874 Anregungen, Fragen und Wünsche wurden durch die Postkartenaktion «Reformen jetzt» an Bischof Markus Büchel herangetragen. Die Forderungen an die Kirche sind klar: Sie soll weltoffener, frauenfreundlicher und moderner werden.
Der Ruf der Kirche wurde in der Vergangenheit arg in Mitleidenschaft gezogen – und dies nicht erst, seitdem vergangenen September die Missbrauchsfälle ans Licht kamen. Die Postkartenaktion «Reformen jetzt» will vor allem eines: Den Menschen ein Gehör verschaffen. Was halten sie von der Kirche? Was muss getan werden, um sie fit für die Zukunft zu machen? Und nicht einfach in der Vergangenheit stehen zu bleiben?
Seit Ende April wurden deshalb im ganzen Bistum Postkarten verteilt. Zu Beginn stand eine Strassenaktion im Zentrum der Stadt St.Gallen, bei welcher die Passantinnen und Passanten ihre Anmerkungen festhalten konnten. Nun wurden die Karten eingesammelt: 874 Fragen, Wünsche und Anregungen sind darauf zu finden. Roman Rieger, Koordinator der Bewegung «Reformen jetzt», im Gespräch über Frauenrechte, die Zusammenarbeit der Kirchen – und weshalb Deutschland besonders bei einer Forderung als gutes Beispiel vorangeht.
Roman Rieger, knapp 900 Einsendungen sind eingegangen. Darf man also von einer «dicken Post» für Bischof Markus Büchel sprechen?
Sie hätte gerne noch dicker werden dürfen (lacht). Insgesamt fertigten wir 1'500 Kartensätze à sieben Karten an – wir verfügten also über 10'500 Karten. Rund acht Prozent erhielten wir bis zum 14. Juni zurück.
Können Sie sich erklären, weshalb verhältnismässig wenige Rückmeldungen zurückkamen? Immerhin stand die Kirche in den letzten Wochen und Monaten sehr häufig in den Schlagzeilen. Gefühlt hatte jeder eine Meinung.
Gerade bei der Strassenaktion haben wir gemerkt, wie weit weg gewisse Leute vom Kirchenthema bereits sind. Sie wollen sich in den Diskurs gar nicht mehr einbringen. Das ist ihr gutes Recht. Mit denjenigen, die sich Zeit genommen haben, konnten wir sehr gute Gespräche führen – über Gott und die Welt, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir spürten, dass es für einige einen grossen Bedarf darstellt, einfach einmal gehört zu werden.
Sie hatten sieben Illustrationen zur Verfügung. Die am meisten gewählte war die Heilige Wiborada von St.Gallen.
Genau. Wiborada sprach viele Leute an, weil sie die weltweit erste heilig gesprochene Frau ist und aus St.Gallen kommt. Vielleicht zahlt sich nun auch unser ökumenisches Engagement aus, sie in der Stadt und Region St.Gallen bekannter zu machen. Sie ist mit einem Schleier dargestellt. Daraus haben sich auch Begegnungen mit Muslima ergeben, weil sie uns gefragt haben, ob wir uns für muslimische Belange einsetzen würden – beispielsweise für die Bildung im Islam.
Die Illustrationswahl zeigt aber auch, dass sich viele von der Kirche mehr Rechte für Frauen wünschen. Waren Sie davon überrascht?
Nein. Das ist ein Thema, das vielerorts diskutiert wird, nicht nur in der Kirche – zu Recht übrigens. Hier muss jedoch unterschieden werden zwischen der praktischen Arbeit an der Basis und den Entscheidungsfunktionen in den Bistümern und in Rom. Bei uns im Bistum St.Gallen gibt es von der praktischen Basisarbeit her für Frauen und Mädchen kaum Einschränkungen – sie können und dürfen fast alles ausüben, was ihre männlichen Kollegen ebenfalls machen. In höheren Ebenen und bei der Feier der Sakramente gibt es jedoch ist es weiterhin Einschränkungen, da eine Frau heute nicht zur Priesterin geweiht werden kann. Dieser Geschlechterunterschied stört viele, kann aber auf die Weltkirche bezogen nicht so einfach geändert werden.
Dem Bischof sind also quasi die Hände gebunden?
Der Bischof kann sich zwar in der Weltdiskussion einsetzen – die bestehenden Regeln kann er aber nicht einfach so ändern, auch auf der Bistumsebene nicht. Es wurde übrigens nicht nur der Geschlechterunterschied angesprochen. Auch, dass ein Priester nicht verheiratet sein darf, war ein Thema, dass die Menschen stört. Oder dass Seelsorgerinnen und Seelsorger nach dem Kirchenrecht keine homosexuelle Beziehung leben dürfen.
