen und Journalisten, wie alle Menschen, politische Ansichten und Weltbilder. Doch seriöser Journalismus zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er diese persönlichen Meinungen klar von der Berichterstattung trennt.
Doch was steckt hinter dem Mythos vom «Linken Mainstream»? Und vor allem: Ist das nicht eine unsachliche Scheindebatte? Lenkt sie nicht von den eigentlichen Problemen ab, die den Schweizer Journalismus bedrohen – und von denjenigen, die täglich versuchen, ihren Beruf nach bestem Wissen und Gewissen auszuüben?
Nicht nur falsch, auch respektlos
Es wäre an der Zeit, sich mit Vehemenz gegen die Tendenz, Journalistinnen und Journalisten mit halbseidigen populistischen Parolen schlecht zu machen, zur Wehr zu setzen. Denn der pauschale Vorwurf des «Linken Mainstreams» ist nicht nur falsch, sondern auch zutiefst respektlos gegenüber all jenen, die sich mit Kompetenz und Integrität für eine faktenbasierte und unabhängige Berichterstattung einsetzen.
Klassisch ausgebildete Medienschaffende haben einen anspruchsvollen Beruf erlernt. Sie wissen, was es heisst, Informationen zu recherchieren, Fakten von Meinungen zu trennen, Zusammenhänge zu erkennen und komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. Sie haben gelernt, kritisch zu hinterfragen, verschiedene Perspektiven einzunehmen und ausgewogen zu urteilen.
Kurzum: Sie verfügen über das intellektuelle Rüstzeug, um Dinge in ihrem Kontext zu verstehen und für die Öffentlichkeit einzuordnen, sie können – und müssen – zuweilen auch zwischen richtig und falsch unterscheiden. Genau diese Fähigkeit wird ihnen immer öfter abgesprochen, wobei im Chor der Vorhaltungen oft nicht recht nachzuvollziehen ist, ob sie nun Haltung zeigen oder rückgratlos im Sowohl-als-auch verhaftet bleiben sollen.
Blinde Flecken und Verbesserungspotential
Als Journalistin, die seit bald 25 Jahren in der Schweizer Medienlandschaft tätig ist, erlebe ich diese Entwicklungen hautnah – auch die Vorwürfe. Natürlich gibt es auch innerhalb der Medienlandschaft blinde Flecken und Verbesserungspotential. Doch die pauschale Abwertung als «Linker Mainstream» ist nicht nur falsch, sondern gefährlich. Sie untergräbt das Vertrauen in eine der wichtigsten Säulen der Demokratie: die freie und unabhängige Presse.
Dass die journalistische Laufbahn in unserem Land grundsätzlich allen offen steht, die kognitiv dazu in der Lage sind, sei hier am Rande ebenfalls erwähnt. Spätestens, wenn man diesen Weg wählt, dürfte allen klar werden, dass es um weit mehr geht als das Abdrucken von Medienmitteilungen – und dass es Zeit, Kraft, kritischen Geist, Empathie und Kreativität braucht, die «Wirklichkeit» vorurteilslos und sachgerecht abzubilden.
Allerdings: Es wäre unehrlich und unglaubwürdig zu behaupten, Medien seien völlig frei von einer bestimmten Haltung. Jedes Medium hat eine Geschichte, eine redaktionelle Linie, ein Publikum. Wichtig ist, dass diese Positionierung transparent und nachvollziehbar ist.
Abweichende Stimmen diffamieren
Woher kommt nun aber die Kritik an den bösen Massen- und Staatsmedien, insbesondere von rechtskonservativer Seite? Ein Grund mag in der zunehmenden Polarisierung unserer Gesellschaft liegen. Einfache Antworten und Feindbilder, wie der angeblich allmächtige «Linke Mainstream», dienen der eigenen Positionierung und Mobilisierung der Anhängerschaft. Bezeichnenderweise beschweren sich gerade diejenigen am lautesten über angebliche «Meinungsdiktatur» und «Cancel Culture», die selbst am vehementesten abweichende Stimmen diffamieren und zum Schweigen bringen wollen. Das sollte zu denken geben.
Ein weiterer Faktor ist die zunehmende Vermischung von Meinung und Information, befeuert durch die sozialen Medien. In der eigenen Echokammer werden abweichende Positionen schnell als «Fake News» abgetan und der offene und konstruktive Diskurs vergiftet. Die Kritik an einer angeblichen Intoleranz gegenüber anderen Meinungen entpuppt sich so oft als einseitiger Kampf gegen alles, was nicht der eigenen Weltsicht entspricht.
Diese fruchtlose, meist erschreckend destruktiv geführte Debatte lenkt von den eigentlichen Herausforderungen ab, vor denen der Schweizer Journalismus steht: die chronische Unterfinanzierung vieler Redaktionen, prekäre Arbeitsbedingungen, zunehmender Zeitdruck und der stetig wachsende Druck, mit reisserischen Schlagzeilen Klicks zu generieren.
Der differenzierte Diskurs ist gefährdet
Gerade in der aktuellen Zeit, in der wir mit komplexen Herausforderungen wie dem Klimawandel, der Migration oder bedrohlichen Kriegen konfrontiert sind, ist ein faktenbasierter und differenzierter Diskurs wichtiger denn je. Doch dieser ist gefährdet, wenn grundlegende Standards wie Faktenchecks, Trennung von Journalismus und PR, ausgewogene Berichterstattung, gründliche Recherche und die Einordnung von Meinungen in politische Kontexte aus Ressourcenmangel nicht gewährleistet werden können. Wenn wichtige Themen unbearbeitet bleiben, weil Zeit, Luft und Personal fehlen.
Anstatt Ressourcen in unsinnige Kämpfe gegen Windmühlen zu verschwenden, sollten wir uns auf das Wesentliche besinnen: die Sicherung und den Ausbau eines qualitativ hochwertigen, unabhängigen und ehrlichen Journalismus. Dazu gehört auch, dass Medienhäuser ihre eigene Positionierung transparent machen. Nur so können wir das Vertrauen der Menschen in die Medien zurückgewinnen und die Grundlage für einen konstruktiven Dialog schaffen. Denn so viel ist klar: Die Zukunft unserer Demokratie hängt auch von der Zukunft des Journalismus ab.
Hinweis: Mit diesem Leitartikel verabschiedet sich Odilia Hiller als Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Wir danken ihr für ihr Engagement und wünschen ihr für die Zukunft alles Gute.
Odilia Hiller aus St.Gallen war von August 2023 bis Juli 2024 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.