Er arbeitete fünf Jahre lang bei der NASA in Kalifornien, nun forscht er in der Schweiz nach ausserirdischem Leben: Florian Kehl erklärt im Gespräch, wie er sich das Leben im Universum vorstellt und was Eisbären in der Arktis mit seiner Arbeit zu tun haben.
E.T. möchte nach Hause telefonieren! Oder doch lieber Kirk und Spock? Egal, welche Vorlieben es rund um die Hauptdarsteller gibt: Die grosse Auswahl an Filmen, die über das Leben mit oder von Ausserirdischen erzählen, zeigen auf, wie gross das Interesse an diesem Thema wirklich ist. Auch der St.Galler Florian Kehl wollte von Kindesbeinen an Astronaut werden. Und beinahe hätte es mit diesem Wunsch geklappt. Jahre nach der militärischen Fallschirmausbildung absolvierte er die Privatpilotenlizenz und vor kurzem bewarb er sich, zusammen mit 22'000 anderen Interessierten, als Astronautenkandidat .
Fünf von ihnen wurden genommen, Kehl schaffte es in die engere Auswahl, wurde schliesslich aber nicht genommen. «Auch wenn die Chance gegen Null war, war ich enttäuscht», sagt er im Gespräch. Weshalb es schlussendlich nicht geklappt hat, weiss er nicht. Doch an seiner Leidenschaft für das Leben «da draussen» kann dieser Misserfolg nichts ändern.
Kein Kulturschock
Fast fünf Jahre lang hat der St.Galler die beschauliche Schweiz gegen das sonnige Kalifornien eingetauscht, arbeitete für die NASA – und hätte eigentlich eine unbefristete Anstellung gehabt. Dennoch war es immer sein Plan, irgendwann in die Schweiz zurückzukehren. Heim zur Familie, zu seinen Freunden und Lieblingsmenschen. Vom Kulturschock blieb er verschont, er empfand das Heimkommen als Privileg. «Eigentlich hat sich hier gar nicht so viel verändert, während ich weg war», sagt Kehl.
Die Zeit in Kalifornien behält er in sehr guter Erinnerung, auch wenn im «Sunshine State» nicht alles Gold ist, was glänzt. Covid hätte die Lage nicht einfacher gemacht, und auch die politische Situation sei nicht immer angenehm. Nun arbeitet er für die Uni Zürich und Hochschule Luzern im Bereich der Weltraumforschung. Und auch für die NASA ist er für verschiedene Projekte zuständig. «Ich habe quasi den ‘Fünfer und s’Weggli’ erhalten. Ich kann in der Schweiz leben, aber noch immer anspannenden Projekten für die NASA mitarbeiten.»
Die weisse Gefahr
Viele Highlights konnte er während der Zeit in Amerika verbuchen. So arbeitete er mit seinem Team beispielsweise auf verschiedenen Exkursionen mit. In der Arktis wurde ein Prototyp getestet. «Wir fuhren mit dem Schneemobil über das offene Meer, schlugen Löcher ins Eis, während uns Inuit mit Gewehren vor den Eisbären beschützten. Weil wir nur auf die Monitore gestarrt haben, wären uns die Eisbären gar nicht aufgefallen», erzählt Kehl und lacht.
Auch die Zeit in der Atacama-Wüste in Chile behält er in lebhafter Erinnerung. Morgens war es eisig kalt, mittags kletterte das Thermometer auf über 45 Grad. «Aber auch die Menschen, die ich kennenlernen durfte, haben mein Leben bereichert. Viele spannende Geschichten habe ich so erlebt.»
Keine Nachteile
Aber was macht ein Weltraumforscher in der beschaulichen Schweiz? Bietet die NASA vor Ort nicht spannendere Projekte mit einem ganz anderen Auftragsvolumen? Die vermeintlichen Nachteile kann Kehl zu seinen Gunsten nutzen. Denn: «In der Schweiz herrschte lange Zeit ein Vakuum, was die Suche nach ausserirdischem Leben mit dem Instrumentenbau betrifft», sagt Kehl.
