logo

Arbeit bei der NASA und ESA

St.Galler Weltraumforscher sicher: «Wir sind nicht so einzigartig, wie wir glauben»

Er arbeitete fünf Jahre lang bei der NASA in Kalifornien, nun forscht er in der Schweiz nach ausserirdischem Leben: Florian Kehl erklärt im Gespräch, wie er sich das Leben im Universum vorstellt und was Eisbären in der Arktis mit seiner Arbeit zu tun haben.

Manuela Bruhin am 17. Dezember 2023

E.T. möchte nach Hause telefonieren! Oder doch lieber Kirk und Spock? Egal, welche Vorlieben es rund um die Hauptdarsteller gibt: Die grosse Auswahl an Filmen, die über das Leben mit oder von Ausserirdischen erzählen, zeigen auf, wie gross das Interesse an diesem Thema wirklich ist. Auch der St.Galler Florian Kehl wollte von Kindesbeinen an Astronaut werden. Und beinahe hätte es mit diesem Wunsch geklappt. Jahre nach der militärischen Fallschirmausbildung absolvierte er die Privatpilotenlizenz und vor kurzem bewarb er sich, zusammen mit 22'000 anderen Interessierten, als Astronautenkandidat .

Fünf von ihnen wurden genommen, Kehl schaffte es in die engere Auswahl, wurde schliesslich aber nicht genommen. «Auch wenn die Chance gegen Null war, war ich enttäuscht», sagt er im Gespräch. Weshalb es schlussendlich nicht geklappt hat, weiss er nicht. Doch an seiner Leidenschaft für das Leben «da draussen» kann dieser Misserfolg nichts ändern.

Kein Kulturschock

Fast fünf Jahre lang hat der St.Galler die beschauliche Schweiz gegen das sonnige Kalifornien eingetauscht, arbeitete für die NASA – und hätte eigentlich eine unbefristete Anstellung gehabt. Dennoch war es immer sein Plan, irgendwann in die Schweiz zurückzukehren. Heim zur Familie, zu seinen Freunden und Lieblingsmenschen. Vom Kulturschock blieb er verschont, er empfand das Heimkommen als Privileg. «Eigentlich hat sich hier gar nicht so viel verändert, während ich weg war», sagt Kehl.

Florian Kehl

Die Zeit in Kalifornien behält er in sehr guter Erinnerung, auch wenn im «Sunshine State» nicht alles Gold ist, was glänzt. Covid hätte die Lage nicht einfacher gemacht, und auch die politische Situation sei nicht immer angenehm. Nun arbeitet er für die Uni Zürich und Hochschule Luzern im Bereich der Weltraumforschung. Und auch für die NASA ist er für verschiedene Projekte zuständig. «Ich habe quasi den ‘Fünfer und s’Weggli’ erhalten. Ich kann in der Schweiz leben, aber noch immer anspannenden Projekten für die NASA mitarbeiten.»

Die weisse Gefahr

Viele Highlights konnte er während der Zeit in Amerika verbuchen. So arbeitete er mit seinem Team beispielsweise auf verschiedenen Exkursionen mit. In der Arktis wurde ein Prototyp getestet. «Wir fuhren mit dem Schneemobil über das offene Meer, schlugen Löcher ins Eis, während uns Inuit mit Gewehren vor den Eisbären beschützten. Weil wir nur auf die Monitore gestarrt haben, wären uns die Eisbären gar nicht aufgefallen», erzählt Kehl und lacht.

Florian Kehl

Auch die Zeit in der Atacama-Wüste in Chile behält er in lebhafter Erinnerung. Morgens war es eisig kalt, mittags kletterte das Thermometer auf über 45 Grad. «Aber auch die Menschen, die ich kennenlernen durfte, haben mein Leben bereichert. Viele spannende Geschichten habe ich so erlebt.»

Keine Nachteile

Aber was macht ein Weltraumforscher in der beschaulichen Schweiz? Bietet die NASA vor Ort nicht spannendere Projekte mit einem ganz anderen Auftragsvolumen? Die vermeintlichen Nachteile kann Kehl zu seinen Gunsten nutzen. Denn: «In der Schweiz herrschte lange Zeit ein Vakuum, was die Suche nach ausserirdischem Leben mit dem Instrumentenbau betrifft», sagt Kehl.

