Alles deutet darauf hin, dass es im nächsten Herbst in der Politischen Gemeinde Au zu einer Kampfwahl ums Gemeindepräsidium kommen wird. Die Suche nach einem Herausforderer für den Amtsinhaber könnte bald anlaufen . Doch wer ist der Mann, der dem Bisherigen den Kampf angesagt hat?
Die Reaktion des Auer Gemeindepräsidenten Christian Sepin auf die Kampagne gegen ihn finden Sie hier. Zur Vorgeschichte geht es hier.
Die Räume der Rheintal Haus GmbH befinden sich in einem Industriekomplex in Widnau. Tür an Tür reihen sich verschiedene kleine und mittlere Unternehmen. Es ist eine Art KMU-Mikrokosmos. Daniel Schilling sitzt in seinem Büro, flankiert von zwei alten Motorrädern. Widnau ist nur seine Arbeitsstätte, er hat den grössten Teil seines Lebens in Au verbracht. Das ist vielleicht der erste Ansatz einer Erklärung auf die Frage, warum sich der Immobilienunternehmer so ins Zeug legt für die politische Gestaltung der Gemeinde.
Schilling war es, der 2014 den heute amtierenden Gemeindepräsidenten Christian Sepin von einer Kandidatur überzeugte und ihn dabei unterstützte. Und Schilling ist es nun, der denselben Sepin weg haben will. Mit einer durchaus aufwändigen Kampagne einer «IG Au-Heerbrugg», lanciert mit einer Wurfsendung in die Haushalte.
Was ist 2014 eigentlich geschehen? Warum entschied sich Schilling damals, politisch aktiv zu werden? Kurz zuvor war der Gemeindepräsident Stefan Suter nach sehr kurzer Amtszeit zurückgetreten, es brauchte eine Ersatzwahl. Eine Findungskommission präsentierte damals zwei Anwärter. Schilling aber war mit keinem von beiden zufrieden, wie er sich erinnert:
«Die beiden Kandidaten habe sich an einem Anlass vorgestellt und Dinge geredet, die nichts mit Führung zu tun haben. Mir war sofort klar, dass beide nicht gut gewesen wären für unsere Gemeinde. Deshalb habe ich mich mit drei weiteren Leuten zusammengetan und nach einer Alternative gesucht. Dabei sind wir auf Christian Sepin gestossen. Wir hatten für das Ganze nur wenige Wochen Zeit, es war anspruchsvoll.»
Das aufmüpfige Quartett gestaltete die Suche nach einem neuen Gemeindepräsidenten ziemlich strukturiert. Es gab einen Kriterienkatalog und ein Beurteilungssystem. Mit dem Resultat, so Schilling, dass Sepin seinerzeit auf der internen Skala die Note 4,5 erhielt - «mit Steigerungspotenzial». Es sei also nicht die perfekte Kandidatur gewesen, aber man sah die Chance, dass daraus mehr werden könnte.
Sepin, damals Gemeinderat und Schulratspräsident in Diepoldsau, sagte zu, die Kandidatur wurde lanciert. Die drei Kandidaten trafen noch einmal an einer Veranstaltung aufeinander, und eine Mehrheit der Auer sah es offenbar gleich wie die Gruppe um Schilling: Sie erteilte den Kandidaten der Findungskommission an der Urne eine klare Absage und wählte Sepin überdeutlich. Es war eine Ersatzwahl 2014, nur ein Jahr später musste der Gemeindepräsident wiedergewählt werden – und Sepin gelang sogar ein noch besseres Resultat.
Soweit zur Chronologie. Sie ist bekannt. Doch gibt es Dinge, welche die Öffentlichkeit nicht weiss? Daniel Schilling ist Unternehmer. Er plant und baut Immobilien. Wie die Behörden zusammengesetzt sind, kann ihm daher nicht egal sein, beispielsweise, wenn es um Bewilligungsverfahren, Einsprachen, Rekurse geht. Die Frage liegt nahe: Hat er damals Sepin ins Amt gehievt, um später Vorteile zu haben? Gab es gegenseitige Versprechungen hinter den Kulissen? Schilling zögert nicht mit der Antwort:
«Nein. Ich wollte nichts von ihm. Absolut nichts. Ich habe ihm im Gegenteil klar gesagt, dass ich im Fall seiner Wahl behandelt werden will wie jeder andere Bürger. Wir hatten nach seiner Wahl auch nie vertieft Kontakt. Ich wollte einfach einen guten Gemeindepräsidenten für Au, einen mit Erfahrung. Das ist alles.»
Dann aber, sagt Schilling, habe er irgendwann gemerkt, dass das, was er bekommen hatte, nicht das war, was er sich erhofft hatte. Erste Zweifel seien ihm bei der ersten Bürgerversammlung unter Sepin gekommen. Ab 2016 hätten sich die Fälle gemehrt, in denen ihm und anderen aufgefallen sei, dass aus dem Gemeindepräsidium vieles so gesagt und dann anders gemacht wurde. Diverses laufe nicht korrekt. Beispiele dafür hat Schilling zusammen mit anderen in der erwähnten Broschüre zusammengetragen. Es geht um Projekte wie die Dorfplatzgestaltung oder einen neuen Fussballplatz. Es geht um die Frage, was versprochen und was gehalten wurde. Wo offen kommuniziert wurde und wo nicht. Wo das Volk wusste, was es bekommt und wo nicht.
