Ein im Appenzellerland ansässiges Medium setzt systematisch auf Falschnachrichten; diese erreichen ein grosses Publikum. Durch die Fakenews soll Misstrauen gegenüber den aktuellen politischen Verhältnissen gesät werden.
Hinter dem 2012 gegründeten kla.tv steckt vordergründig ein sympathisches Konzept: Wer mit der Berichterstattung der gängigen Medien nicht einverstanden ist, kann sich an klagemauer.tv, kurz kla.tv, wenden, damit es mutmasslich einseitige oder verzerrte Informationen in seinen Sendungen richtig stellt.
In einigermassen professioneller Aufmachung werden bei kla.tv scheinbar seriöse wirkende Medienproduktionen im World Wide Web veröffentlicht. Damit sollen so viele Menschen wie möglich erreicht werden. Man wolle die grösste Medienkette Europas werden, heisst das erklärte Ziel. Kla.tv verfügt angeblich über 165 Studios weltweit und verbreitet seine News in 70 Sprachen. 220 Moderierende sollen gemäss eigenen Angaben bei kla.tv vor den Kameras stehen.
Weltverschwörung
Gemäss Wikipedia verbreitet der Internet-Sender rechtsextreme, antisemitische und allgemeine Verschwörungstheorien. So steckt hinter den Anschlägen vom 11.September 2001 in New York angeblich eine Finanzoligarchie, namentlich die Familie Rothschild. Diese wolle unter anderem in Europa die Gesellschaft durch Flüchtlingsströme zu destabilisieren und einen Bürgerkrieg auslösen. Ihr Ziel sei es, eine Weltregierung anzustreben und die Menschheit zu dezimieren.
Gemäss Experten kommen in den kla.tv-Beiträgen auch Codewörter, sogenannte Dogwhistles oder Hundepfeifen-Signale, vor. Damit sind Chiffren gemeint, die nur Insider in ihrer tatsächlich gemeinten Bedeutung interpretieren können. So sind etwa antisemitische Anspielungen durch harmlos wirkende Begriffe getarnt.
Populäre Themen
Zu vielen gesellschaftlich aktuellen Themen hat kla.tv eine dezidierte Sichtweise, die den üblichen Interpretationen widerspricht. Dazu gehören etwa die Genderdebatte, Wetterveränderungen, 5G-Standard, Coronamassnahmen, Great Reset sowie Weltuntergangsszenarien. Es wird unter anderem behauptet, die Erde sei eine Scheibe. Alle Fotos, die die den Planeten als Kugel zeigen seien von der NASA mit Photoshop erstellt worden.
Bei kla.tv werden bedenkenswerte Argumente mit tatsachenwidrigen oder schwer überprüfbaren Behauptungen vermengt. Es werden auch Bezüge zu Exponenten hergestellt, die als Experten wirken, die in der Fachwelt jedoch umstritten sind. So entsteht der Eindruck, alternative Sichtweisen von bestimmten Vorgängen würden von verschiedenen Fachautoritäten geteilt. Zudem ist kla.tv mit anderen umstrittenen Alternativmedien, wie dem rechtsextremen österreichischen AUF1, vernetzt.
Gemäss der Fachfrau für Verschwörungstheorien Katharina Nocun erreicht kla.tv hunderttausende von Nutzern. Einzelne Beiträge werden gar millionenfach aufgerufen.
Fundamentalistische Gemeinschaft
Hinter kla.tv steckt die Organische Christus-Generation OCG mit Sitz in Walzenhausen. Gründer der fundamentalistischen Gemeinschaft ist Ivo Sasek. Ihre Mitgliederzahl wird auf 2000 bis 3000 Tausend Personen geschätzt. Kern der OCG sind Ivo Sasek und seine Frau Anni, Eltern von 11 Kindern, die in der Organisation mitwirken. Mittlerweile haben sich drei erwachsene Söhne sowie eine Schwiegertochter von der Organisation losgesagt. Auch weitere frühere Anhänger distanzieren sich von der OCG.