Der Sektor sei inzwischen stark gewachsen, neue Studiengänge werden aus dem Boden gestampft, das Interesse wächst. «Ich denke, ich bin zu einem sehr guten Zeitpunkt in die Schweiz zurückgekommen.» So könne er den Markt mitgestalten, statt, wie in Amerika, nur ein kleiner Teil davon zu sein. «Ich backe hier vielleicht vermeintlich kleinere Brötchen, aber es sind immerhin meine eigenen», sagt Kehl.

Florian Kehl

Spuren suchen

Wobei «klein» inzwischen kaum mehr zutrifft. Denn nun sind weitere Projekte nicht nur mit der NASA, sondern auch der ESA dazugekommen. Zusammen mit der ETH, der Uni Bern und Basel wird zudem ein vierbeiniger Roboter eingesetzt, der mit verschiedenen Instrumenten nach Ressourcen auf dem Mond sucht, Wasser oder Sauerstoff aus Steinen gewinnt – um so gegebenenfalls Baumaterialien, Trinkwasser, Treibstoff oder Luft zum Atmen für Astronaut:innen auf einer Mondstation zu finden.

Wie stellt er sich als Fachmann denn ausserirdisches Leben vor? Gibt es das überhaupt? «Das ist eine sehr gute Frage», sagt Kehl. «Und wohl nicht einfach und abschliessend zu erklären.» Er ist überzeugt davon, dass wir wohl nicht so einzigartig seien, wie wir denken und glauben würden. Die Arbeit Kehls besteht darin, mit verschiedenen Instrumenten vor Ort Messungen zu machen, Proben zu entnehmen und diese anschliessend zu analysieren. Die heutige Technologie würde es erlauben, die Nachbarschaft innerhalb des Sonnensystems zu erkunden und erforschen. «Wenn wir hier Leben finden würden, wären das höchstens bakterienähnliche Geschichten.

Ein viel komplexeres Leben wäre wohl nicht möglich.» In den anderen Galaxien könnte er sich jedoch gut vorstellen, dass es weiteres, komplexeres Leben gibt. So wie die Geologie bei gleichen Bedingungen universell sei, verhalte es sich seiner Meinung nach auch mit der Biologie.

Internationale Zusammenarbeit

So suspekt sich das Thema in manchen Bereichen anhören mag – auch die hiesige Wirtschaft kann davon profitieren. «Viele Technologien sind durch die Weltraumforschung entstanden, wie beispielsweise die Satellitenkommunikation, das Infrarotthermometer oder Digitalkameras», sagt Kehl. Die Wirtschaft könne einiges von der Weltraumforschung lernen: das Risikomanagement unter anderem, oder die Null-Fehler-Toleranz. «In der Weltraumforschung fliesst extrem viel Geld, und wenn etwas nicht klappt, kann das katastrophal enden.»

Es gäbe grosse internationale Kooperationen, längerfristige Investitionen und Visionen. Häufig, so Kehl, vergehen mehrere Dekaden, bis eine Idee vom Papier ins Universum aufsteigen kann. «Dafür ist ein gut funktionierendes Projektmanagement wichtig, das über Jahrzehnte hinweg am gleichen Strick zieht.»

Technologie: eine halbe Million

Seine eigenen Projekte werden ihn ebenfalls die nächsten Jahre auslasten. Nebst verschiedenen Vorlesungen ist Kehl weiterhin im Bereich der Weltraumforschung tätig. Ein Erfolg konnte gerade kürzlich verbucht werden. Die europäische Weltraumbehörde veranstaltete einen Wettbewerb, bei welchem verschiedene internationale Teams gegeneinander antraten, um auf dem Mond mit Hilfe von Robotern nach Ressourcen zu suchen. Das Team von Kehl hat gewonnen, und erhält nun eine halbe Million Franken, um die eingesetzte Technologie weiterzuentwickeln. In fünf bis zehn Jahren soll sie auf dem Mond zum Einsatz kommen.

Zudem waltet Kehl als Schweizer Projektleiter für ein neues Weltraumteleskop für die ESA. «Das Ziel ist, im Jahr 2030 ins All fliegen zu können», sagt Kehl. Mit der NASA steht er in Kontakt, um die Mission zum Saturn weiterzuentwickeln – um dort nach Spuren von Leben zu suchen – wie immer es auch aussehen mag.

Florian Kehl

(Bilder: pd)

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.