Im Kanton Thurgau wurden bei mehreren Fahrzeugen die Scheiben eingeschlagen – der Wiederholungstäter sei bekannt, heisst es in verschiedenen Medien. Weshalb sich der Fall in die Länge zieht, erklärt HSG-Strafrechtsprofessorin Monika Simmler.
Monika Simmler, der Fall aus dem Kanton Thurgau ist sehr kurios. Es werden Sachbeschädigungen begangen, der Täter ist sogar bekannt – aber es passiert ihm (noch) nichts. Bei vielen wirft das Fragen auf. Wie sieht die Rechtslage aus?
Besteht ein Verdacht, es sei eine Straftat verübt worden, eröffnen die Behörden ein Strafverfahren. Bei einer Sachbeschädigung (Art. 144 des Strafgesetzbuches) erfolgt dies auf Antrag der geschädigten Person, hier also der Autobesitzerinnen und -besitzer. In der Folge hat die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt abzuklären und – sofern sich der Verdacht erhärtet – entweder einen Strafbefehl zu erlassen oder Anklage bei Gericht zu erheben. Es gibt grosse Unterschiede, wie lange das dauert.
Wovon hängt es ab?
Sicherlich von der Komplexität des Falls – die scheint hier nicht sehr hoch. Aber ebenso natürlich von der Arbeitsbelastung der Behörden. In der Schweiz werden pro Jahr fast eine halbe Million Straftaten angezeigt wegen Verstössen gegen das Strafgesetzbuch. Darin enthalten sind noch keine Delikte gegen das Strassenverkehrsgesetz, Betäubungsmittelgesetz und weitere Nebengesetze. Es ist richtig, dass die Strafverfolgungsbehörden dabei auch Prioritäten setzen. Bei schweren Delikten gegen Leib und Leben, wie schwere Körperverletzungen oder auch bei Sexualdelikten, verträgt es ein Aufschieben weniger.
Eingeschlagene Scheiben gehören wohl zu den weniger dringlichen Fällen.
Ich weiss, dass Sachbeschädigungen für die Betroffenen sehr ärgerlich und auch beängstigend sein können. Aus strafrechtlicher Sicht muss man aber auch etwas relativieren. Es ist ein vergleichsweise wenig schwerwiegendes Delikt. Es geht zudem um einen geringen Sachschaden. Wir haben es nicht mit einer Gefährdung von Personen zu tun. Da kann ein Verfahren schon eine Weile dauern. Das ist nicht unüblich. Die Verfahrensdauer und das Vorgehen der Behörden scheinen deshalb im vorliegenden Fall nicht aussergewöhnlich.
Was passiert unterdessen?
Irgendwann wird das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen sein. Bis dahin ist nicht abschliessend geklärt, wer der Täter ist. Es gibt offenbar einen dringenden Tatverdacht gegen einen Beschuldigten. Bis zu einem Urteil ist er der Straftat nur beschuldigt, nicht aber verurteilt. Entsprechend gibt es klare Grenzen, was die Behörden alles unternehmen können. Stellen Sie sich vor, ein Tatverdacht allein würde schon für alle möglichen Massnahmen ausreichen. Das geht rechtstaatlich nicht. Bis zum Urteil gilt die Unschuldsvermutung.
Wie wäre die Situation bei einer schweren Straftat?
Dann könnte die Staatsanwaltschaft entweder Untersuchungshaft oder sogenannte Ersatzmassnahmen anordnen. So kann man beispielsweise dem Risiko von Wiederholungstaten begegnen. Ein Freiheitsentzug ist aber nur möglich, wenn eine erhebliche Gefahr für andere Personen besteht. Die Gefahr einer weiteren Sachbeschädigung, das heisst eines Vergehens, reicht dafür nicht aus. Das wäre unverhältnismässig. Bei Gefahren gegen Leib und Leben oder die sexuelle Integrität wären allenfalls auch Massnahmen des kantonalen Bedrohungsmanagements möglich. Die Polizei könnte auf die Person präventiv zugehen. Das ist aber in der Regel für leichte Delikte gegen Sachen auch nicht vorgesehen.
Die strafrechtlichen Möglichkeiten sind also sehr beschränkt.
Natürlich kann die Polizei insofern präventiv tätig sein, als dass sie die Frequenz der Patrouillen erhöht oder versucht, Wiederholungen zu verhindern. Solange kein Urteil erfolgt, ist aber eine Bestrafung des Beschuldigten nicht möglich. Zivilrechtliche Möglichkeiten gäbe es auch nur beschränkt. Bei einer Eigen- oder Fremdgefährdung wären Erwachsenenschutzmassnahmen wie eine fürsorgerische Unterbringung denkbar. Aber dafür liegen hier keine Anzeichen vor. Und natürlich können die Betroffenen Schadenersatz verlangen.
