Ein Mammutprogramm, das selbst die erfahrensten Skirennfahrer an die Grenzen bringt: Die auffallend vielen Stürze am Lauberhornrennen rufen Kritiker auf den Plan. Kein Wunder, sagt der Gossauer Skirennfahrer Ralph Weber.
Ralph Weber, fangen wir mit den erfreulichen News an: Marco Odermatt hat an diesem Wochenende wieder einmal gezaubert. Wie haben Sie das Ganze miterlebt?
Es ist einfach unglaublich, was dieser Mensch leistet. Das sehen wir Skirennfahrer nicht anders als das restliche Publikum und die Fans. Man darf nicht vergessen: Die Belastung für solche Erfolge ist unglaublich hoch. Einerseits natürlich körperlich, aber auch der mentale Bereich muss erwähnt werden. Vielleicht kann es Marco Odermatt lockererer angehen, weil er eigentlich schon alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt. Das merkt man seinem Typ und Fahrstil an. Seine Leistung ist wunderbar für den Skirennsport. Trotz seines Erfolgs ist er dennoch ein cooler Typ geblieben, der immer ein offenes Ohr hat.
Nicht alles war aber nur positiv. Die grossen Belastungen für die Fahrer am Lauberhornrennen gaben zu reden und wurden kritisiert. Waren die Tage wirklich zu lang?
Ich würde sagen: Ja! Die Veranstalter können da aber nicht viel dafür, sondern die Planung des internationalen Skiverbands FIS ist nicht intelligent genug. Bereits zu Beginn der Saison war klar, dass ein sehr happiges Programm anstehen wird. Die Veranstalter leisten unglaublich viel, dass ein Rennen durchgeführt werden kann. Am Ende regiert aber das Wetter. Die Doppelabfahrten sind schade, weil sie zulasten der ganz grossen Klassiker gehen. Wenn es beispielsweise stets zwei Sieger am Lauberhorn gibt, ist es einfach nicht mehr das Gleiche. Die FIS macht es sich zu einfach, wenn sie sich einfach der gesamten Verantwortung entzieht.
Wie haben Sie das Rennen verfolgt?
Ich bin am Samstag nicht gestartet und habe das Rennen deshalb zu Hause geschaut. Bereits zu Beginn habe ich zu meiner Freundin gesagt, dass viele Fahrer im unteren Teil müde aussehen. Dann gab es wirklich auffällig viele Stürze – teilweise harmlose, aber eben leider auch schwere. Erwischt es dann noch einen prominenten Fahrer, lässt die Kritik nicht lange auf sich warten.
Gleich mehrere Teilnehmer haben sich verletzt. Müssen die Verantwortlichen stärker in die Pflicht genommen werden? Oder liegt alles in der Verantwortung der Sportler?
Das ist eine schwierige Frage. Uns Rennfahrern ist das Risiko natürlich bewusst, welches wir eingehen. Letztlich ist ein Sturz immer ein Fahrfehler. Es gibt jedoch ein grosses Aber. Im Skirennsport muss leider immer erst etwas passieren, bis Anpassungen vorgenommen werden. Dass ein solch happiges Programm wie am Wochenende durchgeführt wurde, ist nichts Neues. Bisher ist es aber immer gut ausgegangen. Dass die Piste in Wengen nicht optimal war, hatten verschiedene Fahrer bereits die ganze Woche über bemerkt und auch weitergegeben. Jedoch ist der Grat zwischen Spektakel und Sicherheit im Skirennsport sehr schmal. Es muss immer erst einen Topfahrer erwischen, bis hingesehen wird – doch die Fälle geraten genauso schnell wieder in Vergessenheit. Wälzt man die ganze Verantwortung auf die Fahrer ab, macht man es sich zu einfach. Es geht um sehr viel Geld, was auch der Grund für ein solch dichtgedrängtes Programm ist. Muss sich jedoch ein Fahrer nach dem anderen rausnehmen, weil er angeschlagen oder verletzt ist, werden die Rennen uninteressant. So wie derzeit auch der Gesamtweltcup, wenn Marco Schwarz und Aleksander Kilde fehlen. Und das möchte eigentlich niemand.
Sie sagen es: Auf der einen Seite sind die Anliegen der Veranstalter, auf der anderen Seite diejenigen der Sportler. Wie schafft man es, alles unter einen Hut zu bekommen?
Die Veranstalter können nicht viel dafür – sie wollen die Rennen abhalten, wir Rennfahrer wollen auch Rennen fahren. Vielmehr müsste die Saisonplanung der FIS überdacht werden. Als Beispiel ist die Rennplanung des vergangenen Jahres zu erwähnen, als wir zweimal nach Nordamerika reisen mussten. Auch das haben wir damals schon vor der Saison in Frage gestellt, wurden jedoch abgewiesen und uns gesagt, wie gut und wichtig es ist. Plötzlich macht man das in diesem Jahr aber nicht mehr so. Mit Blick auf den diesjährigen Rennkalender wird schnell klar, dass auch dieser sehr speziell ist.
Wie meinen Sie das?
Wir Speedfahrer fahren Rennen - ausser das Weltcupfinale - bis Mitte Februar, das Programm ist bis dahin sehr gedrängt. Mitte Februar haben wir Speedfahrer fast vier Wochen Pause, weil die Techniker in Amerika sind. Daher können wir in dieser Zeit keine Rennen nachholen. Das mutet doch sehr komisch an. Die FIS müsste mehr Puffer einbauen, dass keine Doppelabfahrten nötig sind. Sind die Fahrer so unter Dauerbelastung, sind Fahrfehler eine logische Konsequenz daraus.
Marco Odermatt sagte, dass womöglich das letzte Mal drei Rennen am Stück gefahren worden sind. Was ist Ihre Einschätzung?
Es ist wie gesagt schade, dass immer erst etwas passieren muss, bis etwas geändert wird. Verletzt sich ein nicht so bekannter Fahrer, wird oftmals der Fehler bei ihm gesucht. Ich hoffe, die Verantwortlichen stehen jetzt zu ihrem Wort und richten den Kalender besser ein. Die ganze Belastung mit der Umherreiserei ist für die Sportler eine grosse Herausforderung – und oftmals wäre weniger eben doch mehr.
(Bild: pd)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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