Die Viehschau-Saison geht los. Urs Leisi ist Tierarzt mit langjähriger Erfahrung und Präsident der Tierärztegesellschaft der Kantone SG/AI/AR. Er rät den Bauern, es mit dem Ehrgeiz nicht zu übertreiben und vor allem die Zwischenmelkzeiten trotz Schaustress einzuhalten.
Kontrollen an Viehschauen durchzuführen, dass ist nicht die Aufgabe von Tierarzt Urs Leisi, sondern «der Kollegen vom kantonalen Veterinäramt». Trotzdem besucht er sie privat und kennt sich mit Kühen sehr wohl gut aus. Nach dem 1984 bestandenen Staatsexamen ist er seit 1990 bei der Tierklinik Au AG in Bütschwil angestellt. Er ist neben Werner Scherrer, Josef Reding, Heidi Hilpertshauser und Annalisa Giovanini der Tierarzt, der dann zu Rate gezogen wird, wenn Tiere krank sind oder sich verletzt haben. Zum Beispiel, wenn eine Kuh unter einem Euterödem leidet. Dies kann nicht nur nach dem Gebären passieren, wenn die Milchproduktion am stärksten ist, sondern auch dann, wenn die Zwischenmelkzeiten zu lange sind und die Euter deshalb übervoll werden.
Was in der Hektik vor Viehschauen durchaus einmal passieren kann. Das Putzen und das Schmücken der Tiere vor der Schau nehme oft viel Zeit in Anspruch, weshalb früher als üblich gemolken wird. «Es ist oft so, dass man nach Viehschauen merklich öfter wegen Euterentzündungen auf den Hof geholt wird», sagt Urs Leisi. Denn das Verkleben der Zitzen mit Sekundenleim und zu lange Zwischenmelkzeiten, das könne nicht nur Schmerzen, sondern auch schlimmere Folgen wie eine Mastitis, eine Entzündung der Milchdrüsen haben. Die bekannten Symptome – saure Milch, Fieber und Schmerz – können laut Leisi im schlimmsten Fall zu einer tödlichen Blutvergiftung führen.
Andererseits könne es aber der Gesundheit einer Kuh auch förderlich sein, die Zitzen zuzukleben. Wohlgemerkt mit Kollodium, nicht mit Sekundenleim, wie Leisi anfügt. «Es gibt Kühe, die lassen die Milch auch laufen, wenn das Euter noch nicht übervoll ist», weiss der Experte. Das Verkleben mit Kollodium verhindere dann das Eintreten von Erregern und könne Entzündungen vorbeugen.
Sehr pralle Euter an Viehschauen, das hat Urs Leisi auch schon beobachtet. «Wenn man sich umhört, weiss man allerdings, wie wenig die Züchter davon halten, auf übervolle Euter angesprochen zu werden. Ich habe in diesem Zusammenhang auch schon von körperlichen Auseinandersetzungen gehört», sagt Leisi. Handkehrum sieht er aber auch, dass Viehschauen die einzige Plattform für die Bauern sind, ihre Zuchterfolge zu präsentieren. «Diese Möglichkeit muss man ihnen schon geben und weiter beibehalten», findet er. Vor allem für Züchter, die um das Tierwohl besorgt sind und es mit dem Ehrgeiz nicht übertreiben. «Was an Spitzenschauen mit dem Verstopfen der Zitzenkanäle teilweise vor sich geht, um die Euter so prall als möglich der Jury zu präsentieren, ist klar nicht mehr tierschutzkonform», weiss Leisi.
Was er sich aber wünscht, ist, dass die Tiere auf dem Schauplatz bei hohen Temperaturen ausreichend getränkt werden. «Bei heissem Wetter müsste man eigentlich ständig darauf bedacht sein, den Kühen genügend Wasser zur Verfügung zu stellen. Dafür zu sorgen, liegt ganz klar in der Verantwortung der Bauern und der Organisatoren.»
Urs Leisi räumt zudem ein, dass Viehschauen einen gewissen Stress bei den Kühen verursachen. «Es ist eine fremde Umgebung und eine ungewohnte Situation. Insbesondere das Zusammentreffen auf dem Schauplatz kann sogar gefährlich werden. Für Mensch und Tier.» Die Tiere gehen laut Leisi naturgemäss aufeinander los, wenn zu viele auf einmal auf den Platz drängen. Im Chaos kann es durchaus zu Verletzungen kommen. Insbesondere, wenn sich behornte Kühe an den Rangkämpfen beteiligen. Doch dabei handelt es sich, wie Urs Leisi weiss, in aller Regel um Einzelfälle. «Wenn der Bauer noch auf dem Schauplatz eine Verletzung feststellt, rate ich, dieses Tier nach Hause zu transportieren und schnellstmöglich behandeln zu lassen.» Auch ohne Rangierung.
Martina Signer (*1988) aus Mosnang ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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