Stars und Sternchen werben fleissig für die Fettweg-Spritze «Lemon Bottle». Doch das Medikament ist in der Schweiz gar nicht zugelassen. Dr. med. Nikolaus Linde über die Grauzone und weshalb er die Gefahr ganz woanders sieht.
Nikolaus Linde, Swissmedic gab vor wenigen Tagen bekannt, dass «Lemon Bottle» in der Schweiz nicht zulässig ist. Auch Sie haben in Ihrer Praxis Patientinnen (Patienten) damit behandelt. Wussten Sie im Vorfeld nicht, dass das Medikament nicht zugelassen ist?
Wir haben keine Patienten damit behandelt, sondern haben nur die «Welle» benutzt und Lemon Bottle als «Door Opener» eingesetzt. Patienten, die danach fragten, bekamen die in der Schweiz zugelassenen Substanzen einer Fettweg-Spritze oder unterzogen sich einer Fettabsaugung. Denn mir war das Produkt nicht geheuer.
Weshalb?
Ich konnte mir nicht sicher sein, dass bei der Produktion alle Regeln der Hygiene eingehalten worden sind. Lemon Bottle wurde in der Schweiz von zwei offiziellen Distributoren verkauft, die schon lange im ästhetischen Bereich tätig sind. Das bedeutet natürlich, dass diese Firmen im Falle von Problemen haftbar sind. Lemon Bottle war bis zum obigen Zeitpunkt erlaubt – oder sagen wir mal: nicht offiziell verboten, bis Swissmedic dieses Präparat verboten hat. Das hat mit den Bestimmungen der EU zu tun. Substanzen, die in Ländern der EU verkauft werden, dürfen grundsätzlich auch in der Schweiz eingesetzt werden ohne eine spezielle Zusatzerlaubnis der Swissmedic. Doch ist das eine gewisse Grauzone.
Swissmedic erklärt, dass das Medikament wohl auch in keinem anderen Land zugelassen ist. Dennoch werben viele bekannte Persönlichkeiten damit.
Das ist genau das Problem der heutigen Zeit. Irgendwelche Trends oder Substanzen werden per bezahlten Influencern gepusht, ohne dass es dafür irgendeinen wissenschaftlichen Hintergrund gibt. Und die Produkte werden zum Hype, obwohl sie eher gefährlich sind oder nichts bringen. Die sozialen Medien sind voll davon. Lemon Bottle ist in Korea zugelassen, soweit ich das weiss.
Das Hauptproblem von Lemon Bottle ist doch nicht, dass manche Ärzte das vielleicht eingesetzt haben. In allen solchen Fällen haftet der Arzt für etwaige Probleme bzw. der Distributor, der das Produkt verkauft hat. In der Hand eines Arztes ist man immer sicher, weil er die Ausbildung und Möglichkeiten hat, etwaige Probleme und Komplikationen zu erkennen und zu behandeln. Er hätte im Falle eines Falles eine Haftpflichtversicherung, die etwaige Schäden übernehmen würde.
Was schätzen Sie stattdessen als Problem ein?
Die Unglaublichkeit bei Lemon Bottle ist etwas ganz anderes. Lemon Bottle kann JEDER Nicht-Arzt, also Kosmetikerin, Coiffeur oder jeder, der es will, kaufen. Die Werbung für Lemon Bottle war ja nicht die, dass man das beim Arzt machen lässt, sondern, dass man sich das selbst im Internet kauft und dann nach Anleitung per YouTube selbst injiziert. Kontrollieren Sie die Internetseiten – nirgends wird nach einer Ausbildung oder sonst etwas gefragt. Und jede Schmalspurkosmetikerin mit minimaler Haftpflichtversicherung fing an, das auch anzubieten. Und genau das ist die grösste Gefahr bei der Vermarktung von Lemon Bottle gewesen und ist es noch immer.
Wer steht hier in der Pflicht?