Eine Busse könnte der Beschuldigte kaum bezahlen, heisst es, weshalb er eine Strafe wohl im Gefängnis absitzen müsste. Wie hoch würde die Strafe in etwa ausfallen?
Die Maximalstrafe bei Sachbeschädigung ist Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren (Art. 144 Abs. 1 StGB). Bei mehrfacher Begehung kann die Strafe zudem theoretisch bis auf viereinhalb Jahre erhöht werden. Eine Busse käme nur bei Bagatellen infrage, bei einer eingeschlagenen Autoscheibe aber nicht. Es gibt also sicher mehr als eine Busse. Wenn er die Geldstrafe nicht bezahlt, droht eine Ersatzfreiheitsstrafe. Der Täter wäre zudem anschliessend vorbestraft. Ihm droht durchaus eine potenziell harte Strafe.
Was heisst das?
Wie die konkrete Strafe ausfällt, kann ich nicht beurteilen, ohne den Fall und den Täter zu kennen. Hier ist die Bandbreite sehr gross. Ein Ersttäter, der sich sonst nie was zu Schulden hat kommen lassen, wird beim ersten Mal mit einer bedingten Geldstrafe davonkommen. Häufen sich aber die Straffälle, kann es selbstverständlich mehr geben.
Der Fall ist seit einigen Monaten öffentlich. Passieren solche Fälle häufig?
In der Schweiz wurden 2022 gemäss Polizeilicher Kriminalstatistik etwa 40'000 Sachbeschädigungen angezeigt, rund 10'000 Diebstähle aus Fahrzeugen. Es ist also absolut keine Seltenheit – leider. Selten ist hingegen, dass unklar ist, was genau die Motivlage des Täters ist. Hier müssen wir uns aber als Gesellschaft bewusst werden, dass das Strafrecht nicht jedes unserer Probleme lösen kann. Es gibt Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen oder auch Menschen, die sich sonst am Rande der Gesellschaft befinden und durch alle Maschen fallen. Ich weiss nicht, ob das hier der Fall ist. Aber manchmal kann das Strafrecht in diesen Fällen nicht viel ausrichten und ist auch nicht unbedingt die beste Antwort auf das Problem.
Statt einer Busse könnte auch eine Therapie angeordnet werden. Wie könnte die aussehen? Und wie realistisch wäre eine Umsetzung?
Zusätzlich zur oder als Ersatz der Strafe – also der in diesem Fall drohenden Geldstrafe oder Freiheitsstrafe – kann auch eine Massnahme angeordnet werden, wie eine Therapie. Diese wird genau wie die Strafe vollzogen, ist also nicht freiwillig. Natürlich ist es aber schwierig, eine Therapie gegen den Willen des Betroffenen durchzuführen.
Was denken Sie, wie sich der Fall weiterentwickelt?
Ich gehe davon aus, dass bald ein Strafbefehl erfolgt, sollte der Täter tatsächlich bekannt sein. Wie der Strafbefehl genau aussieht, kann ich unmöglich beantworten, ohne die Akten zu kennen.
Das sagt die Kantonspolizei Thurgau zu den Fällen:
Seit dem 1. Januar 2024 sind in Arbon drei gleichgelagerte Fälle angezeigt worden. Da es sich um Antragsdelikte handelt, sind der Kantonspolizei Thurgau nur die Sachbeschädigungen bekannt, die angezeigt werden. Ob die gleiche Täterschaft verantwortlich gemacht werden kann, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen. Damit die Polizei eine tatverdächtige Person vorläufig festnehmen kann, braucht es konkrete Verdachtsmomente, Hinweise zur Täterschaft oder Spuren müssen vorhanden sein, um die Person identifizieren zu können. Die Festlegung des Strafmasses obliegt der Staatsanwaltschaft.
Ein Fall im Kanton St.Gallen
In der Region Steinach - eine Nachbargemeinde von Arbon - gab es in der Vergangenheit einen ähnlichen Fall, bei dem eine Person diverse Heckscheiben mit Steinen eingeschlagen hat. Diesen Fall hat die Staatsanwaltschaft St.Gallen mittlerweile mit Anklage ans Kreisgericht Rorschach abgeschlossen, wie es auf Anfrage von «Die Ostschweiz» heisst.
(Bildcollage: PD, Depositphotos.com)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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