Die Schweiz hat viel gespart und verdient. Doch statt in die Zukunft zu investieren, möchte sie nun eine 13. AHV-Rente für alle einführen. Gottlieb F. Höpli warnt in seinem Gastkommentar vor dem Beispiel Deutschland, wo der Staat zum Selbstbedienungsladen verkommen sei.
140 Milliarden Franken beträgt die sogenannte Friedensdividende der Schweiz, die sich aus dem Kaputtsparen der Armee allein seit 1990 errechnen lässt. Weil unsere Armee aus dem Bundeshaushalt nur noch 0,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) statt dem minimal notwendigen einen Prozent erhielt.
Zum Vergleich: Von den europäischen Nato-Staaten erreichen inzwischen 18 von 31 das Ziel, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für ihre Sicherheit auszugeben. Diese Friedensdividende hat uns Schweizer nicht sicherer und nicht zufriedener gemacht, sondern nur noch begehrlicher: Jetzt droht die Schweiz auch den Wohlstand abzubauen, den sie in den letzten Jahrzehnten aufgehäuft hat. Sie will mit einer 13. AHV-Rente rund eine Million Rentner beglücken, welche zum Leben gar nicht darauf angewiesen sind.
Die Rechnung wäre ganz einfach
Die Rechnung wäre eigentlich ganz einfach: Würden in der Volksabstimmung vom 3. März alle Stimmberechtigten, die eine 13. AHV-Rente nicht benötigen, mit Nein stimmen, dann hätte die Initiative der Gewerkschaften keine Chance. Das war denn auch das Schicksal zahlreicher Volksentscheide über einen meist ziemlich ungezielten Ausbau des Sozialwerks – fast immer mit dem unerklärten Ziel, die drei Säulen der Altersvorsorge (staatlich, beruflich, privat) zugunsten einer «Volkspension» zum Einsturz zu bringen.
Denn bekanntlich macht auch unter den Direktbetroffenen – den AHV-Bezügern – der Anteil jener, die auf eine höhere AHV existenziell angewiesen sind, nur eine Minderheit aus. Grosszügig gerechnet sind dies rund 30 Prozent. Unter denen sich nicht wenige – zum Beispiel dank Hausbesitz – Vermögensmillionäre befinden.
Schön für die Erben
Doch Vermögen zählt bekanntlich nicht bei der Berechnung der Rentenhöhe. Die übrigen 70 Prozent der Rentnerinnen und Rentner in der Schweiz benötigen keine höhere AHV-Rente zum Leben. Bei vielen von ihnen steigt das Bankkonto sogar seit dem Eintritt ins AHV-Alter. Schön für die Erben…
Eigentlich gehören aber auch die heute Erwerbstätigen und die Jungen zu den Direktbetroffenen dieser Abstimmung. Mit einem Ja finanzierten sie einen aktuellen Ausbau des Sozialwerks mit der Giesskanne mit, gefährdeten aber dessen finanzielle Zukunft. Wer von ihnen sich für eine Besserstellung der am stärksten Benachteiligten in unserer Gesellschaft einsetzen möchte, der sollte sich besser für eine Erhöhung der Mindestrenten engagieren.
Die Sozialausgaben sind explodiert
Dabei haben die Sozialleistungen des Bundes in allen Bereichen in den drei letzten Jahrzehnten fast explosionsartig zugenommen. Das Bundesamt für Statistik – fest in der Hand von SP-Bundesräten und -Beamten – weist von 1995 bis 2022 eine Zunahme der Sozialleistungen des Bundes von 85,6 Milliarden auf 208 Milliarden Franken aus. Das macht pro Kopf der Einwohner eine Zunahme von 13700 auf 23800 Franken pro Jahr aus. Und darunter sind, wohlgemerkt, die im Umlageverfahren finanzierten AHV-Renten nicht gezählt.
Aber die Schweiz ist anscheinend kein Land mehr, in dem man seine individuellen Ansprüche hinter jene der Gemeinschaft zurückstellt. Je grösser die Leistungen des Staates, so scheint es, desto höher werden die Ansprüche.
Der Staat ist auch hierzulande auf dem Weg, ein «Selbstbedienungsladen» zu werden, wie die NZZ mit Recht schreibt. Er setzt seine Mittel nicht mehr dort ein, wo sie für die Zukunft benötigt werden. Also für eine gute, moderne Infrastruktur, für Bildung, Forschung, Innovation etc. Sondern für den Konsum seiner Bürger, die immer neue Ansprüche erheben. An einen Staat, der jetzt schon über seine Verhältnisse lebt.
Das abschreckende Beispiel
Unser nördlicher Nachbar Deutschland hat es darin bekanntlich schon sehr viel weiter gebracht: Unter allen möglichen und unmöglichen Titeln werden Sozialleistungen verteilt, von der Kita bis zum beheizten Radweg. Oder etwa unter der Bezeichnung «Bürgergeld». Was für eine Verkehrung, ja Perversion: Einst waren es die Bürger, welche den Staat ausmachten, sich stolz als dessen Träger und Garanten fühlten.
Heute ist man in Deutschland ein Bürger, wenn man unter diesem Titel vom Staat Geld bezieht. Derweil aber verrotten Brücken, Strassen, Bahnlinien, Schulen – der höchstfinanzierte deutsche Staat aller Zeiten ist nicht mehr in der Lage, seine Infrastruktur im Schuss zu halten. Gleichzeitig sind seine Bürger mit eben diesem Staat und seiner Regierung unzufriedener denn je: Streiks ohne Ende, wachsende politische Extreme links und rechts. Nein, man sollte sich Deutschland nicht zum Vorbild nehmen.
Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.
1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.
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