Der St.Galler Regierungspräsident Bruno Damann kriegt sein Fett ab. Nach einem Interview in «10 vor 10» auf SRF wird in sozialen Medien gewütet. Das Problem ist nur: Seine Ausführungen waren inhaltlich in sich stimmig und logisch. Doch wer nicht panisch wirkt, macht sich heute verdächtig.
Die St.Galler Regierung hat gemacht, was man von ihr verlangt: Sie hat dem Bundesrat im Hinblick auf die nächste Entscheidungsrunde zu den Coronaschutzmassnahmen mitgeteilt, was sie von dessen Ideen hält. In St.Gallen will man zum Beispiel die Restaurants am 22. März öffnen und auch bei Kulturveranstaltungen etwas lockern.
Damit war der Kanton, wie auch schon in früheren Fällen, etwas forscher als die meisten anderen und drängte sich so den Medien auf. In der Sendung «10 vor 10» von SRF wurde Regierungspräsident Bruno Damann zu diesen Positionen befragt. Er begründete die Haltung der Regierung. Und kurz danach ging es los. Vor allem auf Twitter.
Einige Perlen von Twitter-Usern als kleine Auslese, Vertipper und lustige Schreibweisen inklusive:
- «Bruno Damann sollte zurücktreten. Er ist eine Gefahr für die Bevölkerung. Kann der Bevölkerungsschutz nichts tun?»
- «Freundeidgenössische Bitte von GR an SG nach dem gestrigen #10vor10: Regierungsrat Bruno Damann bitte das nächste Mal abwählen. Danke!»
- «Nichts gelernt aus der 2. Welle. Wir müssen wohl ein 2. Mal lernen, zu sterben #BrunoDamann»
- «D Lüüt sind Covid müed und haltet sich sowieso nöd gross a d epidemiologische Vorlage, vo demher chömer au grad ganz öffne. Mann schlägt sich die Hand vors GesichtMann schlägt sich die Hand vors GesichtMann schlägt sich die Hand vors Gesicht Jessas, wie peinlich für üs SGler; die ganz Schwiiz hät jetzt gseh, was für en Hinterwäldler SG führt.»
- «echtjetzt? Weil die Bevölkerung #coronamüde ist , will der @kantonsg schneller öffnen? … aha. Das wird das Virus brutal beeindrucken»
Nachdem sich diese und viele weitere Berufsempörer richtig ausgelassen haben, kann man nun einen Ganz zurückschalten und sich anschauen, was Bruno Damann wirklich gesagt hat und wie es zu werten ist. Umso mehr, als inzwischen sogar das St.Galler Tagblatt in einem Kommentar auf der Titelseite Damann kritisiert hat – natürlich in schöneren Worten als auf Twitter zu sehen ist, aber mit der gleichen Grundaussage.
Nicht einmal mehr eingehen muss man auf den Umstand, dass Damann für die ganze Regierung gesprochen hat, nun aber als Person im Fokus steht.
«Aufgehängt» wird der Regierungspräsident vor allem an seiner Bemerkung, die Regierung spüre, dass die Bevölkerung langsam «covid-müde» sei. Darauf heisst es nun überall, das könne nicht der Massstab sein für Öffnungen. Damann präzisierte aber im gleichen Atemzug, welche Folgen diese Müdigkeit hat: Die Leute halten sich immer weniger an die Massnahmen. Denn Massnahmen müssten nachvollziehbar sein, so Damann. Damit hat er recht, und sie sind es immer weniger. Und zwar, weil sie schlicht selten begründbar und von Beweisen untermauert sind. Was man nicht begreift, mag man nicht machen.
Einiges solle man nun deshalb schneller lockern, so Damann, was die 10vor10-Moderatorin bass erstaunte, da doch die Fallzahlen wieder steigen. Auch ein Jahr, nachdem alles angefangen hat und unzählige Male klar wurde, was hinter den «Fallzahlen» wirklich steckt und warum sie kaum aussagekräftig sind, sind sie immer noch das Mass aller Dinge. Aber das nur nebenbei.
Doch Bruno Damann war Staatsmann genug, um Werte wie die Fallzahlen nicht gleich generell zu hinterfragen. Die St.Galler Regierung will einfach pragmatisch vorgehen. Genau wie bei den Läden sollen auch in Gastro- und Kulturbetrieben die vorhandenen Flächen bei den Einschränkungen entscheidend sein. Sprich: Ein sehr grosses Theater müsste mehr als 50 Personen einlassen können. Auf eine Obergrenze wollen auch die St.Galler nicht verzichten.
Es ist ein bescheidener und vernünftiger Vorschlag, ausgerichtet an der Lebenswirklichkeit statt an einer einzigen Zahl, die gar nicht in allen Fällen Sinn machen kann.
Damann wurde im Interview auch indirekt Populismus vorgeworfen. Die St.Galler Regierung könne ja nun einfach Forderungen stellen, die für einige Branchen attraktiv seien und sich dann hinter den Entscheidungen des Bundesrats verstecken. Nun kann man dem Regierungspräsidenten schon vorwerfen, er wirke eher trocken vor der Kamera und verkaufe sich zu schlecht, aber auch hier: Inhaltlich war die Antwort glasklar und nachvollziehbar. Der Bundesrat habe die Kantone zur Vernehmlassung eingeladen, und da müsse man schon sagen dürfen, was man für richtig halte. Die Entscheide werde St.Gallen dann natürlich mittragen.
In der Tat: Man fragt sich unwillkürlich, was am Begriff «Vernehmlassung» die TV-Leute am Leutschenbach nicht verstehen. Beziehungsweise: Nicht verstehen wollen.
Schliesslich ging es noch um die Gottesdienste, St.Gallen würde gerne an Ostern mehr Leute einlassen. Gefahr im Verzug, fand die Moderatorin, aber Damann machte sie darauf aufmerksam, dass auch eine Kirche über eine bestimmte Fläche verfügt und – was er natürlich nicht wörtlich gesagt hat, das tun wir – zwischen der Kathedrale und einer Kapelle im Alpstein ein gewisser Unterschied besteht. 50 Leute, basta: Es macht in dieser Absolutheit einfach keinen Sinn. Vor allem nicht, während sich in den Läden die Leute zum Teil auf den Füssen stehen, trotz aller Einschränkungen.
Alles in allem: Twitter befindet sich in Schnappatmung aufgrund sachlicher, gut begründeter Aussagen eines Regierungspräsidenten. Damann wird als «Durchseucher» bezeichnet, weil er zusammen mit seinen Regierungskollegen die komplette Schliessung der Gastronomie nicht nachvollziehen und kann und sich eine differenziertere Vorgehenswweise wünscht.
Das ist offenbar das «Verbrechen» von Bruno Damann und seiner Regierung: Im Unterschied zum Bundesrat möchten sie ganz gerne wissen, dass das, was entschieden wird, auch Sinn macht und belegbar Nutzen bringt. Immerhin stellen sie diese Fragen noch, andere tun es schon lange nicht mehr.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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