Da muss Swissmedic angreifen und alle diese Homepages in der Schweiz verbieten. Aber genau das tut sie nicht. Angeblich könne sie das nicht oder ihnen ist der Aufwand dafür zu gross, obwohl in anderen Ländern problemlos von heute auf morgen jede Seite im Land gesperrt werden kann. Schauen Sie China an. Dort geht es innerhalb von Minuten. Aus diesem Grund ist es lächerlich, wenn Swissmedic an uns Ärzte schreibt, wir dürfen das nicht mehr einsetzen, anstatt den Laien davor zu schützen, der das immer noch in den Sozialen Medien liest, noch immer bestellen und selbst anwenden kann.
Wie gross schätzen Sie den «Schaden» ein?
Ich denke, dass die Ärzteschaft die Substanz kaum verwendet hat, weil die Behandlung bei uns Ärzten viel zu teuer war. Denn die Patienten haben ja alleine bei der Internetsuche nach einem Anbieter sofort Werbung gesehen, was die Ampullen im Einkauf kosten. Deshalb haben sie es vorgezogen, sich das Produkt selbst zu besorgen und zu injizieren, weil es so ein Fünftel günstiger war als die Behandlung beim Arzt.
Was müsste unternommen werden?
Zusammengefasst hat sich an der Problematik gar nichts geändert. Jeden Tag finden Patienten immer noch die gesamte Werbung von Influencern in den Sozialen Medien und viele Angebote, um die Substanz selbst zu bestellen und zu spritzen. Die Verantwortung dafür, und zwar für jeden einzelnen geschädigten Patienten, liegt somit bei Swissmedic, die ihren echten Job nicht macht. Das wäre nämlich, dies rigoros zu unterbinden. Ich habe das schon vor einiger Zeit per Kantonsapotheker St.Gallen der Swissmedic ausrichten lassen. Aber sie macht. NICHTS.
Insbesondere die unterschiedlichen Inhaltsstoffe werden bemängelt. Über unerwünschte Nebenwirkungen könne demnach nicht spekuliert werden.
Die Inhaltsstoffe der Lemon Bottle sind alle für sich gesehen harmlos, aber wahrscheinlich auch nutzlos. Das Problem ist, dass Lemon Bottle von der Swissmedic als Arzneimittel eingestuft worden ist – was bedeutet, dass dann eine Kette von Regularien in Kraft treten, die Lemon Bottle für eine Zulassung bei Swissmedic alle nicht erfüllt hat. Das Hauptproblem ist und war, dass es keinerlei Daten gab und gibt, wie die Ampullen hergestellt wurden und werden, und somit überhaupt nicht sichergestellt war, dass der Inhalt wirklich steril war.
Müssen Sie nun von einem Tag auf den anderen die Behandlungen zurückziehen? Wie reagieren die Patienten darauf?
Wie gesagt, wir haben nur wenige Anfragen gehabt, weil die Behandlung bei uns Ärzten viel zu teuer war. Und wir haben ja immer nur andere zugelassene Produkte eingesetzt, wie eine zugelassene Fett-Weg-Spritze, die schon seit Jahren zugelassen ist oder eine Fettabsaugung. Denn die Wirkung einer Fettweg-Spritze ist grundsätzlich immer nur sehr minimal. Grosse Fettpolster lassen sich damit niemals entfernen. Es gibt keinerlei zertifizierte Vorher-Nachher-Bilder über Lemon Bottle im Internet. Alle Ergebnisse, die dort zu sehen sind, sind gefälscht.
Wie gross war die Nachfrage bei Ihnen in der Praxis?
Grundsätzlich mässig, was die Grundinformationen anbelangte, jedoch gross. Sobald wir jedoch die Kosten erwähnt haben, zogen sich die Patienten zurück.
Gibt es allenfalls ein ähnliches Produkt?
Ja, es gibt eine sogenannte Magistralrezeptur, also ein Rezept, das ich für den Patienten ausstelle. In einer Apotheke in Zürich wird dann die Fett-Weg- Spritze individualisiert auf den Patienten zusammengestellt. Dieses Arzneimittel ist erlaubt und so ist es zugelassen. Und: Nur Ärzte können das Produkt einsetzen. Es gibt im Ausland ein Produkt, das zugelassen ist, Kybella, was im Rahmen der EU Bestimmungen auch in der Schweiz eingesetzt werden darf. Auch dieses Produkt darf nur von Ärzten eingesetzt werden.
(Bilder: Depositphotos/PD)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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