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Christoph Graf

«Politik ist manchmal frustrierend»

Christoph Graf, Geschäftsführer der FDP Kanton St.Gallen, tritt per Ende September von seiner Funktion zurück. Im Interview mit «Die Ostschweiz» sagt er, was auf seine Nachfolge wartet und wie günstig oder ungünstig der Zeitpunkt im Hinblick auf die Wahlen ist.

Marcel Baumgartner am 05. Juli 2022

Christoph Graf, Sie amten noch bis Ende September als Geschäftsführer der St.Galler FDP. Welchen Tipp geben Sie Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger mit auf den Weg?

In der Politik muss man lange, intensiv und hartnäckig arbeiten um Resultate zu erzielen. Das ist manchmal frustrierend – wenn man aber durchhält, lohnt es sich umso mehr. Das gilt auch für die (partei-)politische Arbeit im Hintergrund.

Die besagte Person wird sogleich in einer heissen Phase starten. Es stehen wichtige Wahlen an. Muss sie sich auf lange Arbeitstage einstellen?

Die Wahlen sind als wichtigste Aufgabe einer Partei natürlich auch sehr intensiv. Allerdings haben wir bereits im letzten Herbst mit den wichtigsten Arbeiten begonnen und bereits einige Pflöcke eingeschlagen. Zudem ist es das Ziel der Parteispitze, bis Ende September möglichst viel vorzubereiten und damit meiner Nachfolge optimale Startvoraussetzungen zu bieten. Aber ja – in der «heissen Phase» des Wahlkampfs, so ab Sommer 2023, können die Tage und Arbeitswochen doch recht lang werden. Aber in der FDP des Kantons und der Stadt St.Gallen wird man dann immerhin mit einem Wahlsieg belohnt – zumindest meistens.

Sie selbst haben schon eine solche Wahlzeit durchlebt. Worauf kommt es dabei an? Auf gute Nerven? Auf Kreativität? Auf das Timing?

Ganz entscheidend sind die Kandidierenden und ihr Umfeld. Das gilt sowohl bei Listenwahlen als auch bei Personenwahlen. Bei Listenwahlen geht es darum, trotz der Konkurrenzsituation einen Teamspirit zu etablieren. Denn man gewinnt Listenwahlen nur als Team. Etwas anders ist es bei Personenwahlen: Dort geht es darum, eine Kandidatin oder einen Kandidaten ins Rampenlicht zu stellen. Auch hier braucht es viel zwischenmenschliches Geschick. Man muss unterstützen, beraten, gut zureden und manchmal auch schimpfen. Es braucht aber auch Organisationtalent und die Fähigkeit, die richtigen Menschen für die relevanten Fragestellungen zusammenzubringen. Wahlen gewinnt man als Team – nicht als Einzelkämpferin oder Einzelkämpfer. Das gilt für diejenigen, die kandidieren und diejenigen, die im Hintergrund arbeiten.

Wenn Sie auf die rund 5 Jahre als Geschäftsführer zurückblicken, welcher Moment bleibt dabei vor allem in Erinnerung?

Die Wahl von Karin Keller-Sutter in den Bundesrat. Die damalige Ständeratspräsidentin hat sich vor Bekanntgabe ihrer Kandidatur gewünscht, dass die FDP des Kantons St.Gallen und damit vor allem ich die nötigen Vorbereitungen und Hintergrundarbeiten macht. Natürlich gemeinsam mit einem grossen Kreis Unterstützerinnen und Unterstützter aus der ganzen Schweiz. Das war eine grosse Ehre – aber auch sehr intensiv und mit viel zusätzlicher Arbeit an den Abenden und Wochenenden verbunden. Es war aber auch eine enorm bereichernde Erfahrung – wohl der Sorte «once in a lifetime». Es gab in diesem Zusammenhang auch Überraschendes: Die Einladung für die Medienkonferenz am 09. Oktober 2018 an der Karin Keller-Sutter schliesslich ihr Interesse bekannt gab, habe ich ganz bewusst erst um 22:30 Uhr am Vorabend verschickt – dennoch telefonierte ich bis weit nach Mitternacht noch mit Journalistinnen und Journalisten. Am nächsten Tag hatten wir – etwas naiv – in Wil nur einen kleinen Seminarraum gebucht – und mussten dann für die rund 80 Medienschaffenden in den grossen Stadtsaal ausweichen. Neben der Bundesratswahl gab es aber noch einige solcher Momente – z. B. als wir 2019 mit Marcel Dobler, Susanne Vincenz-Stauffacher und 40 weiteren Kandidierenden den zweiten Nationalratssitz verteidigen konnten oder die Wahl von Beat Tinner in die Kantons- und Mathias Gabathuler in die St.Galler Stadtregierung. Das waren schöne Abschlüsse sehr intensiver Arbeitsphasen.

Was sind Tätigkeitsgebiete, die der Geschäftsführer ausübt, die aber in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden?

