2004 wählte das St.Galler Stimmvolk den Rheintaler CVP-Regierungsrat Anton Grüninger ab. Sein «Vergehen»: Er hatte schon damals gesagt, dass in der Gesundheitspolitik Skalpell statt Pflästerli gefragt ist.Hat er Recht behalten?
Spitalschliessungen: Eine Hiobsbotschaft für die direkt Betroffenen. Aber im Gesamtkontext in der kleinen, dicht erschlossenen Schweiz wären sie wohl längst ein Gebot der Zeit. Noch heute sickert es nicht überall ein, dass wir uns dieses engmaschige Netz an Vollspitälern kaum mehr länger leisten können.
Dort, wo die Bevölkerung direkt tangiert ist, rollt aber nach wie vor beim blossen Ansprechen des Themas eine Protestlawine an. Gleichzeitig starrt jeder ungläubig auf die jährlich höheren Krankenkassenprämien.
Anton Grüninger, damals in der St.Galler Regierung Vorsteher des Gesundheitsdepartementes, tat, was man von Politikern eigentlich erwartet: Er analysierte die Situation, blickte voraus und kam zum Schluss, dass die Spitaldichte im Kanton zu hoch ist. Die Spitäler Flawil und Altstätten sollten weichen.
Ein Aufschrei folgte, und zwar von einer unheiligen Allianz: Die SP möchte grundsätzlich gar nirgends irgendetwas abbauen, aber zahlreiche bürgerliche Politiker liessen sich zum Mitprotestieren verführen. Kaum aus ehrlicher Überzeugung, sondern aus Eigennutz. Der Kantonsrat wird in den Wahlkreisen gewählt, und wer in seinem Wahlkreis für die Schliessung des «eigenen» Spitals einsteht, ist unweigerlich draussen.
Und so kam es, dass in den Regionen Flawil und Altstätten selbst ansonsten sparwütigste bürgerliche Politiker auf die Strasse gingen, orchestriert von bürgerlichen Kommunikationsagenturen. Das Ergebnis: Anton Grüninger wurde im ersten Wahlgang mit einem miserablen Resultat abgestraft und trat zum zweiten gar nicht mehr an. Gelöst war damit selbstredend gar nichts. Ein klassisches Bauernopfer.
In Grüningers Fussstapfen trat Heidi Hanselmann (SP), die – für eine Gesundheitspolitikerin ungewöhnlich – die Wiederwahl jedes Mal problemlos, ja sogar gut schaffte. Aber nicht etwa, weil sie der St.Galler Spitallandschaft eine nachhaltige und funktionierende Kur verordnete, sondern weil sie die von Grüninger angesprochenen Themen nicht weiter aufkommen liess. Sie war zwar aktiv, aber vor allem, was die Strukturen angeht – und nicht die einzelnen Elemente.
Aufgegangen ist diese Strategie nicht. Inzwischen kommen mögliche Spitalschliessungen – oder eine Umfunktionierung in rein ambulante Häuser – wieder zur Sprache. Offiziell heisst es, die heutige Schieflage der Spitäler sei vor einigen Jahren noch nicht abzusehen gewesen. Wenn man bedenkt, dass die steigenden Gesundheitskosten schweizweit seit langer Zeit ein Dauerthema sind und seit Grüningers Zeiten nicht einfach mirakulös alles besser geworden ist, scheint diese Haltung erstaulich naiv.
Was heute allerdings anders ist als damals: Dank der noch jungen Struktur mit vier Spitalverbunden kann sich die Regierung gewissermassen hinter Fachleuten verstecken. Nicht sie macht schliesslich die in den Augen vieler ungebührlichen Vorschläge, sondern der Verwaltungsrat der Spitalverbunde.
Eine recht einmalige Situation: Die Regierenden fühlen sich gewissermassen nicht zuständig, indem sie darauf hinweisen, dass die Vorschläge nicht aus ihren Reihen kommen. Das sind erstaunliche technokratische Ansätze in der St.Galler Politik. Nur: Auch Anton Grüninger hatte sich bei seinen Vorschlägen selbstredend auf die Ergebnisse von Experten abgestützt. Nur dass damals dennoch alles auf seine Person fokussiert war. Dieses Mal dienen die Spitalverbunde (deren Verwaltungsräte in der Gesamtheit keine Expertengremien sind) als Pufferzone.
Die Rechnung scheint nicht ganz aufgegangen. Der Groll der Menschen in den möglicherweise betroffenen Regionen richtet sich trotz dieses Ansatzes gegen die St.Galler Regierung. Allerdings gegen das Gremium, (noch) nicht gegen die Gesundheitsdirektorin. Woher auch immer ein Vorschlag kommt: Irgendjemand wird Verantwortung übernehmen und klare Forderungen stellen müssen.
Diese Forderungen wiederum werden dann zunächst im Kantonsrat landen. Und dort heisst es dann wohl wieder: Politiker aller gefährdeten Regionen, vereinigt euch. Auf dass einzelne Spitäler geschützt werden - und die kantonale Gesundheitspolitik ein ungelöstes Problem bleibt.
Anton Grüninger, seit der Abwahl wieder als Anwalt tätig, kann dem Treiben entspannt zusehen. Und wird möglicherweise dereinst «rehabilitiert» - als einer, der nur sagte, wie es ist und dafür seinen Job unehrenhaft verlor.
Bei Heidi Hanselmann hingegen ist anzunehmen, dass früher oder später das, was jetzt geschieht, dennoch mit ihrer Person verbunden wird. Was allfällige – immer wieder mal kolportierte – Ambitionen nach einer Fortsetzung der Politkarriere in Bern zumindest erschweren dürfte. Trotz Pufferzone Spitalverbunde.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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