Für Ortsfremde ist der Wahrheitsgehalt dieser Beispiele schwierig zu beurteilen. Schilling aber steht hinter jedem Wort:
«Wenn jemand behauptet, dass die Aussagen in unserem Aussand nicht stimmen: Ich kann jede Zahl, jedes Datum belegen, ich habe alle Fakten griffbereit. Sehen Sie, ich habe immer gesagt: Christian Sepin ist ein netter Mensch. Es geht hier nicht um persönliche Dinge. Aber eben, wir haben ihm damals schon eine eher durchschnittliche Note gegeben, und nun ist für mich klar: Er ist diesem Amt nicht gewachsen. Ich habe mich getäuscht, das sehe ich heute klar. Und vergessen Sie nicht: Er arbeitet dabei mit fremdem Geld, mit Steuergeld.»
Schilling wird nie laut, wenn er ausführt, er redet sich nicht in Rage, er gestikuliert nicht wild, er legt alles sachlich dar. Vielleicht wirkt es gerade deshalb umso härter, wenn er wie beiläufig seine nächsten Schritte schildert. Die zwölfseitige Broschüre, in der an der Seite von Schilling mehrere Leute dem Gemeindepräsidenten ein schlechtes Zeugnis ausstellen, sei nur der Anfang gewesen, es werde weitere Ausgaben geben. Mit einem klaren Ziel:
«Wir sind eine Kerngruppe von zwölf Leuten, das bin ich nicht alleine, es braucht einen Mehrheitsbeschluss, daher kann ich selbst keine abschliessende Aussage machen. Aber wenn es nach mir geht, müssen wir Christian Sepin bei den Wahlen 2020 eine Gegenkandidatur entgegenstellen. Ausser natürlich, wenn er schon vorher von selbst abtritt.»
In aller Ruhe formuliert Schilling diese Kampfansage. Das heisst: Nach 2014 sucht er nun wieder einen Anwärter fürs Gemeindepräsidium. Oder, das wäre ihm noch lieber, eine Anwärterin. Und zwar, um den Mann loszuwerden, den er einst selbst gesucht und gefunden hatte. Nach einem Herausforderer suchen werde man über das eigene Beziehungsnetz. Ein amtierender Präsident einer anderer Gemeinde sei eine Option, sagt Schilling – wenn dieser bereit wäre, gegen einen Bisherigen zu kandidieren. Oder auch eine ganz andere Lösung, es müsse einfach eine fähige und erfahrene Person sein.
2014 war Schilling als Drahtzieher einer Kandidatur erfolgreich. Aber da ging es auch um einen vakanten Sitz, nun geht es gegen einen Amtierenden. Die Frage ist also, ob die breite Bevölkerung die Kritik der IG Au-Heerbrugg teilt – oder ob es eine Aktion Einzelner ist. Wie getragen fühlt sich Daniel Schilling mit seiner Kritik?
«Ich erhalte viele Reaktionen, vor allem aus Gewerbekreisen. Da heisst es dann oft: ‚Es ist gut, dass du das machst, ich selbst darf leider öffentlich nichts sagen.‘ Die Unzufriedenheit steigt. Es gibt einen weitverbreiteten Eindruck, dass der Gemeindepräsident untätig ist, mit Ausnahme von öffentlichen Anlässen, bei denen man sich zuprostet. Er kam ins Amt und hatte sofort den Wunsch nach einem repräsentableren Gemeindehaus, inzwischen geht es um ein Verwaltungsgebäude, über dessen Kosten wir einfach im Unklaren gelassen werden. So geht es bei vielen Projekten. Es wird etwas angekündigt, dann hört man einfach nichts, irgendwann wird einem etwas präsentiert, das völlig anders aussieht.»
Im Gespräch reiht Daniel Schilling ein Beispiel ans andere. Einige davon hat die IG in ihrer Sendung in die Haushalte vorgestellt, andere betreffen laufende Verfahren. Ja, im einen oder anderen Fall sei er direkt betroffen, aber darum gehe es ihm nicht. Sondern um die Projekte, welche die Gemeinde als Ganzes angehen. Und wieder hat er dazu einige Anekdoten. Angst, mit seiner Offensive anzuecken, hat Schilling ganz offensichtlich keine, wie er selbst sagt:
«Ich bin ganz ehrlich: Die Arbeit an unserer Informationsschrift hat mir auch Spass gemacht. Ich durchleuchte gerne Dinge und trage Fakten zusammen. Manch einer fragt mich, wieso ich mir das mit bald 60 Jahren noch antue. Aber ich sehe das als meine Pflicht, es geht um unsere Gemeinde. Nach den Wahlen 2020 ist aber Schluss, das ist die letzte Wahl, in die ich mich aktiv einmische.»
Gemacht, das kann man als neutraler Beobachter und unabhängig von der Zielsetzung feststellen, ist die Kampagne der IG Au-Heerbrugg sehr gut. So mancher Kritiker eines Gemeindepräsidenten andernorts beschränkt sich darauf, kurz vor der Wahl ein Flugblatt mit Vorwürfen zu streuen. Die Wirkung bleibt meist aus. Hier ist das Vorgehen viel langfristiger angelegt. Fast ein Jahr vor der Erneuerungswahl werden mit einer ersten Publikation Zweifel gestreut, Fragen in den Raum gestellt. Im ersten Quartal 2020 soll die Fortsetzung erfolgen.
Damit ist dafür gesorgt, dass die Stammtische Diskussionsstoff haben. Das Unwohlsein kann gären. Und darum geht es den Gegnern des Gemeindepräsidenten wohl auch. Es wird ein ungemütliches Jahr in der Politischen Gemeinde Au.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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