Nach einem christlichen Erweckungserlebnis im Jahr 1977 gab Sasek seinen Beruf als Automechaniker auf und wirkt seither als Laienprediger mit Sendungsbewusstsein. Er hat im Laufe der Jahre eine Art Medienkonzern aufgebaut, der mit Spielfilmen, Rundbriefen, Pseudo-Dokumentationen, Musicals, Büchern, Zeitungen, Broschüren, Homepages und kla.tv seine Botschaften unters Volk bringt. Zudem rief er auch Vetopedia ins Leben, das eine Alternative zu Wikipedia sein soll, da diese Plattform angeblich vom israelischen Geheimdienst unterwandert ist.
Zweifelhafte Plattform
Zusätzlich hat Sasek die Anti-Zensur-Koalition (AZK) gegründet. Bei diesen jährlichen Treffen traten bisher umstrittene Referierende, wie die verurteilten Holocaust-Leugnerin Sylvia Stolz und Bernhard Schaub, auf. Auch Esoteriker, Scientologen, dem Botschafter Irans und weitere Verbreiter von umstrittenen Sichtweitweisen wurde eine Plattform geboten. Auch verschiedene SVP-Mandatsträger traten in der Vergangenheit schon an Mikrofon. Kaum beabsichtigt gaben sie damit den Veranstaltungen einen seriösen Anstrich. Dabei lehnt Sasek die Demokratie ab. In ihr werde den Leuten vorgegaukelt, sie könnten mitreden, dabei würden sie über den Tisch gezogen, äusserte er an einem Vortrag. Diktatur sei nicht per se negativ. Er verstieg sich sogar in die Behauptung, Adolf Hitler könnte eine Art Apostel gewesen sein.
Verletzung der Privatsphäre
Zu einem Skandal und zu einem Ermittlungsverfahren kam es 2021, als bekannt wurde, dass die OCG heimlich 8000 Datensäze von Politikerinnen und Medienschaffenden aus der Schweiz, Österreich und Deutschland mit teils sehr privaten Informationen beschafft hatte.
Wie kla.tv arbeitet berichtete im letzten Frühjahr Miriam Christ bei SRF. Als Teenager hat sie sich zusammen mit ihrer Familie der OCG angeschlossen. Neun Jahre gehörte sie der Gemeinschaft an. Sie stieg zur zentralen Figur im TV-Bereich der OCG auf. Zusammen mit Freiwilligen produzierte sie wöchentlich Dutzende Beiträge, die auf kla.tv ausgestrahlt wurden. Ein Teil der Beiträge produzieren die ehrenamtlichen Mitarbeitenden in ihren Homestudios. Dennoch strahlen die Beiträge Professionalität aus.
Das Alternativ-Medium will international eine grosse publizistische Macht aufbauen, um so den angeblichen verborgenen Drahtziehern des Weltgeschehens die Stirn bieten zu können. In den Worten Ivo Saseks zu seinen Anhängern: «Wir stehen unter Kriegsgesetzen. Es ist unsere Aufgabe, diesen Goliath, alle Medien zu fällen.» Die Menschheit stünde vor dem Endkampf, so Sasek.
Ehemalige Mitarbeiterin warnt
Gemäss Miriam Christ findet bei der Produktion von Beiträgen keinerlei Überprüfung der Fakten statt. Es werden lediglich Websites mit Verschwörungstheorien konsultiert. Hauptkriterium ist der Newsproduktion ist eine den Massenmedien widersprechende Haltung. Auf Anfrage von SRF dementierte Sasek die Verbreitung von Verschwörungsmythen. Im Gegensatz dazu sagte er während der Coronapandemie: «Unerkannte Strippenzieher manipulieren und schädigen gerade die ganze Menschheit.»
Auch die Münchnerin Claudia Müller arbeitete für kla.tv. Sie bestätigt, dass es bei den Beiträgen keinerlei Faktencheck geben. Mittlerweile hat sie die OCG verlassen und warnt öffentlich vor kla.tv «Sie geben vor, Teil eines demokratischen Diskurses zu sein, sie wollen aber nicht den Staat verbessern, sie wollen ihn zerstören, weil dahinter angeblich finstere Mächte aktiv sind.»
(Bilder: pd)
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
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