Der Kanton St.Gallen will der Walensee-Bühne das Geld aus dem Lotteriefonds streichen. Der Grund: Die Musicalbühne zeigt Produktionen, die gut ankommen. Wir zeigen, wer stattdessen Geld erhalten soll.
Wer hat, dem wird gegeben: Das stimmt nicht immer. Ausgerechnet einer der wichtigsten Werbeträger der Ostschweizer Kultur soll dieses Mal leer ausgehen, wenn es um die Ausschüttung der Lotteriefondsgelder des Kantons St.Gallen geht. Im Juni behandelt der Kantonsrat die Projektgesuche. 2017 hatte die Walensee-Bühne für ihre Produktion noch 120‘000 Franken erhalten, dieses Mal figuriert sie nicht auf der Liste. Das heisst: Ihr Gesuch wurde beim Amt für Kultur nicht berücksichtigt. Im «Tagblatt» wird das damit begründet, die Walensee-Bühne habe eine Grösse erreicht, in der sie mit den eigenen Einnahmen aus Ticketverkauf und Gastronomie bestehen könne. Die Chancen, dass die Musical-Veranstalter leer ausgehen, sind gross, denn oft wird die Lotteriefonds-Gesuchsliste im Kantonsrat ohne Debatte durchgewunken.
Doch nicht nur der Erfolg steht der Walensee-Bühne im Weg. Beim Amt für Kultur kritisiert man auch, dass die Musicals dort «an Innovationskraft» verloren hätten. Man zeige vermehrt etablierte Werke statt regionale Eigenproduktionen. Übersetzt: Die Musicals ziehen eine breite Masse an, gefallen vielen Leuten – und fallen damit aus dem Raster des Lotteriefonds. Im Kriterienkatalog für Gesuche steht allerdings nichts davon, dass man nicht auf populären Stoff setzen darf. Entscheidend ist ein «Bezug zum Kanton St.Gallen», «regionale oder kantonale Bedeutung» sowie «Qualität». Die ersten zwei Punkte sind gegeben, der dritte rein subjektiv.
Mit anderen Worten: Hätte die Walensee-Bühne auf regionale Geschichten gesetzt, geschrieben von unbekannten Autoren und präsentiert von unbekannten Darstellern, dann wären die Chancen auf Unterstützung grösser gewesen. Diese hätte es dann auch gebraucht, denn ein solches Musical hat naturgemäss weniger Besucher und Vorstellungen sowie Zusatzeinnahmen. Erschwerend kam vermutlich dazu, dass die Veranstalter am Walensee mit der Migros einen grossen Partner gefunden haben und das Ganze so einen noch kommerzielleren Anstrich erhalten hat. Allerdings kommen auch andere, vom Lotteriefonds berücksichtigte Veranstalter selten ganz ohne Firmenpartnerschaften aus.
Zu gross, zu erfolgreich, zu populär: Das wird der Walensee-Bühne nun zum Verhängnis. Aber wer soll stattdessen Geld erhalten? Eine kleine Auswahl der Lotteriefondsgesuche, die vom Amt für Kultur zur Unterstützung empfohlen werden, zeigt: Es geht in der Tat selten darum, die Strahlkraft des Kantons gegen aussen zu verstärken. Während die Walensee-Bühne seit Jahren ein hervorragender Botschafter und damit Werbeträger für die Region ist, sind einige der berücksichtigten Gesuche bestens dazu angetan, schnell wieder vergessen zu gehen – oder gar nicht erst berücksichtigt zu werden.
Die gesamte Liste findet sich hier.
Zum Beispiel: Schweizer Bankkultur
10‘000 Franken fliessen an den «Verein zur Förderung der Schweizer Bankkultur». Damit sind nicht Finanzhäuser gemeint, sondern Sitzbänke, also «Bänkli» Die «Bänkli-Kultur» im St.Gallen soll «dokumentiert werden». Im Rahmen dieses Projekts wird man auf einer interaktiven Landkarte Bänkli lokalisieren können. Fotos, Kommentare und individuelle Geschichten sind zu jeder Sitzbank zu finden. Falls Sie also ihren ersten Kuss auf einem Bänkli ausgetauscht haben, dürfen Sie das der Welt bald mitteilen.
Zum Beispiel: Freilichtbühne Rüthi
Die Freilichtbühne Rüthi ist durchaus ein gutes Beispiel dafür, dass regionale Geschichten – wie vom Amt für Kultur angeregt – erfolgreich sein können. Alle drei Jahre wird unter viel Beachtung und grossem Publikumsstrom eine Produktion aufgeführt. Der Kanton unterstützt diese regelmässig, und dieses Mal sollen 110‘000 Franken fliessen, weil neben der Produktion auch einmalige Infrastrukturkosten anfallen. Eine Unterstützung, die gerechtfertigt scheint. Die Frage ist nur, ob der regionale Ansatz gegen die Populärkultur ausgespielt werden muss. Darf es nur das eine oder das andere sein?
Zum Beispiel: Musical Productions Werdenberg
Auch die Produktionen in der Buchser Lokremise – 2018 wird die zehnte aufgeführt – erfreuen sich grosser Beliebtheit. Hier sollen 90‘000 Franken ausgeschüttet werden. Was sich hier aber zeigt: Unterstützt wird besonders dann gerne, wenn ein Projekt möglichst weit weg davon ist, selbsttragend zu sein. Bei der Produktion «Orient Experess» rechnen die Macher mit Gesamtkosten von 940‘000 Franken. Gerade mal 230‘000 Franken davon sollen mit Tickets und Gastronomie wieder eingespielt werden. Für den Hauptteil sollen Kanton, Region, Gemeinden und private Kulturförderer aufkommen. Die Frage ist natürlich, ob ein Projekt nicht von Anfang an weniger gross aufgezogen werden sollte, damit nicht drei Viertel der Ausgaben durch Staat und Gönner getragen werden müssen.
Zum Beispiel: Theater R.A.B., Freiburg im Breisgau
Auch im Ausland ansässige Ensemble werden berücksichtigt, wenn ein St.Galler Bezug gegeben ist. In diesem Fall stammt eine Mitbegründerin der Theatergruppe aus St.Gallen, ist heute aber «international unterwegs», wie es in der Gesuchsbegründung heisst. Die Produktion «Café Jenseits» ist vor allem im deutschsprachigen Ausland unterwegs, macht aber Halt in St.Gallen für einige Gastspiele. Hier sollen 13‘000 Franken fliessen. Immer wieder finden sich in der Lotteriefondsliste Projekte, bei denen der Zusammenhang mit dem Kanton vor allem in einem Abstecher nach St.Gallen für die eine oder andere Aufführung in einem umfangreichen Tourplan besteht.
Zum Beispiel: SLAM 2018 in Zürich
Die 22. deutschsprachige Poetry-Slam-Meisterschaft findet dieses Jahr in Zürich statt. Im Rahmen einer Art Vorveranstaltung wird auch in St.Gallen im Rahmen des Openair St.Gallen davon etwas zu sehen sein. Der Anlass an sich wird allerdings in der Limmatstadt durchgeführt. Von den 800‘000 Franken Gesamtkosten will das Amt für Kultur eine Unterstützung von 40‘000 Franken sprechen. Das ist ein Drittel des Geldes, das man an der Walensee-Bühne einspart. Der Effekt in Form einer Aussenwirkung dürfte allerdings einen Bruchteil betragen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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