Diese Forderungen gehen einher damit, dass sich viele eine modernere Kirche wünschen. Wie könnten die Forderungen nach mehr Modernisierung der Katholischen Kirche praktisch umgesetzt werden, ohne die Grundwerte der Kirche zu verändern?
Das ist in der Tat eine Gratwanderung. In St.Gallen sind wir in gewissen Bereichen bereits einen Schritt weiter, als es in anderen Kirchen der Fall ist. Beispielsweise ist es hier möglich, dass nicht-geweihte Theologinnen und Theologen predigen dürfen. In anderen Bistümern in Deutschland oder Österreich ist das nicht erlaubt. «Reformen jetzt» setzt sich für vier Schwerpunkte ein: Das Privatleben von Seelsorgerinnen und Seelsorgern soll privat bleiben. Zudem müssen unserer Ansicht nach auch Leienseelsorgerinnen und -seelsoger kirchliche Trauungen vornehmen dürfen. Wir wollen ein Mitspracherecht bei der Bischofswahl erreichen sowie einen fairen Umgang mit Priestern, die das Zölibat brechen. Bei zweien haben wir bereits positive Signale empfangen.
Auch die Missbrauchsfälle beschäftigen nach wie vor viele Leute.
Damit haben wir gerechnet, ja. Wir müssen jedoch festhalten, dass das damalige Bild der Kirche etwa die 1950er bis 80er Jahre widerspiegeln. Die damaligen Machtverhältnisse waren klassisch. Überspitzt gesagt: Der Pfarrer, der Lehrer und der Arzt hatten das Sagen. Heute stehen wir an einem ganz anderen Punkt. Seit 22 Jahren gibt es im Bistum St.Gallen ein «Fachgremium sexuelle Übergriffe», welches bei einem Vorfall genau analysiert, wer an welchem Punkt involviert wird, damit eben genau solche Fälle nicht mehr passieren, und jemand zu viel Macht erhält. Im Bistum St.Gallen läuft hier bereits sehr vieles sehr gut.
Trotz allem gibt es auch solche Rückmeldungen, die sich keinerlei Veränderungen wünschen. Es ist wohl ein Unding, alles zusammenzufügen. Die einen wollen moderner werden, die anderen am alten Zopf festhalten.
Das ist so. Im Gespräch mit Markus Büchel hat sich herauskristallisiert, dass er die Kirche zusammenhalten und vor einer Spaltung bewahren will. Der Bischof ist inhaltlich mit den Forderungen und Wünschen einverstanden. Gerade, was den Zölibat und die Frauenbewegung angehen, dürfte es aber wohl noch einige Zeit dauern, bis sich die gewünschten Änderungen einstellen.
Wie gehen denn andere Bistümer weltweit mit ähnlichen Forderungen um? Gibt es erfolgreiche Beispiele für durchgeführte Reformen?
Ja, die gibt es. Nehmen wir als Beispiel Deutschland. Dort ist die Frage nach dem Privatleben von Mitarbeitenden nicht mehr gestattet. Das heisst, eine Kirchenmitarbeiterin darf die Lebensform wählen, die sie möchte. Ihr Privatleben darf für ihren Beruf keine Rolle mehr spielen. Ein durchaus positives Beispiel, mit welchem die deutsche Kirche durch die Anpassung des kirchlichen Arbeitsrechts vorangeht. An der Amazonas-Synode wurde darüber diskutiert, dass auch verheiratete Männer Priester sein dürfen. Leider hat es sich dort nicht durchsetzen können, weil die Reform in Rom zurückgebunden wurde. Doch es verdeutlicht, dass auch andere Länder ihre Probleme haben und es viele Diskussionen braucht, um entsprechend etwas anzustossen.
Was denken Sie: Inwiefern beeinflussen die Rückmeldungen aus der Gemeinde, wie durch die Postkartenaktion geschehen, tatsächlich die Entscheidungsfindung innerhalb der Kirchenleitung?
Benennen kann ich es derzeit zwar noch nicht. Ich traue es jedoch der Kirchenleitung zu, dass sie die Anliegen ernst nehmen und sie weitertragen. Unser Anliegen war es ja auch, den Menschen einmal zuzuhören und ihre Wünsche und Forderungen zusammenzutragen. Es hat sich in der Vergangenheit vieles angestaut, was einmal platziert werden muss.
Was passiert nun mit den Forderungen?
Bei den genannten vier Vorstössen haben wir bereits positive Signale empfangen. Das freut uns. Wir sind überzeugt, dass bald erste Resultate spruchfähig sind. Wann die nächsten Schritte passieren, können wir aber derzeit noch nicht abschätzen.
(Bilder: pd)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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