Der Sektor sei inzwischen stark gewachsen, neue Studiengänge werden aus dem Boden gestampft, das Interesse wächst. «Ich denke, ich bin zu einem sehr guten Zeitpunkt in die Schweiz zurückgekommen.» So könne er den Markt mitgestalten, statt, wie in Amerika, nur ein kleiner Teil davon zu sein. «Ich backe hier vielleicht vermeintlich kleinere Brötchen, aber es sind immerhin meine eigenen», sagt Kehl.
Spuren suchen
Wobei «klein» inzwischen kaum mehr zutrifft. Denn nun sind weitere Projekte nicht nur mit der NASA, sondern auch der ESA dazugekommen. Zusammen mit der ETH, der Uni Bern und Basel wird zudem ein vierbeiniger Roboter eingesetzt, der mit verschiedenen Instrumenten nach Ressourcen auf dem Mond sucht, Wasser oder Sauerstoff aus Steinen gewinnt – um so gegebenenfalls Baumaterialien, Trinkwasser, Treibstoff oder Luft zum Atmen für Astronaut:innen auf einer Mondstation zu finden.
Wie stellt er sich als Fachmann denn ausserirdisches Leben vor? Gibt es das überhaupt? «Das ist eine sehr gute Frage», sagt Kehl. «Und wohl nicht einfach und abschliessend zu erklären.» Er ist überzeugt davon, dass wir wohl nicht so einzigartig seien, wie wir denken und glauben würden. Die Arbeit Kehls besteht darin, mit verschiedenen Instrumenten vor Ort Messungen zu machen, Proben zu entnehmen und diese anschliessend zu analysieren. Die heutige Technologie würde es erlauben, die Nachbarschaft innerhalb des Sonnensystems zu erkunden und erforschen. «Wenn wir hier Leben finden würden, wären das höchstens bakterienähnliche Geschichten.
Ein viel komplexeres Leben wäre wohl nicht möglich.» In den anderen Galaxien könnte er sich jedoch gut vorstellen, dass es weiteres, komplexeres Leben gibt. So wie die Geologie bei gleichen Bedingungen universell sei, verhalte es sich seiner Meinung nach auch mit der Biologie.
Internationale Zusammenarbeit
So suspekt sich das Thema in manchen Bereichen anhören mag – auch die hiesige Wirtschaft kann davon profitieren. «Viele Technologien sind durch die Weltraumforschung entstanden, wie beispielsweise die Satellitenkommunikation, das Infrarotthermometer oder Digitalkameras», sagt Kehl. Die Wirtschaft könne einiges von der Weltraumforschung lernen: das Risikomanagement unter anderem, oder die Null-Fehler-Toleranz. «In der Weltraumforschung fliesst extrem viel Geld, und wenn etwas nicht klappt, kann das katastrophal enden.»
Es gäbe grosse internationale Kooperationen, längerfristige Investitionen und Visionen. Häufig, so Kehl, vergehen mehrere Dekaden, bis eine Idee vom Papier ins Universum aufsteigen kann. «Dafür ist ein gut funktionierendes Projektmanagement wichtig, das über Jahrzehnte hinweg am gleichen Strick zieht.»
Technologie: eine halbe Million
Seine eigenen Projekte werden ihn ebenfalls die nächsten Jahre auslasten. Nebst verschiedenen Vorlesungen ist Kehl weiterhin im Bereich der Weltraumforschung tätig. Ein Erfolg konnte gerade kürzlich verbucht werden. Die europäische Weltraumbehörde veranstaltete einen Wettbewerb, bei welchem verschiedene internationale Teams gegeneinander antraten, um auf dem Mond mit Hilfe von Robotern nach Ressourcen zu suchen. Das Team von Kehl hat gewonnen, und erhält nun eine halbe Million Franken, um die eingesetzte Technologie weiterzuentwickeln. In fünf bis zehn Jahren soll sie auf dem Mond zum Einsatz kommen.
Zudem waltet Kehl als Schweizer Projektleiter für ein neues Weltraumteleskop für die ESA. «Das Ziel ist, im Jahr 2030 ins All fliegen zu können», sagt Kehl. Mit der NASA steht er in Kontakt, um die Mission zum Saturn weiterzuentwickeln – um dort nach Spuren von Leben zu suchen – wie immer es auch aussehen mag.
(Bilder: pd)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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