Ich nehme an, in der breiten Öffentlichkeit wird (teilweise) wahrgenommen, wenn man in Ausnahmefällen einmal selbst in Medien zu einem Thema Stellung nimmt. Die sonstige Medienarbeit nimmt aber natürlich mehr Raum ein: Abfassen von Medienmitteilungen, Stellungnahmen der Partei sowie ihrer Vertreterinnen und Vertreter, Gespräche mit Journalistinnen und Journalisten. Zudem ist vielen wohl klar, dass man gemeinsam mit den Mitarbeitenden der Geschäftsstelle für die organisatorischen Fragen (z. B. Organisation von Veranstaltungen, Mitgliederadministration) verantwortlich ist. Zu den sehr vielfältigen Tätigkeiten gehört neben vielem anderen auch die Vorbereitung von und Mitwirkung von politischen und strategischen Entscheiden der Partei- und Fraktionsführung. Man diskutiert im Hintergrund auch sehr direkt bei diesen Fragestellungen mit – und in den Parteigremien habe ich auch Stimmrecht. Zudem berate ich auch die Parteifunktionärinnen sowie und -funktionäre auf kantonaler, regionaler und kommunaler Ebene sowie die Mandatsträgerinnen und Mandatsträger – letztere insbesondere im Wahlkampf.

Welchen Formstand weist die kantonale FDP derzeit auf?

Kantonalpräsident und Kantonsrat Raphael Frei beantworte diese Frage unlängst wie folgt: «Wir haben mit Bundesrätin Karin Keller-Sutter, Nationalrat Marcel Dobler und Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher drei starke Vertreterinnen beziehungsweise Vertreter in Bern. In St.Gallen prägen Finanzdirektor Marc Mächler sowie Volkswirtschaftsdirektor Beat Tinner die Politik der kantonalen Regierung massgeblich. Mit der Kantonsratsfraktion konnten wir unlängst über die Parteigrenzen hinweg die Steuern senken und haben mit unserem Postulat «Vision SG 2030: Vom Nehmer- zum Geberkanton» einen wichtigen Impuls gesetzt – eine Mehrheit des Kantonsrates teilt unser Ziel, dass wir den Kanton attraktiver machen müssen. Ich kann also mit Fug und Recht behauptet: Die kantonale FDP ist in einem guten, wenn nicht sehr guten Zustand.» Dem schliesse ich mich vollumfänglich an.

Wie schwierig ist es, geeignete Nachwuchskräfte für die Partei zu finden?

Wie alle Vereine haben wir mit Megatrends zu kämpfen. Die Menschen sind immer weniger bereit, sich gesellschaftlich bzw. ehrenamtlich zu engagieren. Zudem wird nicht nur die Gesellschaft älter, sondern auch unser Mitgliederbestand. Allerdings haben wir seit einigen Jahren einen sehr engagierten Nachwuchs. Ich war selbst einmal Kantonalpräsident der Jungfreisinnigen – und viele aus der damaligen Zeit bekleiden heute wichtige Funktionen in der Partei. Der Übertritt zwischen Jungfreisinnigen und FDP funktioniert also meistens – und wenn nicht, hat das vielfach mit Wohnortwechseln in andere Kantone zu tun. Wir haben eher ein Problem in der Altersklasse zwischen 40 und 50. Das wird sich aber auswachsen.

Haben Sie persönlich weitere politischen Ambitionen?

Ich habe bereits sowohl für den Nationalrat als auch den Kantonsrat sowie für kommunale Ämter kandidiert. Zudem war ich Kantonalpräsident der Jungfreisinnigen, Vizepräsident der Rheintaler Regionalpartei sowie bis Mai 2022 Ortsparteipräsident in meiner ehemaligen Wohngemeinde Altstätten. Vor einiger Zeit habe ich erfahren, dass ich zudem in ein kommunales Parlament nachrutschen kann. Zudem werde ich – voraussichtlich – als stellvertretender Wahlkampfleiter für die FDP-Kantonalpartei auch weiterhin in reduziertem Umfang im Hintergrund tätig sein. Darüber hinaus konzentriere ich mich aber vorerst auf meine unternehmerische Verantwortung, die ich im Oktober übernehme.

Waren nun 5 Jahre einfach genug oder kam eine Chance zur Veränderung, die Sie einfach nicht ablehnen konnten/wollten?

Nein, meine Arbeit macht mir weiterhin grossen Spass. Im Dezember, beim Jahresgespräch mit dem Kantonalpräsidenten, habe ich in Aussicht gestellt, sicher nochmals zwei bis drei Jahre Geschäftsführer und Fraktionssekretär zu bleiben. Ich freute mich darauf, den «Wahlmarathon» dieses Mal mit mehr Erfahrung nochmals anzugehen. Dann aber bot sich mir die Chance, in einem etablierten und erfolgreichen Familienbetrieb unternehmerische und operative Verantwortung zu übernehmen, was mich schon immer reizte. Diese Chance konnte ich nicht vorbeiziehen lassen und packte sie. Ich freue mich sehr auf die neuen Aufgaben und die Verantwortung – habe aber auch bereits etwas Wehmut hinsichtlich der vielen tollen Menschen in der FDP, denen ich zwar verbunden bleibe aber mit denen ich zukünftiger weniger und in anderer Form in Kontakt bin.

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Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

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